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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Historikerin über Stadtimage "Wir setzen Hannover-Klischees nicht genügend entgegen"
Verschlafen, langweilig, provinziell – mit diesen Adjektiven wird die niedersächsische Landeshauptstadt oftmals beschrieben. Doch woher kommt Hannovers ödes Image?
Hannoveraner kennen sie zur Genüge, die ganzen Klischees über die Stadt. Warum aber haben viele so ein negatives Bild von Hannover? Und was wäre nötig, um das zu ändern? Historikerin Vanessa Erstmann, Autorin des Buches "Reden wir von Hannover – das wird genügend harmlos sein", beantwortet diese und andere Fragen im Interview mit t-online.
t-online: Frau Erstmann, was halten Sie von Hannover?
Vanessa Erstmann: Mein persönliches Bild ist positiv. Ich bin gebürtige Hannoveranerin und lebe ausgesprochen gerne hier. Ich kenne die diversen Vorzüge der Stadt, zum Beispiel, dass sie sehr von Grün durchzogen ist und viel Kultur und insbesondere Musik bietet.
Das Image von Hannover ist hingegen ein anderes, wie sie auch in Ihrem Buch aufzeigen. Was ist das Schlimmste, das Sie je über Hannover gehört oder gelesen haben?
Besonders gemein finde ich die Aussage, dass Hannover eigentlich keine Stadt, sondern eine "Autobahnabfahrt zwischen Göttingen und Walsrode" sei. Oder dass die Hannoveraner "Vernunftapostel und Emotionsverstecker" seien. Ansonsten werden häufig die bekannten Negativklischees aufgewärmt, die auf die vermeintliche Provinzialität und Mittelmäßigkeit Hannovers abzielen: so etwas wie "langweiligste Republik". Ebenfalls sehr platt sind Pauschalismen wie "Nichts ist doofer als Hannover".
Zur Person
Dr. Vanessa Erstmann, Jahrgang 1985, ist in Hannover geboren und aufgewachsen. Die Historikerin promovierte 2023 an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität über das Image Hannovers. Aus ihrer Doktorarbeit ist das kürzlich erschienene Buch "Reden wir von Hannover – das wird genügend harmlos sein. Eine Stadt auf der Suche nach ihrem Image" entstanden (Olms Verlag, 30 Euro).
Warum hat Hannover denn so ein ödes Images?
Das liegt unter anderem in der Geschichte der Stadt begründet, denn Hannover war eben lange etwas rückständig. Im Grunde genommen hat sich die Stadt erst im Zuge der beginnenden Industrialisierung nachholend modernisiert. Stadtbewohner definieren sich aber nun mal auch durch den Rückgriff auf die Geschichte einer Stadt und identifizieren sich dann mit dieser. Und das tun die Hannoveraner kaum.
Hat das nur mit der früheren Rückständigkeit der Stadt zu tun?
Nein, daneben gab es noch weitere Einschnitte in der Geschichte. Zunächst wurde Hannover zwar im 17. Jahrhundert Residenzstadt, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht zu einer prachtvollen Residenzstadt ausgebaut. Hannover hatte dann im Zuge der Personalunion, als der hannoversche Herrscher auf dem englischen Thron saß, sehr lange keinen repräsentativen Hof. Da ist die Stadt über mehr als 120 Jahre in eine Art Dornröschenschlaf gefallen.
Und danach?
1866 ist die Stadt von Preußen annektiert worden – und tatsächlich zur Provinzhauptstadt "degradiert" worden. Das war für viele das Trauma. Dabei bedeutete Provinz damals eigentlich nur "Gebiet", das war nicht abwertend gemeint. Aber so ist es wahrgenommen worden. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt dann stark zerstört. So sind auch noch viele identitätsstiftende Bauwerke verschwunden.
Man hat sich selbst als mittelmäßig definiert, woraus eine mittelmäßige Werbetätigkeit resultierte.
Dr. Vanessa Erstmann
Welche Rolle kommt dem Stadtmarketing zu? Wurde Werbung für die Stadt verschlafen?
Zu Beginn nicht. Schon Ende des 19. Jahrhunderts hat ein Bürgerverein aus privater Initiative heraus damit angefangen, mit bestimmten Aktionen die Außenwahrnehmung zu optimieren. Aber die Stadtverwaltung selbst hat sich erst sehr spät dazu entschlossen, in die Stadtwerbung einzusteigen. Das ist in den meisten Städten in den 1920er-Jahren passiert. Hannover hingegen hat erst 1929 ein Fremdenverkehrsamt gegründet und blieb leider bis auf wenige Ausnahmen überwiegend ideenlos in Sachen Stadtwerbung.
Warum?
Man hat eher die Haltung gehabt: "Wir sind kein Hamburg oder München und können gegen andere Städte wie Frankfurt, Nürnberg oder Leipzig auch nicht antreten, da wir weder vergleichbare Sehenswürdigkeiten noch Historie besitzen." Das heißt: Man hat sich selbst als mittelmäßig definiert, woraus eine mittelmäßige Werbetätigkeit resultierte. Die hat sich in den folgenden Jahren durchgezogen, mit Ausnahme einzelner Akteure.
Die Stadt bestellte schließlich sogar einen eigenen Imagepfleger, um ihren Ruf aufzupolieren.
Genau, Mike Gehrke hat als Stadtimagepfleger ein eigenes Amt bekommen – das gab es in keiner anderen Stadt in Deutschland. Er koordinierte und popularisierte über 30 Jahre lang Image-Aktionen, die den Freizeitwert, die Bürgerbeteiligung und das Lebensgefühl in der Stadt steigerten. Dazu zählten Kunst im öffentlichen Raum, der Flohmarkt, die Altstadtfeste. Da ist die Stadt sehr mutig vorangegangen und hat eine Vorreiterrolle eingenommen. Das ist von anderen Städten kopiert worden.
Aber das hat alles nichts gebracht?
Die Lebensqualität hat sich dadurch natürlich verbessert und die Stadt ist bunter geworden. Die Hannoveraner sind zufrieden, wie Städte-Rankings immer wieder zeigen. Aber es hat eben nicht dazu geführt, dass sie sich groß mit ihrer Stadt identifizieren. Oder sie tragen es zumindest nicht nach außen. Sie sind keine ausreichend guten Multiplikatoren. Die braucht es aber, um ein positives Image zu verbreiten.
Hannoveraner werben also selbst zu wenig für ihre Stadt?
Sozusagen. Und wir machen uns umso angreifbarer, je weniger wir den Vorurteilen entgegensetzen. Das finde ich sehr schade. Wir könnten uns von dem Lokalstolz der Kölner etwa eine Scheibe abschneiden.
Wir machen uns umso angreifbarer, je weniger wir den Vorurteilen entgegensetzen
Dr. Vanessa Erstmann
Stattdessen sagen viele Hannoveraner, sie seien froh, dass nicht alle wüssten, wie schön es in der Stadt ist – sonst kämen alle und die Mietpreise würden explodieren.
Dieses Understatement ermüdet mich, denn damit machen es sich die Hannoveraner zu einfach. Wir brauchen Touristen und Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen, um den Wirtschaftsstandort zu stärken und die Kulturszene zu stützen. Von der Gastronomie und den Hotels ganz zu schweigen. Wenn wir unsere Potenziale mehr ausschöpfen und nach außen tragen, bleiben wir trotzdem schon allein aufgrund der Größe im Bereich der B-Städte. Dadurch würden wir unsere Lebensqualität nicht einbüßen, im Gegenteil.
Was wäre Ihrer Meinung nach eine gute Strategie, um das Image unserer Stadt zu verbessern?
Wichtig wäre, dass man die Vorzüge, die die Stadt hat, noch stärker in Kampagnen herausstellt und um neue Ereignisse ergänzt. Und dann konstant an einem Leitbild arbeitet, es über Jahrzehnte pflegt. Es muss immer wieder neu bespielt und belebt, mit neuen Geschichten erzählt werden. Aber es braucht eben auch Zeit, um so ein Image festzusetzen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Erstmann.
- Telefoninterview mit Dr. Vanessa Erstmann