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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Warnstreik an Uniklinik Streikendes Pflegepersonal: "Die Unterbesetzung geht an die Psyche"
Am Frankfurter Uniklinikum wird für Entlastung im Pflegeberuf gestreikt – auch, weil sich die Beschäftigten zunehmend um Nachwuchs sorgen.
Statt zur Frühschicht erscheinen Hunderte Pflegekräfte der Uniklinik am Donnerstagmorgen zum Streiken vor ihrer Arbeitsstelle. "Mehr von uns ist besser für uns alle", tönt es rhythmisch aus einem Megafon, die Pflegekräfte wiederholen laut. Sie rasseln und rufen, halten Plakate und Banner in die Luft. Es ist der erste Streiktag zu den aktuellen Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Uniklinik Frankfurt, der von der Frühschicht am Donnerstag bis zur Spätschicht am Freitag andauern soll. 4.000 Pflegekräfte waren zum Streik aufgerufen, gekommen sind 300. Die medizinische Versorgung wird unterdessen mit einer Notdienstvereinbarung gewährleistet.
Den Streikenden geht es nicht erstrangig um Geld oder Anerkennung. Die Gewerkschaft fordert einen Tarifvertrag zur Entlastung der Beschäftigten. Unter anderem geht es um die Einhaltung selbst gesetzter Personalschlüssel – etwa zur Anzahl von Patienten pro Pflegekraft, zu besseren Ausbildungsbedingungen und zum Ausgleich für Arbeit in Überlastungssituationen. "Entlastung für alle, sonst gibt's Krawalle" oder "Wir fühlen uns ausgebrannt, unsere Antwort: Widerstand", rufen die Pflegekräfte, während sie über das Klinikgelände laufen.
"Ich bin abends einfach richtig fertig", beschreibt Anna ihre Situation. Die 22-Jährige ist seit März mit ihrer Ausbildung fertig. In der Anästhesie arbeite sie gerne, erzählt sie. "Aber ich arbeite lange und intensiv, da habe ich abends kaum mehr Energie, noch was zu machen." Ihrer 23-jährigen Kollegin Keelin geht es ähnlich. "Die Beine sind abends einfach kaputt. Unsere hohe Arbeitsbelastung ist so eine Selbstverständlichkeit", ärgert sie sich. Das mache den Job dauerhaft nicht attraktiv.
Wegen der Impfpflicht haben Pflegekräfte gekündigt
Zwei Pflegekräfte aus der Ambulanz und Unfallchirurgie, die ihren Namen lieber für sich behalten möchten, berichten von einer "Unterbesetzung, die auf die Psyche" gehe. "Einerseits denkt man an den Patienten und andererseits muss man selbst klarkommen." Eigentlich seien sie in ihrem Team zu fünft; weil zwei Personen gegangen sind, müssten sie aktuell zu dritt alle Aufgaben übernehmen. "Die ganze Station ist überlastet", sagt ihre Kollegin. "Man muss Prioritäten setzen, aber den ganzen Tag hat eigentlich alles Priorität."
Auch die Impfpflicht habe einige Mitarbeiter gekostet, sagen sie. Manche hätten komplett den Berufszweig gewechselt und seien jetzt beispielsweise im Einzelhandel tätig. "Nichts gegen die Impfung, aber dass die Pflicht nur für unseren Bereich gilt, ist ungerecht."
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Die Demonstrierenden laufen eine Schleife über den Theodor-Stern-Kai. Der Straßenverkehr wird stark ausgebremst. "Zeigt euch solidarisch und drückt auf die Hupe", fordert ein Mann mit Megafon. Dem Beistand der außenstehenden Autofahrer folgt Beifall – spätestens seit der Corona-Pandemie ist die Gesellschaft für die Arbeit der Pflegekräfte sensibilisiert. Am Freitagmorgen wollen sie in Richtung Stadtzentrum zum Willy-Brandt-Platz ziehen, um noch mehr Passanten zu erreichen.
"Die Pflegearbeit ist ein unverzichtbarer Beruf", sagt Thomas Völker, Referent von den Linken im Hessischen Landtag, der ebenfalls am Marsch teilnimmt. "Wir können alle krank werden, wir werden alle alt, jeder von uns ist auf die Pflege angewiesen."
Auch die Frankfurter SPD solidarisiert sich mit den streikenden Pflegekräften. "Viele Beschäftigte kehren dem Gesundheitssektor den Rücken zu – und das, obwohl in der Pandemie viel Aufmerksamkeit und Respekt gezeigt wurde. Dieser ging jedoch über Klatschen und mündliche Bekundungen nicht hinaus: Die Löhne und Arbeitsbedingungen haben sich seitdem nicht merklich verbessert. Das muss sich jetzt endlich ändern", teilen die Sozialdemokraten mit.
Auch Volt stellt sich auf die Seite der Streikenden. "Wir solidarisieren uns mit den Beschäftigten der Frankfurter Universitätsklinik, die nicht erst seit der Corona-Pandemie eine hohe Belastung schultern. Ein Entlastungstarifvertrag, wie er in NRW flächendeckend durchgesetzt wurde, ist eine wichtige Maßnahme, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen", heißt es.
Lea Leydecker von der Labordiagnostik der Uniklinik hört gar nicht mehr auf aufzuzählen: "Blutvergiftungen, Röntgenbilder, Herzprobleme, Blutkonserven, Covid-Tests, Krebsdiagnosen." Das seien die Bereiche, für die die Arbeit ihres Teams unverzichtbar sei. "Wir sind aus dem gleichen Grund wie alle da, wir sind überlastet."
Streikende fordern auch Zeit für Toilettenpausen
"Im Alltag geht es auch um die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen", sagt Rieke Kolbeck aus der Anästhesie, die als Delegierte bei den Verhandlungen dabei ist. "Zum Beispiel, dass es Zeit für Trink- und Toilettenpausen gibt und man die vorgesehene Pause machen kann, ohne Unterbrechungen durch Anrufe." Bisher gab es keine Einigung, am kommenden Montag soll es eine weitere Verhandlungsrunde geben. "Der Vorstand zeigt sich bemüht", sagt Kolbeck.
Neben den Arbeitsbedingungen stehen auch die Ausbildungsbedingungen auf dem Plan der Verhandlungen. "Wir sind so damit beschäftigt auszugleichen, was das reguläre Personal nicht schafft, dass die Ausbildung leidet", sagt Philipp. Er ist Auszubildender im dritten Lehrjahr. Patienten waschen, Botengänge, Hilfs- und Zuarbeiten ließen zu wenig Zeit mit Mentoren und Praxisanleitern, für die Theorie, eigene Recherche und Pflegetechniken.
Maxi Eckert und Julia Blank sind Praxisanleiterinnen und kennen die Ausbildungssituation von der anderen Seite. "Wir sind die ersten Ansprechparterinnen für die Azubis im Betrieb." Ihre Aufgabe als Anleiterinnen wird erst seit etwa einem Jahr überhaupt entlohnt, 72 Euro brutto bekämen sie dafür. "Wir arbeiten aber ganz normal unseren Dienst als Krankenschwestern."
Inoffiziell gebe ihre direkte Vorgesetzte ihnen einen Tag im Monat Zeit, um sich um die Vorbereitung der Anleitertage zu kümmern. Alles Weitere falle in die Zeit nach Dienstschluss und in die Freizeit.
"Es geht ja nicht nur darum, Neuerungen mitzuteilen oder sie in den neuen Bereich einzuweisen", sagt Blank. "Wir leisten auch psychische Betreuung: Der erste Tote, der erste Schwerverletzte oder ungewöhnliche Operationen, das ist für viele erst mal hart."
Eine Notdienstvereinbarung stellt sicher, dass die Notfallversorgung gesichert ist. Doch für die Tage ist das OP-Programm gestrichen worden, der HNO-Bereich und weitere Stationen sind geschlossen. Doch Rieke Kolbeck versichert: "Niemand kommt zu Schaden." Alles darüber hinaus geht nur mit ausreichend Pflegepersonal.
- Eigene Beobachtungen vor Ort
- Mitteilung der SPD Frankfurt
- Mitteilung von Volt Frankfurt