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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fußball-Journalist Felix Tamsut "Feindschaften berechtigen nicht zu Antisemitismus"
Journalist Felix Tamsut beschäftigt sich in seiner Arbeit vor allem mit zwei Themen: Fankultur und Politik im Fußball. Doch auch der Nahost-Konflikt begleitet ihn sein ganzes Leben.
"Ich kenne viele Leute, die gerade an der Grenze sind, sei es als Reservist in der Armee oder in anderen Funktionen", erklärt Felix Tamsut. Als Jude und gebürtiger Israeli verfolgt den Kölner, der als Journalist bei der "Deutschen Welle" arbeitet, der Nahost-Konflikt schon sein ganzes Leben. Er kommt aus der Stadt Ashdod im Süden Israels, die bei der jüngsten Anschlagswelle von Raketen getroffen worden ist.
Teilweise seien auch Bekannte von ihm bei den Anschlägen umgekommen. Es sei schon eine heftige Zeit, sowohl für ihn persönlich, als auch generell. In seiner journalistischen Arbeit setzt sich Tamsut insbesondere mit Fußball-Fankultur auseinander. Er selbst ist Fan des 1. FC Köln.
Tamsut: "Es ist wichtig, eine Seite zu wählen"
Erst kürzlich hatte sein Herzensverein in einem Statement auf Social-Media den Terror der Hamas verurteilt und sich mit den Betroffenen solidarisiert. Daraufhin kritisierten einige Nutzer in den Kommentarspalten, dass der Klub sich mit dem Statement auf eine Seite im Nahost-Konflikt stellen würde.
"Angesichts der Situation, dass es einen terroristischen Anschlag gab, finde ich es wichtig, tatsächlich eine Seite zu wählen."
Felix Tamsut
Eine Kritik, zu der Tamsut eine klare Meinung hat: "Angesichts der Situation, dass es einen terroristischen Anschlag gab, finde ich es wichtig, tatsächlich eine Seite zu wählen. Man hat nach 9/11 nicht gesagt: 'Es gibt zwei Seiten: die westliche Welt und Al-Qaida.'" Selbiges gelte für den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. "Auf einmal – wenn es um Israel und um Juden geht – muss man beide Seiten sehen. Entweder ist man auf der Seite der Betroffenen, oder auf der Seite der Terroristen. Wenn man von beiden Seiten spricht – was den Angriff angeht – meint man, dass eine terroristische Organisation eine legitime Partei ist."
Tamsut macht auch auf Leid der Palästinenser aufmerksam
Als FC-Mitglied weiß es der Wahl-Kölner zu schätzen, dass sein Verein – den er sowohl bei Heim-, als auch bei Auswärtsspielen im Stadion anfeuert – sich so klar gegen die terroristische Hamas positioniert hat. "Das Statement an sich ist sehr, sehr wichtig in dieser Zeit." Als linker Israeli will er jedoch klarmachen, dass auch die palästinensische Bevölkerung leide, und dass man dieses Leid nicht verharmlosen dürfe. Es sei "wirklich ganz schlimm zu wissen, dass Kinder in Gaza wegen der Bombardierung sterben".
Die israelische Armee IDF hatte auf die terroristischen Anschläge vor wenigen Tagen mit Luftangriffen auf den Gazastreifen reagiert. Wie bei jeder Eskalation des Konflikts folgte auch diesmal eine Welle des Antisemitismus, von der auch jüdische Menschen in Deutschland betroffen sind. Jüdische Restaurants und Sportvereine wie TuS Makkabi Berlin mussten aufgrund der Bedrohungslage vorübergehend ihren Betrieb einstellen.
Antisemitismus zeigt sich auch im Fußball
Immer wieder zeigt sich der Antisemitismus auch im Fußballstadion. Zum Beispiel, wenn Fans von Feyenoord Rotterdam antisemitische Schmähgesänge gegen die Anhänger des Erzrivalen Ajax Amsterdam anstimmen. Die Ajax-Fans bezeichnen sich selbst als "Superjoden", auch in der Vereinsgeschichte des niederländischen Rekordmeisters spielen jüdische Persönlichkeiten eine prägende Rolle. "Ich bin ein großer Verfechter von Emotionen im Fußball. Auch Feindschaften sind Teil des Spiels. Das berechtigt aber auf keinen Fall zu Antisemitismus", stellt Tamsut klar.
Zur Aufarbeitung der Rolle der Fußballklubs im NS-Regime sowie der Erinnerung an jüdische Spieler und Funktionäre sagt er: "Es gibt Vereine, die damit ehrlich umgehen und diese Geschichte aufarbeiten. Und es gibt Vereine, die erinnert werden müssen, dass es ihre Geschichte ist." Beim FC Bayern sei es etwa so, dass die Fans auf diese Geschichte aufmerksam gemacht haben. "Den Namen Kurt Landauer hat Karl-Heinz Rummenigge erst gehört, nachdem Ultras etwas dazu gemacht hatten."
Unter Vereinspräsident Landauer hatte der FC Bayern im Jahr 1932 seine erste Meisterschaft gewonnen. Als Sohn jüdischer Kaufmannsleute musste er jedoch während der NS-Herrschaft ins Exil fliehen. Als der Krieg vorbei war, kehrte er zurück und übernahm das Präsidentenamt beim FC Bayern erneut. Die Ultra-Gruppe "Schickeria München" hatte maßgeblichen Anteil daran, die Erinnerung an Landauer ins Gedächtnis der Fans zu rufen.
Viele Klubs leisten Antidiskriminierungsarbeit
Auch die Fanszenen von Werder Bremen, dem FC St. Pauli oder Tennis Borussia Berlin leisten wertvolle Antidiskriminierungsarbeit, betont Tamsut. Die Werder-Ultras pflegen zudem freundschaftliche Kontakte zu Fans von Maccabi Haifa und Hapoel Jerusalem. Wie t-online berichtete, sind auch zwei Fans dieser Klubs unter den Menschen, die von der Hamas entführt und vermutlich nach Gaza verschleppt wurden. Werder hatte daher auf Initiative der Ultras versucht, seine Reichweite auf Social Media zu nutzen, um bei der Suche nach den beiden Vermissten zu helfen – bisher jedoch ohne Erfolg.
Es gebe darüber hinaus auch Fußballklubs, die sich aus eigenem Antrieb engagieren und ihre Geschichte aufarbeiten, erklärt Tamsut. Ein Beispiel sei Eintracht Frankfurt. Ebenfalls ein Verein, der früher als "Juddeclub" galt. Hier seien besonders das Eintracht-Frankfurt-Museum und dessen "Spurensuche"-Projekt zu erwähnen. Der hessische Klub organisierte im Rahmen dieses Projekts auch eine Reise nach Theresienstadt. Etwa 140.000 Menschen sind bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dorthin deportiert worden.
Die Situation in den Stadien habe sich verbessert
"Ich finde es äußerst wichtig, dass der Fußball sich engagiert", sagt Tamsut. Was Antisemitismus und generell Diskriminierung im Fußballstadion angeht, sei die Situation heute viel besser als noch vor 20 Jahren. Dennoch sei immer noch einiges zu tun. "Ich kenne einige Menschen, von denen keiner weiß, dass sie jüdisch sind. Solche Beispiele gibt es, weil Leute Angst haben. Dieses Gefühl, dass man in einer ständigen Sicherheitsbedrohung ist, kann nicht so weitergehen."
Solange dies der Fall sei, habe sowohl die Regierung, als auch die Zivilgesellschaft in Deutschland versagt, da diese dem gerade an Gedenktagen oft bemühten "Nie wieder!"-Slogan nicht gerecht werden würde, so Tamsuts Fazit.
- Interview mit Felix Tamsut