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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sage oder PR-Gag? Wer war der "Wilde Mann", nach dem ein Dresdner Stadtviertel benannt ist?
Ein Einsiedler rettete einem Kurfürsten das Leben – so die Legende. Gab es diesen "Wilden Mann" wirklich oder war es die findige Werbemaßnahme eines Dresdner Gastwirts?
Die Sage über den "Wilden Mann" tauchte erstmals 1895 im Dresdner Anzeiger auf. Demnach soll Kurfürst Johann Georg im Jahr 1648 von Räubern überfallen worden sein. Ein Einsiedler soll ihm das Leben gerettet haben. Zum Dank schenkte der Kurfürst dem "Wilden Mann" ein kleines Areal an der heutigen Döbelner Straße in Trachenberge. Die Sage schließt mit den Worten: "Da hat denn der Fürst befohlen, zu bauen Gehöft und Haus, an selbiger Stelle, wo ihn der Riese gehauen heraus, dem soll es gehören zum Dank für das, was er getan, und soll geheißen werden das Haus Zum wilden Mann."
Tatsächlich scheint diese Sage aber nur ein früher PR-Gag gewesen zu sein. Gustav Emil Weber, von 1852 bis 1932 Eigentümer des Gasthofs "Wilder Mann", wollte wohl mit 43 Jahren die Anziehungskraft seiner Gaststätte erhöhen. Die Sage und Webers Werbestrategie hängen offenbar zusammen.
Im Gastraum soll ein Ölgemälde gehangen haben: Ein Ritter wird im Wald bei Trachenberge überfallen, ein bärtiger wilder Mann befreit ihn.
"Wilder Mann" Dresden: Vom Weingut zum beliebten Ausflugsziel
Das Stadtviertel "Wilder Mann" liegt im Nordwesten von Dresden in den Stadtteilen Pieschen und Trachenberge. Und dass das Viertel bis heute so heißt, hat wahrscheinlich weniger mit der Sage zu tun als mit einem Ausflugslokal und einem Gutsbezirk, die es dort wirklich gegeben hat.
Diese urkundliche Belegung geht zurück auf ein Weingut in der Döbelner Straße, das 1680 von dem Dresdner Bürgermeister Philipp Strobel gegründet wurde. Dort wurde Wein, Most und Bier ausgeschenkt. Das Gut wurde später durch mehrere Anbauten auf der Döbelner Straße erweitert und neben dem Ausschank wurde gebacken, geschlachtet und Branntwein hergestellt. Das Wirtszeichen, das sich seit 1710 am Eingang der alten Gutsschenke befand, hatte die Gestalt des "Wilden Mannes".
Großer Sprung ins Jahr 1883, in dem die Reblaus dem Weinbau den Garaus machte. Aber die Gastwirtschaft blieb erhalten, und der bereits erwähnte geschäftstüchtige Gastwirt, Gustav Emil Weber, machte den "Wilden Mann" zu einem beliebten Ausflugsziel am nordwestlichen Stadtrand, mit Gastronomie und Musikkapellen, die im Garten spielten. Die Bekanntheit der Gaststätte gab dem Viertel seinen Namen.
Bis heute tragen dort viele Geschäfte den Namen "Wilder Mann": Hotel, Restaurants, Tierarztpraxis, Apotheke, Döner-Imbiss – ganz unabhängig davon, wer nun wirklich mit dem "Wilden Mann" gemeint war.
- Eigene Rechereche