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Lebensmittelverschwendung: "Olaf Scholz versteht die Fakten einfach nicht"


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Autobahnblockaden
"Olaf Scholz versteht die Fakten einfach nicht"

  • Marianne Max
InterviewVon Marianne Max

Aktualisiert am 20.02.2022Lesedauer: 5 Min.
Carla Hinrichs, Pressesprecherin der "Letzten Generation": Eigentlich studiert die 25-Jährige Jura. Doch ihr Studium hat sie vorerst auf Eis gelegt.Vergrößern des Bildes
Carla Hinrichs, Pressesprecherin der "Letzten Generation": Eigentlich studiert die 25-Jährige Jura. Doch ihr Studium hat sie vorerst auf Eis gelegt. (Quelle: Stefan Müller/leer)

Sie fordern weniger Lebensmittelverschwendung als ersten Schritt, um einen Klimakollaps abzuwenden. Dafür kleben sich Aktivisten seit Wochen auf Autobahnen fest. Hass schlägt ihnen aber nicht nur auf der Straße entgegen.

Seit Wochen blockieren Klimaaktivisten in Berlin, aber auch in Stuttgart und Hamburg immer wieder Autobahnen. Sie setzen sich auf die Fahrbahn, kleben sich teilweise am Asphalt fest. Zuletzt protestierten sie sogar im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. t-online hat mit Carla Hinrichs gesprochen. Die 25-Jährige studiert eigentlich Jura in Bremen. Seit einer Weile ist sie aber Pressesprecherin der "Letzten Generation". Die Initiative setzt sich für ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und für eine Agrarwende ein. Am Mittwochnachmittag kündigten die Aktivisten an, auch vor Flughäfen und Häfen nicht Halt zu machen, sollte die Bundesregierung nicht auf ihre Forderungen reagieren.

t-online: Frau Hinrichs, was ist das für ein Gefühl, auf der Autobahn festgeklebt zu sein?

Carla Hinrichs: Das ist ein unfassbares Gefühl. Wenn ich morgens aufstehe, ist mir oft so übel vor Nervosität, dass ich nicht mal was essen kann. Ich zwinge mir dann oft eine Scheibe Brot rein, weil ich weiß, dass es in der Ingewahrsamnahme nur Knäckebrot gibt. Mein Herz rast und ich habe Angst um meine Mitmenschen. Ich weiß, dass vielleicht ein wütender Autofahrer einfach losfährt. Aktivisten wurden bereits geschlagen, weggezerrt oder bedroht. Das macht mir Angst. Aber wenn ich mir bewusst mache, wie groß die Klimakrise ist, dann habe ich mehr Angst davor, dass Menschen hungern werden, meine Geschwister hungern werden, Menschen vor Hunger fliehen werden müssen und womöglich an unseren Grenzen abgeschossen werden. Dann habe ich eher Angst vor einem Bürgerkrieg als vor den Autofahrenden, der Polizei oder einem Gerichtsprozess.

Können Sie die Wut der Autofahrenden verstehen? Haben Sie damit gerechnet?

Ja. Weltweit gehen Menschen in dieser Form gerade auf die Straße, daher wissen wir, dass es zu Gewalt vonseiten der Autofahrenden kommen kann. Wir haben deshalb trainiert, wie es uns gelingen kann, auch wenn wir angegriffen werden, friedlich und gewaltfrei zu handeln. Unser höchstes Gut ist es, wenn wir geschlagen werden, nicht zurückzuschlagen.

Wie kann man sich denn so ein Training vorstellen? Wie ein Bootcamp?

Wir hatten einmal ein Training, wo wir alle zusammenkamen. Da haben wir Situationen visualisiert, Rollenspiele gemacht, Situationen geübt. Wir haben uns in Meditationen visualisiert, wie es sich anfühlt, wenn wir dort vor dem Auto sitzen. Dann haben wir Strategien erlernt, wie man versuchen kann, mit Menschen zu sprechen, die sich aggressiv verhalten. Wir haben versucht, uns darauf vorzubereiten, in Gewahrsam genommen zu werden und haben uns mit Menschen ausgetauscht, die dieses Erlebnis schon gemacht haben.

Ihr Ziel ist das Beenden von Lebensmittelverschwendung. Weshalb ist das der richtige Ansatz im Kampf gegen den Klimawandel?

Wir sehen einfach, dass wir erste Schritte brauchen. Das Klima-Problem lässt sich so einfach ignorieren. Da heißt es dann immer: 'Das ist ein so großes Problem, das ist so schwer anzupacken.' Aber das können wir uns eben nicht länger leisten. Wir brauchen klare Maßnahmen. Dazu gehört zum Beispiel die Rettung von Lebensmitteln. Das ist doch eine so einfache und logische Forderung, dass es nicht sein kann, dass wir gute Lebensmittel einfach in den Müll werfen.

Sie schreiben, das Lebensmittel-retten-Gesetz soll dabei helfen, gegen den Welthunger vorzugehen. Wie funktioniert das?

Wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird 2050 etwa ein Drittel unserer Ernte ausfallen. Wir sehen jetzt schon, dass Lebensmittelpreise steigen, dass wir Dürren haben – auch hier in Deutschland. Weltweit werden wir aufgrund von Ernteausfällen und steigender Weltbevölkerung massiven Hunger haben, schon in 28 Jahren. Das bedeutet dann, dass sich die Menschen im Supermarkt nicht um Klopapier kloppen – sondern um Essen. Menschen werden hungern und Menschen werden sterben. Und trotzdem schmeißen wir derzeit 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Jahr weg, eine Lkw-Ladung pro Minute – allein in Deutschland. Das ist unfassbar respektlos gegenüber den Menschen, die jetzt schon Hunger leiden.

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Neben der Kritik an Ihren Aktionen hört man aus der Politik immer wieder, dass Ihr Anliegen ganz verständlich und sinnvoll sei. Cem Özdemir sagte am Dienstag, Sie hätten ihn nur zu einem Treffen einladen müssen. Steht der Landwirtschaftsminister also eigentlich auf Ihrer Seite?

Wir haben mit Herrn Scholz im November gesprochen, aber er versteht die physikalischen Fakten nicht. Wir haben auch weitere Politiker aus der Bundesregierung eingeladen. Denn wir wollen nicht auf die Straße gehen, wir wollten mit Politikern sprechen, aber wir wurden immer nur vertröstet. Immer wieder hieß es, da sei kein Platz im Terminplan. Und jetzt nach drei Wochen zu sagen, wir sollten ein Gesprächsangebot machen, das bringt mich zum Schmunzeln. Dennoch haben wir Herrn Özdemir heute noch mal explizit eingeladen, um am Mittwoch mit weiteren Politikern einen offenen Brief entgegenzunehmen.

Özdemir hat vor einer Weile auch kritisiert, "gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwagen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert" – das ist ein sehr negatives Narrativ, welches sich im Diskurs festgesetzt hat. Wollten Sie das bezwecken?

Natürlich nicht. Ich möchte aber auch sagen: Wir haben immer eine klare Rettungsgasse. Wir wollen niemanden gefährden. Und die Zeit hat gezeigt, dass wir sehr viele Einsatzfahrzeuge, Notfälle oder auch Ärztinnen durchgelassen haben. Wir wollen niemanden gegen uns aufbringen, wir wollen eine gemeinsame Lösung finden. Man kann sich das so vorstellen: Das Dorf brennt und wir sind der Feueralarm. Und der ist laut und verdammt nervig, aber er ist eben überlebenswichtig.

Sie stehen mit Ihren Aktionen in der Öffentlichkeit und erfahren viel Hass im Netz. Wie geht es Ihnen damit?

Nicht gut. Es ist schrecklich zu sehen, wie viel Hass es in unserer Gesellschaft gibt, und wie sehr sich der Hass kanalisieren kann – auch auf mich. Es macht mir Angst, zu sehen, wie wütend die Menschen jetzt schon sind. Wie groß wird die Wut erst sein, wenn in den Supermärkten keine Lebensmittel mehr sind? Wie eskaliert es dann? Es zeigt mir aber auch, dass es das Richtige ist, was ich tue. Ich wünschte wirklich, ich müsste es nicht, ich habe alles versucht. Aber ich bin so verzweifelt, dass ich es lieber in Kauf nehme, dass mir Menschen damit drohen, mich umzubringen.

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Sie haben weitere Aktionen angekündigt, sollten die geladenen Politiker nicht zu dem Treffen erscheinen. Werden das wieder Autobahnblockaden sein?

Das kann ich noch nicht sagen. Wir sind aber bereit, zu stören, bis die Regierung ihren Job macht.

Frau Hinrichs, vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis: Auch Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, wurde von t-online um ein Interview gebeten. Dieses wurde jedoch abgelehnt.

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