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Frankfurter Allerheiligenviertel: Zwischen Schießereien und Gentrifizierung


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Das “unheilige” Viertel
Zwischen Shisha-Rauch, Schießereien und Gentrifizierung


26.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Die Häuserwand ziert aktuell ein riesiges Mural vom Graffiti-Künstler Cor, in Anspielung auf den Ukraine-Krieg (rechts.) Davor zeigte die Hausfassade ein Zitat von Rapper Hassan Annouri (links).Vergrößern des Bildes
Die Häuserwand ziert aktuell ein riesiges Mural vom Graffiti-Künstler Cor, in Anspielung auf den Ukraine-Krieg (rechts.) Davor zeigte die Hausfassade ein Zitat von Rapper Hassan Annouri (links). (Quelle: Katrin Börsch / Hannelore Förster/imago-images-bilder)

Zwischen Shisha-Rauch, Schießerei und Shit: Frankfurt ist geprägt durch seine Szeneviertel. In bester Innenstadtlage verbirgt sich hinter dem Allerheiligenviertel ein Brennpunkt mit unrühmlichem Image. Doch das Viertel ist im Aufwind.

Aufruhr auf der Allerheiligenstraße in Frankfurt: Am Abend des 29. Januar 2021 stürmt eine Gruppe Vermummter in Richtung eines Kiosks. Davor versammeln sich acht Personen. Zwei der Angreifer tragen Waffen mit sich. Ein 23-Jähriger sondert mindestens sechs Schüsse auf eine der Personen ab.

Ein 30-Jähriger schießt mindestens fünfmal in Richtung der Gruppe. Dabei wird ein Mann von einer Kugel verletzt. Auch weil die Gruppe schnell ins Innere des Kiosks drängt, um Schutz zu suchen, passiert nichts Schlimmeres.

Knapp ein Jahr ist die Schießerei nun her. In der Presse wird von Clan-Kriminalität berichtet. Das Gesicht des Viertels hat sich seitdem nicht merklich verändert: Immer noch bieten Dealer Drogen auf der Straße an. Als die "kleine Schwester" des Bahnhofsviertels ist das Allerheiligenviertel verschrien.

Die kleine Schwester des Frankfurter Bahnhofviertels?

Es hat den Ruf, ein Anlaufpunkt für sogenannte "weiche Drogen" wie Haschisch und Marihuana zu sein. Den harten Stoff gibt's im Bahnhofsviertel. Auch etwas Rotlicht ist im "unheiligen" Viertel ansässig: Auf der Breiten Gasse locken des Nachts vier Bordelle.

Das Viertel zwischen Zeil und Battonstraße, zwischen Konstablerwache und Langer Straße hat aber noch mehr zu bieten. Ein buntes gastronomisches Angebot und eine Handvoll Gemüsehändler, die ihre Waren auf üppigen Auslagen präsentieren, prägen ebenfalls das Straßenbild.

Julia Eberz ist Grünenpolitikerin im Stadtparlament und wohnt seit 2013 im Viertel. Sie schätzt den multikulturellen Charakter des Quartiers: "Hier leben ganz viele unterschiedliche Menschen. Das Allerheiligenviertel ist das Gegenteil von versnobt – es ist einfach authentisch". Die zentrale Lage direkt an der Konstablerwache sei ebenfalls sehr von Vorteil.

Doch leider seien die Probleme in den vergangenen Jahren gewachsen. "Es ist schade, weil viele Probleme von außen hier reingetragen werden", meint Eberz. Die Täter etwa, die die Schüsse an jenem Januarabend abgesondert haben, kamen aus Erlensee und Rodgau.

Droht die Gentrifizierung?

Das ist im August 2021 bekannt gemacht worden – als die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sechs Männer erhoben hat. Dass es sich bei der Schießerei um Clan-Kriminalität handeln soll, kann sich Eberz nicht so recht vorstellen.

Grundsätzlich fühle sie sich sicher im Viertel: "Auch als Transperson habe ich keine Probleme hier. Ich bin noch nie blöd angemacht worden." Sie befürchtet jedoch die Gentrifizierung: "Das Mietniveau wird steigen. Das sehe ich mit großer Sorge. Drogenkonsumentinnen und -konsumenten sowie Wohnungslose gibt es hier nicht in dem Ausmaß wie im Bahnhofsviertel. Man kann sich also vorstellen, dass die Mieten hier sogar noch schneller steigen werden."

Mitten durch das Viertel zieht sich die Allerheiligenstraße. Sie bildet die Hauptschlagader und zugleich den Brennpunkt. Seit Juni 2018 sollen Überwachungskameras auf der Kreuzung zur Stoltzestraße für mehr Sicherheit sorgen. Dadurch hat sich der Drogenhandel auf die Klingerstraße, parallel zur Stoltzestraße, verlagert. Die Bar gehörte früher der Rapperin Schwesta Ewa.

Die Maßnahme wird in der Stadtpolitik und unter Anwohnern kontrovers diskutiert. Die einen befinden sie für sinnvoll, andere glauben nicht daran, dass die Straßen dadurch sicherer werden. Schließlich hat die Schießerei im Januar 2021 genau an dieser Kreuzung trotz Kameraüberwachung stattgefunden.

Anwohner Frank Hartmann: "Das Viertel braucht eine Lobby"

Frank Hartmann wohnt seit 2007 in der Allerheiligenstraße. Er blickt aus einem großzügigen Fenster im Treppenhaus seines Wohnhauses und deutet auf die Häuserzeile schräg gegenüber. Dort reihen sich ein Eckkiosk, eine Shisha-Bar und zwei weitere Bars aneinander. "Die Lärmbelästigung ist hier leider oft sehr ausgeprägt", klagt er.

Der Anwohner berichtet von angeblichen Corona-Partys in den Bars mit berauschten Randalierern und Schlägereien mitten in der Nacht. "Bevor die Überwachungskameras kamen, gab es hier auch häufig illegale Auto- und Motorradrennen über die Allerheiligenstraße", sagt Hartmann.

Er lebe trotzdem gerne im Viertel. Wie Julia Eberz schätzt auch er die zentrale Lage und die Authentizität. Deshalb hat er nach der Schießerei im Januar 2021 ein Aktionsbündnis aus Anwohnern gegründet. "Das Viertel braucht eine Lobby", findet Hartmann.

Der Zusammenschluss wolle gegen den Lärm und die Gewalt ausgehend von dem nächtlichen Publikum vorgehen, sagt Hartmann. Die Polizei leiste sehr gute Arbeit, findet er. Nur vom Ordnungsamt würde er sich wünschen, dass es härter durchgreife. Denn dieses sei für Beschwerden wie Lärmbelästigung zuständig.

Gegenüber dem kleinen Rotlichtviertel grenzt ein brach liegendes Areal an die Breite Gasse. Es ist gesäumt von Bauzäunen und nimmt die ganze Fläche bis zur Langen Straße ein. Marode Bauten und verlassene Hinterhöfe sind dem Erdboden gleichgemacht worden. Nur noch ein denkmalgeschütztes Haus steht auf dem Gelände.

Mit dem "Main Yard" soll hier ein "nachhaltiges und ökologisches Stadtquartier" entstehen – so schreibt es die zuständige Projektgesellschaft Green Alley GmbH auf ihrer Webseite. Hinter dem Projekt steht die Ort Group. Bis 2025 sind hier rund 13.500 Quadratmeter Wohnfläche, Gastronomie- und Einzelhandelsbereiche, ein Design-Hotel sowie eine Tiefgarage geplant.

Künstler Cor malt eine Friedenstaube für die Ukraine

Wer das Viertel von Osten kommend zum Allerheiligentor hin betritt, dem eröffnet sich der Blick auf ein hübsches Eckhaus mit zwei Türmchen. Es prägt das charakteristische Eingangsbild des Viertels. Daneben ragt das einzige noch übrig gebliebene Haus auf der "Main Yard"-Baustelle hervor. Die Häuserwand ziert ein riesiges Mural vom Graffiti-Künstler Cor, dessen bürgerlicher Name Julius Becker lautet.

Eine Friedenstaube mit ausgebreiteten Flügeln umklammert mit ihren Krallen einen blau-gelben Olivenbaumzweig – eine Anspielung auf die Farben der ukrainischen Nationalflagge. Der Künstler möchte ein Zeichen der Solidarität im russischen Krieg gegen die Ukraine setzen.

Zuvor zierte eine ebenfalls politische Botschaft die großflächige Wand: "Wir sind alles Frankfurter" stand dort bis Ende Februar in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund geschrieben. Dahinter verbirgt sich eine Kampagne des Rappers Hassan Annouri: "Das steht für Diversität, gegen Diskriminierung und Homofeindlichkeit – einfach für ein buntes Frankfurt, für das wir Frankfurter uns einsetzen", erklärt Annouri. Er hat das Video für seinen gleichnamigen Song zum Teil hier gedreht.

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Eine gute Aussicht auf Cors Wandgraffiti und die gesamte "Main Yard"-Baustelle hat Leon Spanier. Im fünften Stock des angrenzenden Gebäudes befindet sich sein Büro. Von seinem Fenster aus kann er das Viertel überblicken: von dem charakteristischen Eckhaus am Allerheiligentor, über Cors Mural an der Häuserwand und das brachliegende Bauareal bis hin zu den roten Lichtern in der Breiten Gasse.

Dahinter thront die Skyline. Der freiberufliche Videograf sagt: "Dass sich das Viertel wandelt, finde ich grundsätzlich gut. Solange die Gentrifizierung für wirkliche Aufwertung sorgt und nicht gegen den Charakter des Viertels arbeitet, ist das doch positiv."

Die Immobilienwirtschaft tut jedenfalls einiges im Viertel. Neben dem "Main Yard" gibt es aktuell zwei weitere große Bauvorhaben: An der oberen Allerheiligenstraße entsteht ein tegut-Supermarkt. Mit dem Rotlichtviertel im Rücken werden zudem in der Albusstraße die Eigentumswohnungen "Downtown 21" gebaut. Zusammen mit dem Großprojekt "Main Yard" ist das für das recht kleine Quartier allerhand.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräche vor Ort
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