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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Zusätzlicher Stress" Hannover hat die Vier-Tage-Woche getestet - das Ergebnis ist ernüchternd
Die Stadt Hannover hat drei Monate lang eine modifizierte Viertagewoche getestet. Beschäftigte berichten, wie sie das Pilotprojekt empfunden haben.
An vier Tagen regulär arbeiten und den fünften für Weiterbildungen und Teambuilding nutzen – das haben zwei Bereiche der Stadtverwaltung Hannover drei Monate lang getestet. Die Erfahrungen aus diesem "Viertagewoche Plus" genannten Pilotprojekt seien insgesamt nicht so positiv wie gedacht, resümiert Personaldezernent Prof. Lars Baumann nun. "Das Modell hat zusätzlichen Stress in den Teams verursacht."
Vor allem am Anfang der Pilotphase Mitte März sei dies zu spüren gewesen, das zeige auch die begleitende Studie der Hochschule Hannover. Die 32 teilnehmenden Beschäftigten mussten ihre Arbeit mit dem Wechsel in das neue Modell plötzlich an vier Tagen schaffen.
"Wir mussten uns anders organisieren"
"Wir hatten den Anspruch, mehr Zug reinzukriegen, wir mussten uns anders organisieren", berichtet Petra Thomassen aus der Taskforce Digitalisierung, die an dem Projekt teilgenommen hat. "Natürlich belastet einen eine zusätzliche Organisation." Sie musste etwa auch einen festen wöchentlichen Termin mit Beschäftigten anderer Bereiche, der nun auf den für Weiterbildungen vorgesehenen Plus-Tag fiel, auf einen anderen Tag legen. "Finden Sie mal mit zehn Mitarbeitern, die es seit einem Jahr gewohnt sind, sich freitagnachmittags zu treffen, einen anderen Tag unter der Woche", sagt sie. "Auch das ist Organisationsstress."
Dennoch seien Thomassens Arbeitstage während der "Viertagewoche Plus" vergleichbar gewesen mit ihren gewohnten Arbeitstagen. "Ich habe es nicht als viel anders als sonst empfunden. Auch da gibt es immer mal die Situation, dass Aufgaben übrig bleiben oder man etwas länger bleiben muss. Bei uns gestaltet sich sowieso jeder Arbeitstag unterschiedlich."
Ihr Chef, Lennart Schaer, fand besonders den Aufwand vor dem Start des Experiments hoch. "Ich war als Führungskraft besonders herausgefordert, weil eine 'Viertagewoche Plus' nicht für alle Mitarbeiter gleichermaßen etwas ist", sagt er. "Wir haben zum Beispiel einige Kollegen in Teilzeit, bei denen wir erst mal eine mögliche Integration in das Modell finden mussten."
Auch der "arbeitsfreie" Tag muss organisiert werden
Ein weiterer Stressfaktor war, so zeigen es die Forschungsergebnisse der Hochschule, dass die Teams ihren wöchentlichen Plustag selbst organisieren mussten. Zum Beispiel haben die Beschäftigten in anderen Arbeitsbereichen hospitiert, einen Gesundheitspräventivtag absolviert oder als Teambuildingsmaßnahme Actionpainting gemacht.
"Das musste ebenfalls alles organisiert werden – an welchem Tag man das macht, wie man dort hinkommt oder welche Ansprechpartner zur Verfügung stehen", sagt Sascha Kusz, der im Bereich Wahlen und Statistik an dem Projekt teilgenommen hat. "Das ist natürlich keine Freizeit, sondern immer noch ein Termin – auch wenn sich dieser Termin positiv entwickelt und alle danach mit einem Lächeln nach Hause gehen."
Als Team mehr zusammengewachsen
Damit spricht er auf das Positive des Experiments an. Denn in beiden teilnehmenden Teams habe sich dies bemerkbar gemacht: Die Motivation sei höher gewesen und die Teamarbeit habe besser geklappt. "Einen Tag pro Woche zur freien Verfügung zu haben, war wirklich super gut", bestätigt Digitalchef Schaer. Denn während der Corona-Phase habe sich das Team wenig gesehen. Durch die nun möglichen Teamtage seien die Mitarbeiter wieder mehr als Team zusammengewachsen.
An dem Experiment von Mitte März bis Mitte Juni nahm die Taskforce Digitalisierung sowie der Bereich Wahlen und Statistik teil. Eine "echte" Viertagewoche konnte die Stadt nicht durchführen, da der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst in der kommunalen Verwaltung dies noch nicht zulässt. Die Hochschule Hannover begleitete das Projekt. Studierende des Masterstudiengangs Digitale Transformation beobachteten und befragten die Beschäftigten, um herauszufinden, wie sich das Modell auf die Arbeit auswirkt.
Studien aus England und Island zeigen etwa, dass eine richtige Viertagewoche zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit, einer besseren Work-Life-Balance und besseren Gesundheit beiträgt. Die Krankheitstage der teilnehmenden Beschäftigten nahmen etwa in der Studie aus England um zwei Drittel ab. Laut Personaldezernent Baumann kann ein solches Modell zudem die Kommune als Arbeitgeberin attraktiver machen. Das bestätigten etwa die vielen E-Mails, die Baumann bekommen habe, in denen es hieß: "Wenn ihr dauerhaft eine Viertagewoche einführt, dann bewerbe ich mich bei euch."
Für echte Viertagewoche müsste Tarifvertrag geändert werden
"Wir werden uns dem Thema weiterhin widmen und untersuchen, in welchem Modus eine echte Viertagewoche bei der Landeshauptstadt machbar ist", sagt Baumann. Um diese fest einzuführen, könne es aber noch Jahre dauern. Voraussetzung dafür sei zunächst, dass die Tarifparteien den Weg frei machten. Die nächste Chance dafür wäre 2025 gegeben.
Das käme auch bei den Teilnehmern des Experimentes zur "Viertagewoche Plus" gut an. Denn, so fasst es Digitalchef Schaer zusammen: "Trotz des gestiegenen Stresses war es das wert."
- Pressekonferenz zur Viertagewocheplus
- presse.hannover-stadt.de: Mitteilung der Stadt Hannover vom 18. Juli 2023