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Hannover: OB Belit Onay über Merz' Asylpolitik – "aufwühlende Woche"


Oberbürgermeister Onay
"Müssen aufhören, Migrations- und Sicherheitspolitik zu vermengen"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewVon Claudia Zehrfeld

08.02.2025 - 09:20 UhrLesedauer: 7 Min.
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne): Sicherheitspolitik sollte nicht mit Migrationspolitik vermengt werden, sagt er.Vergrößern des Bildes
Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne): Sicherheitspolitik sollte nicht mit Migrationspolitik vermengt werden, sagt er. (Quelle: Henning Scheffen/imago-images-bilder)
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Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay plädiert dafür, Migrations- und Sicherheitspolitik nicht zu vermengen. Die jüngste Asylabstimmung im Bundestag habe falsche Signale gesendet.

Die Asylabstimmung im Bundestag hat Empörung ausgelöst – CDU-Chef Friedrich Merz hatte in Kauf genommen, dass eine Mehrheit für einen Antrag zur Migrationspolitik im Bundestag nur mit Stimmen der Alternative für Deutschland (AfD) zustande kam. Auch in Hannover gab es teils heftige Reaktionen darauf – Aktivisten besetzten den Balkon der CDU-Parteizentrale, die "Omas gegen Rechts" luden Parteimitglieder von CDU und FDP für ihre Demo am Samstag aus.

Welchen Blick Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover und Mitglied der Grünen, auf die Vorgänge hat, erzählt er im Interview mit t-online. Und erklärt, was sich aus seiner Sicht im Hinblick auf die Migrationspolitik ändern sollte.

t-online: Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie aufwühlend fanden Sie die vergangene politische Woche?

Belit Onay: Zwölf. Es war eine extrem aufwühlende Woche. Oft hat man das Gefühl, dass sich alle mit großen Worten überbieten, die das beschreiben sollen. Aber in diesem Fall trifft es zu, denn im Bundestag hat sich ein Vorgang ereignet, der in vielerlei Hinsicht falsch war.

Was fanden Sie falsch daran?

Zum einen, dass die CDU eine Mehrheit mit der AfD organisiert hat. Es war glasklar, dass die AfD dafür stimmen wird und nur damit eine Mehrheit zustande kommt. Alice Weidel steht für das Thema "Remigration" und diese AfD schafft nun zu einem migrationspolitischen Thema die Mehrheiten. Man muss sich klarmachen, mit wem man da paktiert. Wenn du mit solchen Faschisten, mit solchen Rassisten paktierst, dann veränderst du nicht die Rassisten. Sondern die Rassisten verändern dich – die Partei, die Art zu sprechen und damit auch im Ergebnis irgendwann das gesamte Land.

Und zum anderen?

Ich hielt zudem den inhaltlichen Schritt für falsch. Der Familiennachzug soll eingeschränkt werden – als Reaktion auf terroristische Anschläge in Solingen und Aschaffenburg. Aber die Leidtragenden sind vor allem Frauen und Kinder, die Schutz suchen. Es ist der falsche Schluss, ihnen die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie diese Abstimmung verfolgt haben?

Am Mittwoch nach dieser ersten Wahl hat Friedrich Merz noch einmal gesprochen. Da habe ich plötzlich so einen Moment erlebt, wo ich dachte, Friedrich Merz fühlt fast dasselbe wie ich. Als er gesagt hat, er bedauere, dass es zu dieser Mehrheit gekommen sei. In dem Moment scheint ihm die historische Dimension klar geworden zu sein, die das hat, weil das natürlich nicht nur im Bundestag bleiben wird. Es wird eine Wucht entfalten und als Legitimationsgrundlage dienen für alle anderen, die bis dato vielleicht noch Hemmungen hatten, mit der AfD zu paktieren.

Belit Onay
Belit Onay (Quelle: IMAGO/teutopress GmbH)

Zur Person

Belit Onay, Jahrgang 1981, ist seit 2019 Oberbürgermeister der Stadt Hannover. Der Jurist war 2011 bis 2014 Ratsherr der niedersächsischen Landeshauptstadt sowie zwischen 2013 und 2019 Mitglied des Landtags. Der gebürtige Goslarer wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Hannover.

Friedrich Merz hat im Nachgang unterstrichen, dass die CDU nicht mit der AfD zusammenarbeiten werde. Glauben Sie ihm das?

Wie denn? Er hat zuvor sehr klare Worte gefunden: Es werde keine Zusammenarbeit mit der AfD geben, nicht einmal die kleinste Annäherung. Wer mit der AfD stimmt, bekommt ein Parteiausschlussverfahren – das waren seine Worte. Doch genau das ist im Bundestag auf seine Initiative hin passiert. Aus meiner Sicht kann man dem Ganzen keinen Glauben schenken – er hat es mit einem Schlag selbst vom Tisch gewischt.

In Hannover haben Aktivisten heftig auf die Abstimmung im Bundestag reagiert, unter anderem die CDU-Parteizentrale besetzt. Wie bewerten Sie dieses Verhalten?

Ich lehne eine Besetzung solcher Art entschieden ab. Für die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle muss das eine beängstigende Situation gewesen sein. Was mich daran besonders umtreibt, ist die zunehmende Verrohung der politischen Debatte. Ich habe deshalb klargemacht: Wir können politisch unterschiedlicher Meinung sein, aber solche Aktionen sind nicht akzeptabel.

CDU-Politiker werfen SPD und Grünen eine Mitschuld an den Angriffen auf Parteibüros vor. Der CDU-Landesvorsitzende Sebastian Lechner forderte etwa, dass SPD und Grüne "verbal abrüsten". Was sagen Sie dazu?

Diese Kritik ist falsch in der Sache. Ich lehne, wie gesagt, solche Besetzungen deutlich ab. Ich kenne auch niemanden aus SPD- oder Grünen-Kreisen, der das gutgeheißen oder dazu animiert hätte. Die Sprache, die wir in Hannover gewählt haben, war stets sachlich und besonnen. Es gab keine persönlichen Angriffe, keine Aufrufe zu Gewalt. Unser Fokus lag und liegt auf der inhaltlichen Auseinandersetzung – auf dem, was im Bundestag passiert ist und welche Folgen das für die Zukunft unseres Landes hat.

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Sie haben sich seit der Asylabstimmung sicherlich mit politischen Akteuren und Bürgern ausgetauscht. Welche Sorgen haben diese geäußert?

Viele haben berichtet, wie sehr sie das bewegt. Sie haben Angst vor einer schleichenden Normalisierung. Viele erinnern sich an Zeiten in der deutschen Geschichte, in denen man glaubte, Faschisten und Rassisten bändigen zu können. Doch das funktioniert nicht. Man kann sich nicht einbilden, diese Bestie wie im Zirkus durch einen Reifen springen zu lassen, wenn es gerade passt und man Unterhaltung möchte. Diese Bestie ist hungrig, sie greift an. Und genau das tut sie jetzt wieder. Viele Menschen spüren, dass nicht nur Abstimmungen mit Mehrheiten der AfD stattfinden, sondern dass sich auch Inhalte verschieben. Plötzlich wird über Migration anders gesprochen, das Thema Solidarität wird neu definiert – in einer zunehmend unsolidarischen Sprache.

Haben sich die Gespräche verändert, die Sie mit Bürgern führen? Welche Sorgen werden Ihnen häufiger als früher geschildert?

Die Anschläge in Aschaffenburg und Magdeburg, aber auch frühere Taten, haben die Menschen tief erschüttert. Selbst diejenigen, die entsetzt auf die Zusammenarbeit der CDU mit der AfD blicken, fordern eine Reaktion darauf.

Wie sollte diese Reaktion in Ihren Augen aussehen?

Wir müssen aufhören, Migrationspolitik und Sicherheitspolitik zu vermengen. Ich habe früher als innenpolitischer Sprecher gearbeitet. 2017 haben wir als erstes Bundesland Gefährder abgeschoben. Und ich stehe auch heute noch dazu: Gefährder, Menschen, die morden wollen, haben in diesem Land keinen Schutzanspruch. Die Fälle in Solingen und Aschaffenburg zeigen, dass die Täter den Behörden bekannt waren. Niemand ist plötzlich aufgetaucht. Also schiebt Gefährder konsequent ab, verdammt noch mal! Aber lasst die anderen 99,9 Prozent der Migranten in Ruhe. Stattdessen wird eine kleine radikale Minderheit zum Vorwand genommen, um schikanöse Maßnahmen gegen alle Geflüchteten zu rechtfertigen. Das erschwert oder verhindert gar Integration – und das sind Probleme, die wir in fünf oder zehn Jahren ausbaden müssen.

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Was können Städte wie Hannover in diesem Zusammenhang tun?

Es gibt nicht den einen Hebel, der alle Probleme löst. Aber wir versuchen hier, geflüchteten Menschen möglichst schnell eine Perspektive zu bieten – damit sie sich ein selbstbestimmtes Leben aufbauen können. Der Schlüssel ist Integration: schnelle Sprachkurse, schneller Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung, ein geregeltes Leben. Gesunde, stabile Strukturen sind entscheidend, damit sich Menschen hier etwas aufbauen können. Doch das ist nicht immer einfach.

Wieso?

Auf kommunaler Ebene fehlen oft Ressourcen und Instrumente. Zudem gibt es wenig Unterstützung von Bund und Ländern – im Gegenteil: Teilweise werden uns sogar Steine in den Weg gelegt. Maßnahmen wie die Bezahlkarte oder Einschränkungen beim Arbeitsmarktzugang sind oft politisch motiviert und sollen abschrecken.


Quotation Mark

Die Debatten in Berlin gehen völlig an der Realität der Menschen vorbei


Belit Onay


Auch in der Bevölkerung scheinen die politischen Positionen immer weiter auseinanderzurücken. Wie geht man als Stadtregierung damit um?

Die zunehmende Polarisierung spielt sich oft auf einer Meta- und Gefühlsebene ab. Unsere Aufgabe ist es, das auf die reale Lebenswelt herunterzubrechen: Was sind die konkreten Probleme der Bürger? Wie lösen wir sie? Viele Menschen erleben große Debatten in Berlin, aber vor Ort fehlt es im Portemonnaie. Das Leben wird teurer, soziale Ungleichheiten werden spürbarer. Ein Beispiel: In meiner Bürgersprechstunde erzählen mir Schüler und Schülerinnen, dass ein Döner früher 5 Euro gekostet hat – heute sind es 8 oder 9 Euro. Das klingt banal, aber es zeigt, wie Preissteigerungen den Alltag betreffen. Und stattdessen wird in Berlin über die Schuldenbremse philosophiert oder über die Haushaltssituation. Ich glaube, das geht völlig an der Realität der Menschen vorbei. Hier vor Ort ist das ein Vorteil, weil wir realitätsnah an den Herausforderungen dran sind.

Was wünschen Sie sich für den aktuellen Wahlkampf? Oft scheint es, als würden sich die Parteien vor allem gegenseitig schlechtmachen, obwohl es gerade jetzt wichtig wäre, als demokratische Parteien zusammenzurücken.

Viele legen im Wahlkampf den Fokus auf "Kampf". Das ist aktuell spürbar und wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Entfremdung zwischen den Parteien und Fraktionen. Dabei muss man sich klarmachen: Der Wahlkampf ist irgendwann vorbei – spätestens am 23. Februar. Danach muss immer die Möglichkeit bestehen, sich in die Augen zu schauen und zu sagen: "Wir kommen noch mal zusammen für das Land." Die Partei muss dann zweit- oder drittrangig sein. Deshalb halte ich es für fatal, wenn innerhalb des demokratischen Spektrums Parteien kategorisch ausgeschlossen werden. Österreich ist ein warnendes Beispiel: Dort haben politische Blockaden letztlich der FPÖ den Weg geebnet. Das dürfen wir nicht zulassen. Der Wahlkampf darf keine Wunden hinterlassen, die nicht mehr zu heilen sind.

In diesen Zeiten in der Politik tätig zu sein – keine einfache Sache, egal auf welcher Ebene. Wie oft haben Sie schon überlegt, das Handtuch zu werfen?

Gar nicht. Allerdings ist es nicht immer schön, das muss man ehrlicherweise sagen. Und es hinterlässt Spuren bei mir – angefeindet zu werden, rassistisch beleidigt zu werden, bedroht zu werden. Das macht nicht Lust auf die Arbeit. Aber ich werde mich nicht zurückziehen oder klein beigeben. Denn es geht um wahnsinnig viel: wie die Gesellschaft sich in Zukunft aufstellt. Und das treibt mich immer wieder an, zu sagen: Es ist kein Selbstzweck, sondern ich will das Land besser und die Stadt besser machen. Das ist schließlich mein Auftrag.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Onay.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Belit Onay, Oberbürgermeister der Stadt Hannover
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