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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Eine Sache des Respekts" Zweiter Muezzin-Ruf in Köln: Viel Verständnis statt Proteste
Die Kölner Zentralmoschee darf seit vergangener Woche über Lautsprecher zum Gebet rufen. Der Wirbel darum war offenbar nur von kurzer Dauer.
Als auf dem Innenhof der Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld um 13.22 Uhr der Muezzin-Ruf ertönt, verstummen die Gespräche der rund 100 Menschen vor dem Eingang. Einige von ihnen zücken ihre Handys und filmen die Umgebung, andere stehen nur dort und lauschen.
Eine Woche zuvor durfte der Muezzin zum ersten Mal über Lautsprecher zum Gebet rufen, der Premiere gingen hitzige Diskussionen voraus, Demonstranten versammelten sich vor der Moschee. Nicht zuletzt, da die Moschee als Teil der staatlichen Türkisch-Islamischen Union (Ditib) vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan persönlich eingeweiht wurde. Demonstrierende hatten versucht, den Ruf von der gegenüberliegenden Straßenseite aus zu übertönen.
"Es hat etwas mit Respekt zu tun"
Heute protestiert niemand. Doch die Proteste der vergangenen Woche sind weiterhin präsent: Bei nahezu allen Anwesenden stoßen sie auf großes Unverständnis. "Ich habe in Deutschland eine wichtige Redewendung gelernt: leben und leben lassen", sagt Lassaad, der aus dem angrenzenden Stadtteil Lindenthal zum Gebet gekommen ist. Der gebürtige Tunesier fügt hinzu: "Es hat etwas mit Respekt zu tun. Kein Moslem stellt sich vor die Kirche oder die Synagoge und schreit rum. Das macht man einfach nicht."
Für ihn sei der öffentliche Ruf zum Gebet auch ein Stück Freiheit: "Seit 30 Jahren lebe ich hier, zahle Steuern, warum sollte ich nicht das gleiche Recht haben wie Menschen mit einer anderen Religion?" Mit Politik habe das Ganze nichts zu tun, vielmehr mit Religionsfreiheit.
Dem widerspricht ein älterer Herr: Die Religionsfreiheit sei wichtig, doch die Moschee sei zugleich eine staatliche Institution des türkischen Präsidenten, was die Angelegenheit zu etwas Politischem machen würde. Er ergänzt schulterzuckend: "Ich wohne hier um die Ecke und habe letzte Woche nichts vom Ruf gehört. Meine Nachbarn auch nicht". Deswegen sei er heute ganz nah herangekommen.
Interessierte kommen zur Moschee, um dem Ruf zu lauschen
Mittlerweile strömen immer mehr Menschen auf den Treppenaufgang der Moschee zu. Der Platz, der von einem kurzen Regenschauer durchnässt ist, füllt sich kontinuierlich – mit Betenden, aber auch mit Interessierten, die den Ruf selbst einmal erfahren wollen. Einige der Gläubigen gehen direkt in den Gebetsraum.
Auch die Polizei ist an diesem Nachmittag anwesend: Norbert Taudor ist Polizeibeamter in Ehrenfeld und arbeitet in der Direktion "Gefahrenabwehr/Einsatz". Auf die Frage, ob er hier für Sicherheit sorgen müsse, antwortet er: "Nein, hier ist doch alles ruhig. Ich war letzte Woche nicht da und wollte es mir deswegen heute selbst anhören". Ob der Ruf lauter oder leiser war als erwartet? "Sagen wir mal so, wenn ich mich hier mit Ihnen etwas lauter unterhalte" – er richtet sich auf und erhebt leicht seine Stimme – "dann waren die Lautsprecher sogar etwas leiser". Wie er persönlich zu der Neuerung steht, darf er nicht sagen.
"Aus der Nachbarschaft hat sich niemand beschwert"
Eine Mutter mit zwei Kindern, die derzeit zu Besuch in Köln ist, hat sich aufgrund der Berichterstattung spontan für einen Ausflug nach Ehrenfeld entschieden. Mit einer Geste deutet sie auf die Menschenmenge: "Hier ist doch alles friedlich und es war sehr interessant, den Ruf mal gehört zu haben".
"Wir haben zwei Informationsveranstaltungen abgehalten, an denen 2.200 Menschen aus der Umgebung teilgenommen haben", erklärt Murat Sahinarslan, Direktor des Moschee- Forums. Man habe alles getan, damit jeder seine Zweifel äußern könne. Außerdem stehe der Verein regelmäßig in Kontakt mit der Polizei, mit der man ein gemeinsames Sicherheitskonzept erarbeitet habe. Sahinarslan beteuert: "Bisher hat sich niemand aus der Nachbarschaft bei uns beschwert".
- Reporter vor Ort