Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Düsseldorfer Rosenmontagszug Wagenbauer Jacques Tilly: "Israel war für mich immer ein Tabu"
Die politischen Wagen von Jacques Tilly im Düsseldorfer Rosenmontagszug sind weltberühmt. Wegen der vielen Krisen mangelt es in diesem Jahr nicht an Ideen.
In Düsseldorf ist der Rosenmontagszug der Höhepunkt im Karneval. Ein riesiger Festzug mit geschmückten Wagen und Fußgruppen zieht dann durch die gesamte Innenstadt und Hunderttausende bejubeln an den Straßen den Zug mit einem dreifachen "Helau".
Unter den Dutzenden Wagen sind die zwölf politischen Mottowagen von Satiriker Jacques Tilly weltberühmt. Sei es der russische Präsident Wladimir Putin, Olaf Scholz oder die katholische Kirche: Die Bilder der Wagen des 60-Jährigen zu aktuellen politischen Themen gehen um den Erdball. Auch in diesem Jahr wird mit Spannung erwartet, was sich der Künstler für den 12. Februar hat einfallen lassen. Erst wenn die Wagen zur Aufstellung aus der Halle in Bilk gefahren werden, wird das gut behütete Geheimnis gelüftet. t-online hat mit Jacques Tilly vorab gesprochen.
t-online: Herr Tilly, wir haben immer noch den Krieg in der Ukraine, dazu den Krieg in Nahost und in Deutschland gehen Hunderttausende gegen rechts auf die Straße. Fliegen Ihnen in diesem Jahr die Themen für die politischen Wagen nur so zu?
Jacques Tilly: Als politisch eingestellter Mensch betrübt es mich, was zurzeit auf der Welt mit den vielen Krisen passiert. Aber schlechte Zeiten sind nun einmal gute Zeiten für einen Satiriker – das ist schon immer so gewesen. Momentan können wir uns wirklich nicht über fehlende Themen beschweren, aber es gab auch ganz andere Jahre.
Fällt Ihnen spontan eins ein?
2013 war überhaupt nichts los. Da saßen wir hier und fragten uns: Was machen wir? Merkel schlief vor sich hin, Griechenland war gerettet, es gab noch Obama und keine AfD. Damals war eigentlich alles in Ordnung.
Was kann man in der jetzigen, viel aufregenderen Zeit gut finden?
Die Hunderttausenden oder Millionen von Demonstranten auf den Straßen. Sie zeigen, dass Deutschland endlich aufgewacht ist und dass die Menschen es nicht mehr passiv dulden wollen, dass am rechten Rand der Brand immer größer wird. Das ist toll und wird selbstverständlich bei der Planung unserer politischen Wagen berücksichtigt. Aber wie in jedem Jahr sind auch ein paar Wagen noch offen, falls kurzfristig etwas passiert.
Was könnte das sein?
Wenn China in Taiwan etwa einmarschiert oder der Papst heiratet (lacht). Dann können wir notfalls auch in der letzten Nacht vor Rosenmontag einen Wagen bauen. Manchmal ist das auch schon vorgekommen.
Wann war das?
Als Christian Wulff als Bundespräsident zurückgetreten ist und am Sonntagabend vor Rosenmontag durchsickerte, dass Joachim Gauck sein Nachfolger wird. Da haben wir die ganze Nacht durchgearbeitet und eine passende Figur gebaut, damit die Leute am Rosenmontag ganz aktuell Bescheid wissen konnten. Es gab wirklich schon Wagen, die morgens mit noch feuchter Farbe losgefahren sind, weil sie gerade erst fertig wurden.
Sie bauen seit 1983 die Mottowagen, aber Israel war noch nie ein Thema. Wird sich das in diesem Jahr ändern?
Israel war für mich aufgrund unserer historischen Verantwortung immer ein Tabu. Aber es wäre jetzt ein Fehler, weltpolitische Themen allerersten Ranges auszuklammern.
Also wird es einen oder gar mehrere Wagen zum Krieg in Nahost geben?
Eigentlich darf ich dazu gar nichts sagen, aber natürlich habe ich mir meine Gedanken gemacht. Wir sind aber noch mitten in der Bauphase, das Ergebnis ist vollkommen offen.
Worin besteht die Schwierigkeit?
Man muss mit einem ganz besonderen Fingerspitzengefühl herangehen. Es dürfen keine Wagen entstehen, die später womöglich auf der rechten Seite auftauchen oder antisemitisch gelesen werden könnten. Man sollte hier ganz genau hinschauen, dass man keinen Mist baut. Ich muss eine Bildformel finden, die allen Kriterien gerecht wird. Ob mir das gelingt, werden wir Rosenmontag sehen.
Ein Thema könnte doch noch der erneute Bahnstreik der GDL werden. Wie wäre es mit einem Wagen nur für Claus Weselsky?
Verdient hätte er einen auf jeden Fall – und zwar voll auf die Zwölf. Bisher habe ich noch keinen Wagen in Planung, aber ich halte den Streik für ziemlich unverschämt. Für Hunderttausende Menschenleben ist der Streik jeden Tag ein unglaublicher Umstand, weil sie abhängig von der Bahn sind. Wegen des Streiks verkompliziert sich deren Leben ungemein. Übrigens auch für Leute aus meinem Team, die ausgerechnet jetzt in der heißen Bauphase Probleme haben, von außerhalb nach Düsseldorf zu kommen.
Ihre politischen Wagen haben in der Vergangenheit nicht allen gefallen. Wie gehen Sie mit der Kritik um?
Das ist eine Charakterfrage. Manche belastet das, aber mir ist das völlig egal, was ich alles so an negativer Resonanz erhalte. Mir macht es sogar Spaß: Ich sammle das, hefte das ab und erfreue mich manchmal sogar an deren Kreativität bei ihren Hassbotschaften. Und weil ich ja auch austeile, muss ich auch einstecken können.
Aber Sie haben doch auch schon Morddrohungen erhalten. Hört da der Spaß nicht auf?
Meine Frau sagt immer: "Den können sie ruhig umbringen, aber nur für einen guten Wagen. Es muss sich schon lohnen." Wir gehen also sehr locker damit um.
Wie sieht jedes Jahr der Ideenprozess aus?
Es ist eine sehr quälende Arbeit. Man muss durch ein tiefes Tal der Durchschnittlichkeit, weil einem zunächst nur langweiliges Zeug einfällt. Das darf vielleicht woanders fahren, aber nicht in Düsseldorf. In Düsseldorf brauchen wir ikonische Bilder, die über viele Jahre Bestand haben. Da kann ich nicht die erstbeste Idee nehmen. Die Besonderheit liegt ja darin, dass ich das jeweilige Thema nicht nur darstellen, sondern ja auch bewerten möchte – polemisch, bissig und gemein. Und mit einer Aussage, hinter der ich stehe.
Welche Regeln gibt es für Sie beim Bau der politischen Wagen?
Götter und Propheten sind tabu, aber das Bodenpersonal bekommt einen drüber. Deshalb ist auch Religion Thema im Karneval. Denn Religion ist für mich Menschenwerk und Menschenwerk kann sich irren. In allen Religionen gibt es Fehlentwicklungen, und die muss man aufzeigen.
Sie sind im vergangenen Jahr 60 Jahre alt geworden. Wie lange wollen Sie eigentlich als Wagenbauer arbeiten?
Sieben Jahre will ich noch machen, dann ist Schluss und es müssen die Jüngeren ran. Das Team ist groß genug, aber einen Kronprinzen oder eine Kronprinzessin gibt es noch nicht. Für mich steht jedenfalls fest, dass ich hier nicht mehr als uralter Mann die Wagen bauen möchte. Ein paar Entwürfe kann ich vielleicht noch machen, aber mehr nicht.
Und was kommt dann?
Ich habe so viele Interessen und Themen, in die ich mich hineinfressen möchte. Zum Beispiel will ich mehr über die äußersten Grenzen der menschlichen Erkenntnis wissen.
Das klingt nach keinem kurzen Projekt.
Stimmt, aber ich habe neulich zu meinem Erstaunen festgestellt, dass es neurologisch oder quantenphysikalisch noch nicht den geringsten Ansatz einer Theorie gibt, wie Bewusstsein entsteht. In solche Themen will ich hinein.
- Interview mit Jacques Tilly