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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mafia-Experte Roberto Saviano "Das Kokain, das Frankfurter ziehen, ist aus italienischem Handel"
Die Mafia führt ihre Machenschaften längst nicht mehr nur in Italien durch – auch in Deutschland ist sie aktiv. Der Autor Roberto Saviano erklärt, welche Rolle Frankfurt dabei spielt.
Er ist der Stachel im Fleisch der italienischen Regierung: der Schriftsteller und Mafia-Experte Roberto Saviano. Er lebt unter konstantem Polizeischutz, seit er 2006 mit seinem Buch "Gomorrha" die Strukturen der neapolitanischen Mafia "Camorra" aufdeckte. Mit der aktuellen italienischen Regierung unter der postfaschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Fratelli d'Italia) gerät Saviano immer wieder aneinander. Vergangenen Herbst musste er ein Strafgeld zahlen, weil er die Regierung öffentlich als "Bastarde" beschimpfte.
Zur diesjährigen Buchmesse in Frankfurt, bei der Italien als Ehrengastland dabei ist, lud die italienische Regierung Saviano nicht in die offizielle Delegation ein. Auf Einladung seines Verlags und des Buchmessen-Chefs Juergen Boos reiste Saviano dennoch an. t-online hat ihn zum Interview getroffen und mit ihm über Populismus, Geldwäsche in Deutschland und die Mafia in Frankfurt gesprochen.
t-online: Die italienische Regierung hat Sie nicht eingeladen, Teil der offiziellen italienischen Delegation für die diesjährige Buchmesse zu sein. Wieso sind Sie trotzdem gekommen?
Roberto Saviano: Auf der Pressekonferenz haben sie damals stolz verkündet, dass ich nicht eingeladen bin. Der Chef der Buchmesse, Juergen Boos, hat mich daraufhin auf eigene Faust eingeladen. Das war ein sehr intelligenter und solidarischer Akt, denn so bringt man eine Regierung in Schwierigkeiten. Auf diesen Akt habe ich natürlich reagiert, aber vielleicht hätte ich auch mit Schweigen reagieren sollen. Denn sie wollten genau das, sie wollen Krach. Das Ziel dieser Delegation war es zu sagen, mit Figuren wie Saviano wollen wir nichts zu tun haben. Sie wollten zeigen: Diese Person ist unser Limit.
Hätten Sie überhaupt Teil der Delegation sein wollen?
Nein. Diese Delegation hat auch einen politischen Charakter. Daher repräsentiert sie die Politik, nicht das Land. Und zu dieser gehöre ich nicht.
Roberto Saviano
Roberto Saviano, 1979 in Neapel geboren, ist italienischer Schriftsteller und Journalist. 2006 machte der Tatsachenroman "Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra" Saviano weltweit bekannt. Seitdem lebt der Mafia-Gegner wegen der Bedrohung durch die Organisierte Kriminalität unter Polizeischutz. Saviano ist Träger verschiedener Auszeichnungen, wie dem Geschwister-Scholl-Preis. Seine Bücher, darunter "ZeroZeroZero. Wie Kokain die Welt beherrscht", über die Mafia und den Drogenhandel sind internationale Bestseller. Gerade ist Savianos neuester Roman "Falcone" über den 1992 ermordeten Mafia-Jäger Giovanni Falcone im Hanser-Verlag erschienen.
Die Delegation soll Italien in Deutschland auf vereinte und positive Weise repräsentieren. In Italien leiden Schriftsteller oftmals aber unter Repressionen, auch Sie. Ist das nicht scheinheilig?
Viele Schriftsteller haben Kritik an der Regierung geübt, obwohl sie Teil der Delegation sind. Andere hingegen sind nicht erschienen. Aber am Ende ist es alles Rhetorik. Man will lediglich die Schönheit des Landes rüberbringen, aber diese Erzählung ist falsch. Die Schönheit sollte vielmehr der Anreiz sein, den Finger in die Wunde zu legen. Außerdem ist diese Schönheit kein Verdienst der Regierung und der Italiener. Oder waren sie es etwa, die das Kolosseum gebaut haben? Sie wollten Deutschland das heroische Italien zeigen, das den meisten Deutschen auch gefällt, und das ist ihnen gelungen.
Der Schriftsteller Antonio Scurati war einer der 41 Autoren, die einen Protestbrief geschrieben haben, als die italienische Regierung Sie nicht in die Delegation eingeladen hat. Auch er wirft der Regierung vor, zensiert worden zu sein. Welche Beziehung haben Sie zueinander?
Wir kennen uns seit sehr vielen Jahren. Ich erinnere mich an die Situation, als er seine Teilnahme am Musik-Festival "di Ravello" abgesagt hat, nachdem der Politiker Vincenzo De Luca mich nicht dabeihaben wollte.
De Luca ist von der sozialdemokratischen Partei "Partito Democratico". Sind also auch die Linken gegen Sie?
Populismus funktioniert in jede politische Richtung. Die Politik duldet keine intellektuelle Arbeit.
Vor einigen Monaten erschien Ihr Roman "Falcone" über den gleichnamigen sizilianischen Mafia-Richter in Deutschland. Haben Sie ein neues Projekt?
Ich produziere gerade einen Podcast. Wir arbeiten daran, dass er auch in Deutschland erscheint. Die Lust zu erzählen ist groß, auch wenn ich immer müder werde.
Nach Deutschland fließt ein Großteil des Vermögens der Mafia. Ist Frankfurt ein Hotspot für die Organisierte Kriminalität?
Natürlich, denn Frankfurt ist gleichzeitig der Hotspot des finanziellen Kapitals. Mafiosi investieren im Allgemeinen in Versicherungen und Banken. Das läuft in Deutschland alles ganz geregelt ab, daher fällt es auch keinem auf. Deutschland hat keine echten Gesetze zur Bekämpfung der Geldwäsche. Man kann hier tonnenweise Bargeld zur Bank bringen, ohne überhaupt nachweisen zu müssen, wo er herkommt. Wenn ich heute Abend Kokain für 200.000 Euro verkaufen würde, wüsste ich schon genau, wo ich es in Deutschland legal anlegen kann.
Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe. Nach zwei totalitären Regimen herrscht einerseits die Angst, dass Anti-Mafia-Gesetze im Namen der Kriminalitätsbekämpfung Rechte verletzen könnten. Aber es kommt dem Land auch gelegen, weil die Masse an Geld, die die Mafia in deutsche Kassen spült, die deutsche Wirtschaft überschwemmt.
Würden Sie sagen, Frankfurt ist die mafiöseste Stadt Deutschlands?
Das ist schwer zu sagen. Wie mafiös eine Stadt ist, misst man meistens an der Fläche des Territoriums, das die Mafia kontrolliert. Das ist hier in Frankfurt nur in einigen Zonen der Fall, da geht es aber eher um nicht-italienische Organisationen. Ich würde also nicht sagen, dass Frankfurt eine von der Mafia kontrollierte Stadt ist, aber es ist sicher die Hauptstadt des kriminellen deutschen Kapitalismus. Daraus folgt: Das Kokain, das die Frankfurter ziehen, ist Kokain aus italienischem Handel.
"Frankfurt ist die Hauptstadt des kriminellen deutschen Kapitalismus"
Roberto Saviano
Vor einigen Tagen gab es im Frankfurter Westend eine Razzia, bei der 300.000 Euro Bargeld, sechs Kilo Kokain und auch Geldzählmaschinen beschlagnahmt wurden. Für wie wichtig erachten Sie solche Razzien?
Razzien sind essenziell, weil sie das kriminelle Werkzeug auslöschen. Die wirtschaftliche Macht der Mafia mindern sie nicht, in dem Sinne sind sie nutzlos. Aber für die Organisierte Kriminalität sind sie dennoch ein harter Schlag, weil die gesamte Befehlskette neu bestimmt werden muss. Aber die Razzien produzieren gewissermaßen auch ein falsches Bild.
Inwiefern?
Wenn so eine Razzia dann in den Nachrichten kommt, gibt das den Deutschen das Gefühl, dass nur Migranten für die Kriminalität verantwortlich sind: Italiener, Marokkaner, Ukrainer, Moldawier, Albaner und so weiter. So ist das aber nicht. Sie agieren vielleicht in erster Instanz, sprich, die Migranten sind es oft, die das Kapitel von der Straße holen. Aber letztendlich landet es in einem finanziellen Kreislauf: in Banken, im Bau, im Handel, in der Lebensmittelindustrie, in der Textilbranche.
Sie können keinen Fuß mehr ohne Personenschutz vor die Tür setzen, auch hier nicht. Wie organisiert man eine Reise durch Europa unter diesen Bedingungen?
Das kommt auf die Reise an. Auf der Buchmesse ist es relativ entspannt, diesmal habe ich nur drei Personenschützer. Aber im Allgemeinen entscheidet immer das Land, wo ich hinreise, ob es mir Personenschutz stellt oder nicht. Die USA stellten mir beispielsweise schon zweimal kein Visum aus, weil sie meinen Aufenthalt als zu riskant erachteten.
Zum Abschluss: Welches ist Ihr Lieblingsbuch?
Diese Frage kann ich unmöglich beantworten. Wirklich unmöglich. Aber ich verrate Ihnen meinen liebsten deutschen Schriftsteller: Uwe Johnson. In seinen Werken, Mutmaßungen über Jakob und Jahrestage, höre ich wirklich sein Deutschsein raus.
Herr Saviano, vielen Dank für das Gespräch.
- Gespräch mit Roberto Saviano