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Berlin: Wie Neukölln gegen illegalen Müll ankämpft – oder auch nicht


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"Habe die Hoffnung aufgegeben"
Wie Neukölln gegen illegalen Müll ankämpft – oder auch nicht

Von Ella Strübbe

28.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Illegaler Sperrmüll am Straßenrand in Neukölln (Archivbild): Der Bezirk ist für vermüllte Straßenzüge bekannt.Vergrößern des Bildes
Illegaler Sperrmüll am Straßenrand in Neukölln (Archivbild): Der Bezirk ist für vermüllte Straßenzüge bekannt. (Quelle: Rolf Kremming, Stefan Zeitz, imago - Montage t-online)

Ausrangierte Mikrowellen, Bauschutt und durchgesessene Sofas: Am Neuköllner U-Bahnhof Leinestraße finden die eigenen Füße vor Müll kaum Platz. Der Bezirk ist mit den Müllmassen überfordert.

Melike steht vorm "Oker Späti" und nippt an einem Energydrink. Nicht mal 50 Meter von ihr entfernt stapeln sich zwei Sofas am Straßenrand. "Die werden hier jetzt zwei bis drei Wochen stehen", sagt sie. Letztens hing sie über eine halbe Stunde in der Warteschleife der Service-Hotline der Berliner Stadtreinigung (BSR). Sie wollte illegalen Sperrmüll melden, irgendwann hat sie aufgelegt.

Heute nimmt die gebürtige Neuköllnerin die Sofas, Mikrowellen und Kühlschränke auf den Gehwegen und in den Parktaschen kaum noch wahr: "Du achtest nicht mehr drauf."

Neukölln lag in den Jahren 2017 bis 2020 stets auf Platz eins der Bezirke mit den meisten illegalen Müllablagerungen. 2021 wurden in Neukölln 10.053 Kubikmeter illegaler Müll abgeladen. Übertreffen konnte das nur Friedrichshain-Kreuzberg mit 11.248 Kubikmetern.

Illegaler Müll kostet Berliner rund 4,7 Millionen Euro pro Jahr

In ganz Berlin beseitigt die BSR laut eigenen Angaben durchschnittlich rund 34.000 Kubikmeter illegalen Müll pro Jahr. "Für die Beseitigung entstehen durchschnittliche Kosten von rund 4,7 Millionen Euro pro Jahr. Die BSR stellt dem Land Berlin diese Kosten in Rechnung", sagt Pressesprecher Sebastian Harnisch.

Illegale Ablagerungen sind zum Beispiel rechtswidrig entsorgter Müll – Sperrmüll, Elektroschrott, blaue Säcke – sowie unerlaubt abgeladener Bauschutt und widerrechtlich abgestellte Autowracks.

Die richtigen Ansprechpartner beim Thema illegale Ablagerungen seien die Ordnungsämter, so Harnisch. Im Rahmen von Ordnungswidrigkeitsverfahren nehmen sie die jeweiligen Sachverhalte auf, leiten Ermittlungen ein und beauftragen – je nach Art der illegalen Ablagerung – unterschiedliche Unternehmen mit der Beseitigung. "Die Ordnungsämter verfügen zudem über das rechtliche Instrumentarium, Streifengänge durchzuführen und Bußgelder zu verhängen", ergänzt der Pressesprecher.

Neuköllner Maßnahmen: Baumscheiben bepflanzen und Streife fahren

In Neukölln setzt man zuerst aber auf Präventionsarbeit. Im Rahmen der Kampagne "Schön wie wir, für ein lebenswertes Neukölln" finden immer wieder Aktionen in Kitas und Schulen statt. Die Kinder bepflanzen Baumscheiben und markieren mit Sprühkreide die Orte, an denen sie Müll eingesammelt haben. "Wir wollen schon bei den Kleinsten ein Bewusstsein schaffen", sagt Christian Berg, Pressesprecher des Bezirksamts Neukölln.

Vor drei Jahren habe man außerdem begonnen, zentrale Sperrmüllmärkte zu organisieren. Diese würden im Bezirk sehr gut angenommen. Die Neuköllner werden dort nicht nur ihren eigenen Sperrmüll los, sondern können sich am Ende des Tages vielleicht sogar noch das ein oder andere ausrangierte Schmuckstück mit nach Hause nehmen. Dennoch reicht Sensibilisierung allein auch in Neukölln nicht aus, um den Bergen an illegalem Sperrmüll Herr zu werden.

Das Ordnungsamt geht deshalb regelmäßig etwa im Mittelbuschweg direkt an den Ringbahngleisen zwischen den Bahnhöfen Neukölln und Sonnenallee sowie im Mittelweg am Friedhof Ecke Leinestraße auf Streife. "Der Mittelbuschweg ist eine tote Straße, wenn man so will", erklärt Berg. Kurz hinter dem S-Bahn-Ring sei es ruhig und am Mittelweg sei abends und nachts auch nicht viel los.

Häufig handele es sich bei dem illegalen Müll um Bauschutt oder anderen gewerblichen Müll. Privatpersonen werden seltener als Verschmutzer erwischt. "Wenn’s nicht anders geht, rufen wir auch mal die Polizei. Aber die meisten sind einsichtig und nehmen ihren Müll wieder mit", so Berg.

"Morgens macht die BSR alles sauber, abends steht hier wieder Müll"

Ganz anders hat es Gönül erlebt, die in der Bäckerei ihrer Tochter – "Ezo Breakfast & Coffee" – an der Schillerpromenade aushilft. Schon häufig habe sie Bauarbeiter angesprochen, die direkt neben dem Spielplatz ihren Müll abluden. Doch mehr als ein Achselzucken kam da nie zurück.

"Morgens macht die BSR alles sauber und abends steht hier wieder Müll, ich habe die Hoffnung aufgegeben", sagt die Mutter von fünf Kindern. Auch in ihrem Heimatbezirk Kreuzberg sei das nicht anders. Für sie bedeute der viele Müll zusätzlichen Stress, sagt Gönül. Mehrmals am Tag muss sie etwa Kippenstummel vom Gehweg vor der Bäckerei fegen. Für sie steht fest: Es muss härtere Strafen geben.

Auch BSR-Sprecher Harnisch betont, dass restriktive Maßnahmen wie konsequente Kontrollen und empfindliche Bußgelder wichtig seien, um das Berliner Müllproblem in den Griff zu kriegen. "Deshalb ist es gut, wenn die Rolle der Ordnungsämter weiter gestärkt wird. Denn unverbesserliche Vermüllerinnen und Vermüller erreicht man oft nur über ihren Geldbeutel." Doch das Bezirksamt Neukölln widerspricht: "Die Bußgeldschilder hatten nicht den Abschreckungseffekt, den wir uns erhofft hatten."

Eines dieser Schilder steht auf der Warthestraße – nicht mal 200 Meter weiter ein Haufen voller Bauschutt. Und das, obwohl die Warthestraße, wie auch die Donau- und Okerstraße – wir erinnern uns an die gestapelten Sofas – wöchentlich von der BSR angefahren werden.

13,1 Millionen Euro für 79 saubere Parks

Im Gegensatz zur Warthestraße wirkt der Wartheplatz wie geleckt. Er ist einer der 79 Parks, Spielplätze und Grünanlagen, die die BSR regelmäßig säubert – von rund 2.700 Anlagen berlinweit. Nicht mal ein Kippenstummel ist hier zu finden. Ein Vorzeigepark sozusagen.

Ganz anders hingegen zeigt sich die Schillerpromenade, eine Grünanlage, für die das Straßen- und Grünflächenamt (SGA) zuständig ist: Mülleimer quellen über, illegal abgeladene blaue Säcke lehnen an einem Parkverbotsschild.

"Es wäre eine Riesenentlastung für die unzureichend ausgestatteten Ämter, würde die BSR alle Parks reinigen", so der Fachbereichsleiter des SGA Andreas Luczynski. Denn die Mitarbeiter seien keine Müllsammler, es fehle schlichtweg an Kapazitäten, um die Müllmassen zu beseitigen. Man solle ihn aber nicht falsch verstehen: "Statt neue Stellen im Amt zu schaffen, sollte das Land Berlin lieber die BSR bezahlen."

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Für die Reinigung von 79 Grünanlagen hat Berlin laut Angaben der Umweltverwaltung im Haushaltsjahr 2021 gut 13,1 Millionen Euro an die BSR gezahlt. Ob noch mehr Flächen von der BSR gereinigt werden könnten, hänge davon ab, "wie viele Mittel für diesen Zweck in den Doppelhaushalt 22/23 eingestellt werden", sagt Jan Thomsen, Pressesprecher der Senatsverwaltung. Der BSR seien entsprechende Plänen nach eigenen Angaben derzeit nicht bekannt.

Aktuell laufe die Müllentsorgung in Neukölln ganz gut, sagt Bezirkssprecher Berg, "was wohl auch daran liegt, dass die BSR mit dem Winterdienst durch ist, kein Laub liegt und die Sommerpause noch aussteht."

Die Neuköllnerin Melike ist weniger optimistisch: "Im Sommer sieht’s hier noch viel schlimmer aus."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Anfrage beim Bezirksamt Neukölln
  • Anfrage bei der BSR
  • Anfrage bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz
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