Extremismusforscher zum Urteil gegen Lina E. "Die Gewalt droht jetzt zu eskalieren"
Nach dem Urteil gegen mutmaßliche Linksextremisten begrüßen viele den Richterspruch. Doch ein Extremismusforscher übt Kritik.
Das Urteil gegen Lina E. ist auf geteilte Reaktionen gestoßen. Während Politiker und Polizei es begrüßten, kritisierten es andere, wie der Extremismusforscher Hajo Funke.
Die 28-jährige Studentin war am Mittwoch in Dresden zu fünf Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Sie wurde schuldig gesprochen wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung, Urkundenfälschung sowie der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schrieb auf Twitter: "Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus. Wir müssen unsere liberale Demokratie schützen vor ihren Feinden, doch nicht mit Selbstjustiz." Recht und Gesetz gelten für alle, hieß es weiter. "Wo die Grenzen der Rechtsordnung überschritten werden, sind Staatsanwaltschaft & Polizei gefordert."
Faeser: "Es sind Hemmschwellen gesunken"
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hält das Urteil für gerechtfertigt. "Im demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Raum für Selbstjustiz geben", hieß es in einer Mitteilung. Sie sieht zudem eine zunehmende Gefahr durch linksextreme Gewalttäter. "In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen", so die Politikerin zum Urteil.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sieht ein "klares Signal eines funktionierenden Rechtsstaates". Die Justiz habe sich von deren monatelangen Drohungen nicht einschüchtern lassen, sagte der DPolG-Bundesvorsitzende Rainer Wendt laut Mitteilung.
Der Extremismusforscher Hajo Funke hält die Strafe dagegen für zu hart. "Das Urteil basiert nur auf Indizien", sagte Professor Hajo Funke t-online. Es sei "eine sehr harte Entscheidung für sehr schwache Beweise". Funke warnte zudem vor den Folgen der Verurteilung von Lina E. "Die linke Szene verselbstständigt sich. Man wird sich wehren."
Prof. Dr. Hajo Funke
Funke, Jahrgang 1944, gehört zu den renommiertesten Extremismusforschern Deutschlands. Er war lange an der Freien Universität Berlin tätig. Seit 2010 ist er im Ruhestand, beschäftigt sich allerdings noch immer intensiv mit seinem Forschungsgebiet.
Gewalt sei immer abzulehnen. Das seiner Ansicht nach zu harte Urteil spiele nun allerdings gewaltbereiten Tendenzen innerhalb der linken Szene in die Karten. "Die Gewalt droht jetzt zu eskalieren. Das zu harte Urteil schweißt die gewaltbereite Linke zusammen und stärkt sie." Das sei keine gute Entwicklung und hätte vermieden werden müssen, so der Experte. "Das Gericht wollte abschrecken. Aber das wird nach hinten losgehen."
Prozess gegen Lina E. in Dresden: "Mit zweierlei Maß gemessen"
Funke kritisierte auch die Behörden, die zu wenig gegen rechte Gewalt getan hätten: "Seit über 30 Jahren gibt es starke, gewaltbereite rechte Gruppen, die sich zum Beispiel in Sachsen und Thüringen relativ frei bewegen können." Hier hätte der Staat früher Härte zeigen müssen.
Der Unterstützerverein Rote Hilfe (Göttingen) sprach unter Verweis auf die "dünne" Beweislage von einem "politischen Skandal". Der Verein unterstützt linke Aktivisten, die im Rahmen ihrer politischen Aktivitäten mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Der Prozess habe "von vornherein" zum Ziel gehabt, die Angeklagten "stellvertretend für die antifaschistische Bewegung zu kriminalisieren und einzusperren", teilte die Bundesgeschäftsstelle mit. So seien fragwürdige Anhaltspunkte zuungunsten der Beschuldigten interpretiert und entlastendes Material systematisch ignoriert worden.
- Interview mit Professor Hajo Funke
- Eigene Recherchen
- Mit Material von dpa