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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verlieren zwölf Schulen ihre Sozialarbeiter? Schülerin warnt: "Damit bricht unser Schulalltag zusammen"
Um das Haushaltsloch zu stopfen, wird bei mehr als 70 Dresdner Einrichtungen im Kultur- und Sozialbereich der Rotstift angesetzt. Betroffene warnen vor massiven Einschnitten.
Nach fast zehn Jahren am Gymnasium Bürgerwiese erhielt Schulsozialarbeiter Wieland Köhler einen blauen Brief von der Stadt. Seine Stelle soll ab April 2025 ersatzlos gestrichen werden – genau wie die seiner Kollegin.
Laut den Sparplänen von Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) soll an zwölf Dresdner Schulen die Schulsozialarbeit vollständig wegfallen – an neun weiteren soll sie deutlich zusammengestrichen werden. "Mit dieser Kürzung bricht der Schulalltag an unserer Schule komplett zusammen", warnt die Zehntklässlerin Luci vom Gymnasium Bürgerwiese bei einer Protestveranstaltung am Mittwochabend. Sie befürchtet mehr Schulabbrüche, nicht bestandene Abiturprüfungen und psychische Probleme unter den Schülern, wenn die Sozialarbeiter wegfallen.
Ihr Lehrer Florian Heinrich argumentiert neben sozialen auch mit ökonomischen Folgen: Es möge vielleicht zynisch klingen, aber mit frühzeitiger Unterstützung von Jugendlichen mit Problemen "verhindern wir vielleicht teure Therapien in der Zukunft".
"Liste der Grausamkeiten": Mehr als 70 Einrichtungen betroffen
Für Hilbert sind die Kürzungen alternativlos, um das Haushaltsloch im dreistelligen Millionenbereich zu stopfen. Bis auf die gesetzlichen Pflichtleistungen müsste alles infrage gestellt werden, teilte das Rathaus der "Dresdner Morgenpost" mit.
Neben der geplanten Erhöhung von Grundsteuer, Kita-Beiträgen und Parkgebühren erhielten deshalb auch mehr als 70 Einrichtungen blaue Briefe mit Ankündigungen von Kürzungen und Schließungen. Unter Kritikern sind die Pläne längst als "Liste der Grausamkeiten" bekannt.
Wir haben in diesem Jahr deutlich mehr Todesfälle in unserem Projekt verzeichnet.
Heidi Hemmann, Sozialarbeiterin
Die Straßensozialarbeit für Erwachsene "Safe Dresden" soll etwa ganz eingestellt werden. "Wenn alles so kommt, wie es gerade aussieht, haben ab dem 1. Januar 2024 etwa 1.500 Menschen keine Ansprechpartner mehr", sagt Sozialarbeiterin Heidi Hemmann, die schwerpunktmäßig mit Menschen arbeitet, die mit Sucht-Thematiken oder Wohnungslosigkeit kämpfen. Die Kürzungen kämen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, führt sie auf der Protestveranstaltung aus.
"In diesem Jahr nehmen wir vermehrt wahr, dass psychische Belastungen massiv steigen, psychische Krankheiten zunehmen und mehr Menschen ihre Wohnung verlieren", so Hemmann weiter, die in den vergangenen Monaten jede Woche eine neue Räumungsklage auf dem Tisch hatte. "Außerdem haben wir in diesem Jahr deutlich mehr Todesfälle in unserem Projekt verzeichnet."
Viele ihrer Klienten stecken ihr zufolge in so tiefen Krisen, dass sich Hemmann noch gar nicht getraut habe, ihnen zu berichten, dass das Projekt in wenigen Wochen vielleicht gar nicht mehr existiert. Zumal sie viele Betroffene nicht an andere Projekte vermitteln könne – da die Schwelle viel zu hoch sei. "Das bedeutet, dass Menschen, die sich in der extremsten Form von Armut befinden, sich selbst überlassen werden."
Unter dem Motto "Kürzungen? Nicht mit uns!" haben sich nun Vertreter aus Pflege, Kultur und Sozialeinrichtungen zusammengeschlossen. Wenn Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) am 21. November den Haushalt im Stadtrat einbringt, planen sie eine Demonstration. Zudem starteten sie eine Petition, die bereits über 12.000 Unterstützer fand.
- Reporter vor Ort
- dresden.de: Petition "Kürzungen? Nicht mit uns!"
- tag24.de: Dresdens OB Hirk Hilbert stellt radikale Sparpläne vor