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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Auf nassen Straßen hält Kleber besser" Solidarität mit Waldbesetzung: "Letzte Generation" blockiert Dresdner Kreuzung
Eine Stunde steht der Verkehr still. Die Mahnwache auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht der Blockadeaktion gespalten gegenüber.
So schnell ist die Polizei selten bei einem Unfall vor Ort. Als es auf der Kreuzung Zellescher Weg/Bergsstraße kracht, ist die Polizei längst da: Das Dresdner Bündnis Parents For Future hatte eine Mahnwache gegen die Erweiterung des Kiesabbau in der Lausitz – nördlich von Dresden – angemeldet.
Die Protestierenden der "Letzte Generation" haben an der gleichen Kreuzung eine Blockadeaktion geplant – eine Solidaritätsbekundung mit den Waldbesetzern in der Lausitz: Das sollte bis zuletzt geheim bleiben, doch in einem Bericht der "Sächsischen Zeitung" wurde der Pressetreffpunkt veröffentlicht. Die Polizei weiß also längst, was los ist, als eine Gruppe aus elf jungen Erwachsenen die Straße betritt. Eine Aktivistin bekommen die Beamten noch zu fassen, bevor der Kleber getrocknet ist. Um 8.11 Uhr klebt die erste Person auf der Straße.
"Leider wächst die Solidarität mit zivilem Ungehorsam"
Der Sekundenkleber trotzt dem leichten Schneefall – dem feuchten Asphalt sowieso: Aktionssprecherin Hannah Wolf behauptet, dass der Kleber bei Nässe sogar besser halten würde: "Es gibt Aktivisten, die suchen sich eine Pfütze und halten ihre Hand rein, bevor sie sich auf die Straße kleben."
Im Verlauf der Aktion wird sich zeigen, dass die Biotechnologiestudentin damit falsch liegt. Doch erstmal hält der Kleber – kein Auto kommt mehr durch, nur für Linienbusse haben die Klima-Kleber eine Lücke gelassen: "Wir haben das diesmal ausprobiert, weil den ÖPNV wollen wir eigentlich nicht stören", so Wolf. Für den Fall, dass ein Notarztwagen durch muss, könnten drei unangeklebte Aktivisten jederzeit aufstehen.
"Macht dieses Ungeziefer von der Straße", ruft ein genervter Autofahrer, mehrere Passanten raunen den mittlerweile in Rettungsdecken eingehüllten Protestierenden "faules Pack" zu. Und selbst bei der Mahnwache auf der gegenüberliegenden Straßenseite – mit demselben Anliegen – ist Verständnis für Aktionen des zivilen Ungehorsams nicht uneingeschränkt: "Ich bin zum Beispiel gegen zivilen Ungehorsam", sagt Louise Hummel-Schrötter von Parents for Future Dresden. "Als ich vor ein paar Jahren angefangen habe, mich in der Klimabewegung zu engagieren, gab es ein ganz klares Bekenntnis, nicht zu solchen Aktionsformen zu greifen: Schon allein, weil an solchen Veranstaltungen Kinder und Jugendliche nicht teilnehmen können. Aber ich merke leider, dass die Stimmung kippt und die Solidarität innerhalb der Bewegung immer größer wird."
Mehr Verständnis als für die "Letzte Generation" hat Hummel-Schrötter für die Waldbesetzer im Heidebogen (kurz Heibo) in der Lausitz: "Ohne diese Besetzung hätte das Thema niemals die nötige Aufmerksamkeit bekommen." Dass der Kiesabbau nicht fortgesetzt wird, ist für Hummel-Schrötter ein Herzensthema: "Vor allem geht es mir darum, dass das Kieswerks Ottendorf-Okrilla nicht erweitert wird: Zum einen ist das schädlich, weil der Kies ein Wasserfilter und -speicher ist, der die umliegenden Naturschutzgebiete speist: Daher kommt auch das Trinkwasser der Region. Zum anderen werden die Baugruben mit Bauschutt befüllt, wodurch ebenfalls Schadstoffe ins Wasser kommen und die Moore zerstören."
Die "Letzte Generation" wollte mit ihrer Blockadeaktion am Freitagmorgen auf das gleiche Thema aufmerksam machen und sich mit der Waldbesetzung im Heibo solidarisieren. Doch was bringt eine blockierte Kreuzung den Aktivisten in den Baumhäusern nördlich von Dresden? "Die freuen sich über den Rückhalt, einige haben sich sogar angekündigt, sich mit uns auf die Straße zu kleben", erklärte die Sprecherin Hannah Wolf der "Letzten Generation" vor der Aktion.
Gegen 8.50 Uhr wurde die Versammlung von der Polizei aufgelöst und drei Aktivisten ohne Kleber an den Händen weggetragen. Anschließend löste die Polizei die Hände der festgeklebten Aktivisten von der Straße. Dafür waren extra geschulte Beamte vor Ort, erklärt der Einsatzleiter vor Ort.
Um 9.27 trugen die Einsatzkräfte die letzte Person von der Straße. Nach kurzen Verkehrssicherungsmaßnahmen rollte der Verkehr gegen 9.40 Uhr wieder. Im Dezember blockierten die Aktivisten der "Letzten Generation" knapp zwei Stunden die Nürnberger Straße. "Aufgrund der nassen Straßen hatte die Polizei dieses Mal ein viel leichteres Spiel, uns von der Straße zu lösen", berichtete ein Teilnehmer nach der Aktion.
- Reporter vor Ort