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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Wenn du mich siehst, dann weine" Hungersteine in der Elbe: Warnungen aus der Vergangenheit
Bei extremem Niedrigwasser zeigen sich in der Elbe jahrhundertealte Denkmäler. Vor allem zwischen Decín und Pirna gibt es diese steinernen Zeugnisse häufig – was steckt dahinter?
Ein besonders eindrucksvoller Hungerstein liegt an der Elbe in Decín und markiert das Jahr 1616. Er liegt am linken Elbufer unterhalb der Tyrš-Brücke. Damit zählt der Hungerstein in Decín zu den ältesten hydrologischen Denkmälern an der Elbe. Noch ältere soll es gegeben haben. Historische Aufzeichnungen berichten von Inschriften aus den Jahren 1417 und 1473. Die wurden aber vermutlich durch ankernde Schiffe abgerieben.
Auch heute noch werden diese Steine bei Niedrigwasser sichtbar – als mahnende Botschaften aus der Vergangenheit. Die in Flussbett und Gewässergrund eingravierten Wasserstandsmarkierungen tragen meist Jahreszahlen und manchmal auch Inschriften. Sie dokumentieren das Niedrigwasser und die damit verbundene Not der Menschen.
Daher kommt auch der Name "Hungersteine". Denn in früheren Jahrhunderten bedeutete eine Dürre auch eine schlechte Ernte und meist Hunger. Die Steine wurden oft von Menschen geschaffen, die am und auch vom Fluss lebten. Also von Schiffern und Fischern. Der Wassermangel schädigte den Schiffsverkehr, die Flößerei, den Fischfang und die Landwirtschaft, und die Menschen litten Not.
Hungerstein an der Augustusbrücke
Die Geschichte der Hungersteine geht zwar bis in das 15. Jahrhundert zurück. Dokumentiert sind Inschriften aus den Jahren 1417, 1473, 1616 (Hungerstein in Decín), 1654 und 1666. Öffentliche Aufmerksamkeit erlangten sie jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
So berichtete zum Beispiel die Teplitzer Zeitung im August 1876 auch vom Niedrigwasser an der heutigen Augustusbrücke: "Die Elbe bietet infolge der anhaltenden Dürre einen traurigen Anblick, wie er seit 1842 nicht mehr vorgekommen ist: überall ragen die Hungersteine hervor und der Meterpegel an der Dresdner Elbbrücke wird vom Wasser gar nicht mehr berührt."
Im Stadtgebiet Dresden gibt es acht bekannte Hungersteine: In Pillnitz, zwei in Laubegast, in Tolkewitz, zwei in Blasewitz, in der Neustadt an der Augustusbrücke und in Cotta. Die neuesten Markierungen stammen aus den Jahren 2018 und 2019.
Geologe: Die Inschrift ist eine klare Ansage an uns
Die auffällige Häufung der Hungersteine zwischen Decín und Pirna hat einen historischen Hintergrund, erklärte Geologe Jan-Michael Lange im Deutschlandfunk. Er vermutet einen Zusammenhang mit den jahrhundertealten Steinbrüchen in der Region: Die Steinmetze, die bei Niedrigwasser ihre Waren nicht transportieren konnten, nutzten ihre Kenntnisse, um die Warnungen in Stein zu meißeln.
Die wohl bekannteste Inschrift findet sich auf einem Hungerstein in Decín: "Wenn du mich siehst, dann weine" – eingemeißelt von einem Schiffseigner im Jahr 1904. Auch 120 Jahre später hat diese Botschaft nichts an Aktualität eingebüßt, sagt Geologe Jan-Michael Lange: "Wir müssen nicht sofort hungern, wenn sie zutage treten, aber sie warnen uns doch immer noch vor Extremwetter-Ereignissen."
- Eigene Recherchen
- deutschlandfunknova.de: Uralte "Hungersteine": Eine Warnung vor Dürre und Not