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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Nicht mitgedacht" Behörde erntet Shitstorm für Brief an Sehbehinderte
Eine Behörde schrieb einer sehbehinderten Kölnerin einen Brief, den diese nicht lesen kann. Im Netz schlug der Fall Wellen. Um einen Einzelfall handelt es sich nicht.
Eigentlich wollte sie nur ihrem Ärger Luft machen, auf Twitter traf die Kölner Journalistin Amy Zayed damit allerdings einen Nerv. In einem zunächst an die Stadt Köln adressierten Tweet berichtet die 48-Jährige von einem befristeten Schreiben, in dem sie aufgefordert worden sei, ihren aktuellen Behindertenstatus mitzuteilen – in Druckschrift, per Hand.
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"Ihr schickt mir einen Brief, der für mich erst mal vorgelesen werden muss, um mir mitzuteilen, dass Ihr in vier Wochen Rückmeldung von mir braucht, ob ich noch blind bin? Und dann soll ich meine Unterschrift leserlich in Druckbuchstaben wiederholen?", ärgert sich Zayed am Mittwoch in dem Tweet, der kurz darauf viral ging.
Köln: Barrierefreie Bürokratie noch lange kein Standard
Auch wenn sich später herausstellte, dass das besagte Schreiben vom Landschaftsverband Rheinland (LVR) ausgestellt worden war: Das Problem ist sowohl der Stadt als auch dem LVR bekannt. "Die Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, offizielle Formulare des Landes NRW zu verwenden und dürfen diese auch nicht verändern", erklärt Katja Reuter, Sprecherin der Stadt Köln t-online auf Anfrage. Formulare nachträglich in barrierefreie PDFs zu konvertieren, sei daher lediglich bei eigens erstellten Schreiben möglich.
"Leider sind in der Tat noch nicht alle Prozesse so digital und barrierefrei, wie das wünschenswert wäre, auch wenn die Arbeiten daran natürlich intensiv laufen", sagt auch LVR-Sprecher Michael Sturmberg. Auf Twitter bezog der LVR mittlerweile Stellung zu dem Vorgang.
Amy Zayed: "Behinderte werden oft nicht mitgedacht"
"Die UN-Behindertenrechtskonvention sagt ganz klar, dass behinderte Menschen am öffentlichen Leben teilhaben sollen", äußert sich Amy Zayed im Gespräch mit t-online. "Aber ich habe das Gefühl, Behinderte werden oft nicht mitgedacht."
Beispiele dafür kenne sie aus ihrem Alltag zur Genüge. Erst vor Kurzem berichtete die 48-Jährige auf Twitter von einem Arztbesuch, vor dem sie gezwungen gewesen sei, den Anamnesebogen mithilfe einer dritten Person auszufüllen.
"Beim Arzt geht es um richtig intime Daten, die möchte ich nicht jedem erzählen", sagt Zayed. "Ich hatte das Glück, dass meine Mum gerade bei mir zuhause war und ich ein gutes Verhältnis zu ihr habe. Aber was ist mit Menschen, die diesen Vorteil nicht haben? Da geht es einfach ums Prinzip."
Land NRW: Jede Behörde selbst für Barrierefreiheit verantwortlich
Was die Stadt Köln bereits bemängelte, entpuppt sich als weit größeres Problem. So sei jedes Ressort innerhalb der Landesregierung, das offizielle Formulare aus- und den Kommunen zur Verfügung stelle, selbst für deren Barrierefreiheit verantwortlich, erklärt ein Sprecher der Staatskanzlei NRW t-online auf Anfrage. Eine zentrale Zuständigkeit gebe es nicht.
Vonseiten der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen, Claudia Middendorf, heißt es, man könne den Behörden selbst keine Vorgaben machen. "Bislang haben wir auch keine Bürgeranfragen zu Barrieren bei Formularen gekriegt. Das heißt aber nicht, dass es das Problem nicht gibt", teilt Middendorfs Sprecher Pascal Wirth t-online mit.
"Will ich das jedem erzählen?"
Dass sich in puncto Inklusion und Bürokratie etwas ändern muss, da ist Amy Zayed sich sicher. "Das ist ein strukturelles Problem. Eigentlich müssten alle öffentlichen Formulare barrierefrei zugänglich sein – ob nun ein Antrag auf Blindengeld, Arbeitslosengeld oder Asyl", sagt Zayed.
"Auch als sehbehinderte Person muss ich in der Lage sein, Formulare selbst lesen und ausfüllen zu können. Das hat ja auch mit Datenschutz zu tun. Bei einem Wohngeldantrag muss ich etwa meine gesamten Finanzen darlegen. Will ich das jedem erzählen?"
- Gespräch mit Amy Zayed via Telefon
- Eigene Recherche
- Anfragen bei der Stadt Köln, beim LVR, der Staatskanzlei NRW, beim Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung NRW sowie beim Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW