Campen fürs Klima Wie ein Zeltlager die Gesellschaft verändern will
Im "System Change Camp" in Hannover wollen Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung voneinander lernen. Das heißt aber nicht, dass öffentliche Protestaktionen vom Tisch sind.
Im Georgengarten in Hannover hat die Klimagerechtigkeit ihre Zelte aufgeschlagen. Zwischen den Bäumen des Parks stehen Pavillons und Campingzelte, vorwiegend junge Menschen stapfen dazwischen in Regenjacken über die Wiese, sitzen auf Bierbänken oder Strohballen und unterhalten sich. Eine Woche lang treffen sich hier Aktivisten verschiedener Organisationen, um sich weiterzubilden, sich zu vernetzen. Öffentlichkeitswirksame Aktionen sind laut den Organisatoren nicht geplant.
"Der Fokus liegt hier auf Bildung und strategischem Austausch", sagt Rita Tesch, Sprecherin des "System Change Camp". Rund 800 Menschen sind ihrer Schätzung nach vor Ort. Jeden Tag finden circa 30 Workshops und Diskussionen statt, sie thematisieren die Klimakrise, die Erlebnisse in Lützerath, aber auch die kurdische Freiheitsbewegung oder etwa das Bürgergeld.
"Wir sind ein kämpferisches Camp"
Das bedeute aber nicht, dass Blockaden und Ähnliches für die Klimagruppen vom Tisch sind. "Wir wollen erst einmal wieder zusammenkommen", sagt Tesch. "Denn es braucht eine Idee, um den System Change herbeizuführen. Ohne darüber zu sprechen, was wir eigentlich wollen und was die Welt verändern kann, können wir keine Aktion machen. Das gehört zusammen." Die 24-Jährige lächelt und fügt hinzu: "Wir sind ein kämpferisches Camp."
Austausch und Protest findet Tesch gleich wichtig. "Wir müssen alle Menschen dazu einladen, darüber nachzudenken, wie eine andere Welt aussehen kann. Aber wir müssen sie auch erstreiten", sagt sie. "Ziviler Ungehorsam und Besetzung sind ein sinnvolles Zeichen, um zu zeigen, dass wir nicht einverstanden sind mit der Welt, wie sie ist." Aber gerade dieses Camp zeige, dass es ganz viele Wege im Kampf gegen die Klimakrise gebe. "Und alle diese Wege müssen gegangen werden."
Angst davor, wie es mit der Welt weitergeht
Wege, an denen zum Beispiel "Gender CC – Women for Climate Justice", "Fridays For Future", "Gemeinsam gegen die Tierindustrie", "Leinemasch bleibt" oder die "Letzte Generation" arbeiten, um nur einige der Gruppen zu nennen, die an dem Camp teilnehmen. Tesch selbst gehört seit fünf Jahren "Ende Gelände" an, einem Bündnis der Anti-Kohlekraft-Bewegung. "Ich habe Angst davor, wie es weitergeht mit der Welt. Aber auch große Hoffnung, Menschen zu finden, denen es genauso geht und die den gleichen Weg gehen wollen", sagt sie.
Der Weg führt für viele der Gruppen eben auch über Massenaktionen, wie etwa Blockaden im Braunkohledorf oder am Atomkraftwerk. Darauf werden sie im Camp etwa durch Aktionstrainings vorbereitet. Die Hannoveranerin Emma Horn (Name von der Redaktion geändert) und ihre Kollegen von "Skills4action" vermitteln darin zum Beispiel Taktiken, wie Aktivisten sich wegtragen lassen können, ohne dass es wehtut, wie sie ihre Augen nach einem Pfefferspray-Einsatz ausspülen sollten oder an wen sie sich für Rechtshilfe wenden können. "Wichtig ist vor allem, dass eine Gruppe nicht unvorbereitet in Aktion tritt und dass sie aufeinander aufpasst", sagt sie.
Im "System Change Camp" leben die Aktivisten ihre Utopie
Aufeinander achten ist im Camp ebenfalls eine Devise. Die Campmitglieder organisieren sich selbst; jeder kann sich auf einem großen Bord für verschiedene Aufgaben und Schichten eintragen, um zu kochen oder abzuwaschen, Müll zu entsorgen oder die Toiletten zu putzen. Hierarchien gibt es keine. "Alle schauen, dass alles läuft", sagt Sprecherin Tesch, die in Hamburg lebt.
Strom wird durch aufgestellte Solarzellen generiert, zum Mittagessen gibt es vegane Speisen. Über Vorschläge zum Campleben wird im Konsens entschieden, es gibt Rückzugsorte speziell für POC (people of colour) und Flinta (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) – jeder und jede soll sich wohlfühlen.
Antikapitalismus, Awareness und Antidiskriminierung werden hier großgeschrieben. "Wir bemühen uns, dass wir das, was wir leben wollen, hier schon realisieren." Entspricht das Camp denn der Gesellschaft – dem System – das Tesch sich erträumt? "In vielen Punkten ja. Ich wünsche mir auch im Alltag, mit mehr Menschen in Kontakt zu sein und die Aufgaben, die wir haben, gemeinsam zu organisieren", sagt sie. "Ich finde es schön, dass man sich hier im Camp nicht allein behaupten muss, sondern das kollektiv und solidarisch angeht." Dann fügt sie mit Blick auf ihre matschbeschmierten Schuhe hinzu: "Aber ich weiß nicht, ob ich mein ganzes Leben lang im Regen zelten will."
- Besuch des "System Change Camp"