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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wie Berlin die Quote steigern will Mit "Drive-in"- und Pop-up-Impfstation gegen die Delta-Welle
Bundesweit wächst die Sorge um einen erneuten Anstieg der Corona-Infektionszahlen durch die ansteckendere Delta-Variante. Die Devise lautet deshalb: impfen, impfen, impfen – auch in Berlin.
Nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts sollten wegen der ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus mindestens 85 Prozent der 12- bis 59-Jährigen und sogar 90 Prozent der Senioren über 60 vollständig geimpft sein. Laut RKI-Meldung am Mittwoch sind es aber derzeit nur 44,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Und auch die Hauptstadt ist noch weit von dieser Zielmarke entfernt.
Doch wie lässt sich die Impfquote in Berlin erhöhen? Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat sich gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. Dies sei "nicht der richtige Weg". Jeder aber sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein, sich und andere mit einer Impfung zu schützen, sagte Müller der "Berliner Morgenpost".
Impfen "aus klugem Eigeninteresse und als Ausdruck gelebter Solidariät"
Derweil warnt die Senatsverwaltung für Gesundheit vor der hoch ansteckenden Delta-Variante. Was ist der richtige Weg, um sie in Schach zu halten? "Wir verbreitern die Impfangebote und werben bei den Menschen eindringlich dafür, eines anzunehmen. Aus klugem Eigeninteresse und als Ausdruck gelebter Solidarität mit den Mitmenschen", erklärt Sprecherin Anna Theresa Lorenz.
Als Beispiel für ein niederschwelliges Impfangebot nennt Lorenz, dass in Lichtenberg zusammen mit dem Bezirk am kommenden Samstag das "Drive-in"-Impfen ermöglicht wird: Auf dem Ikea-Parkplatz soll sich jeder seinen Piks holen können – spontan und ohne Termin. Neben einer Spur für Autofahrer ist auch eine "Walk-in"-Spur für Fußgänger geplant.
Diese Maßnahmen seien nötig, da die Impfbereitschaft in den letzten Wochen zurückgegangen ist. "Unser Ziel sollte die Herdenimmunität bei rund 85 Prozent sein", heißt es aus der Gesundheitsverwaltung. Darum ruft Lorenz die noch ungeimpften Berliner dringend dazu auf, die Möglichkeit bei Haus- und Betriebsärzten, in Impfzentren und bei Stadtteilimpfungen wahrzunehmen. Die Sprecherin appelliert zudem, unbedingt auch zur Zweitimpfung zu gehen.
Test-Nachfrage geht zurück
Um die Corona-Lage stabil zu halten, stärke man zum einen die Tests – hier sei in Berlin ein "leichter Rückgang" zu verzeichnen: Die Auslastung der Teststellen pro Tag liege seit mehreren Wochen zwischen 15 und 20 Prozent. Dabei gibt es eine Tageskapazität von rund 640.000 Tests und eine Wochenkapazität von rund 4,45 Millionen Tests. Dazu kommen die Impfangebote, für die man wirbt. Mit der Aktion am kommenden Samstag in Lichtenberg beweise man Flexibilität – dies sei "sicherlich ein guter Weg". Man hoffe sehr, dass die anderen Bezirke diesem guten Beispiel folgen werden.
Neukölln ist schon am Freitag soweit: Dann gibt es die erste Berliner Pop-up-Impfung auf dem Hermannplatz. Von 10 bis 17 Uhr kann sich jeder über 18 Jahren, der einen amtlichen Ausweis hat, mit Moderna oder Johnson & Johnson impfen lassen, kostenlos und ohne Termin.
"Der Hauptpreis ist die Gesundheit"
Der Neukölln Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) hatte zuvor der Idee von Bundes-und Landespolitikern, durch Impfungen in Shisha-Bars und Kneipen die Quote zu erhöhen, eine Absage erteilt. Auch Belohnungen seien nicht der rechte Weg. "Diese Menschen wollen keine Impflotterie: Sie müssen überzeugt werden, dass die Impfung gut für sie und ihre Liebsten ist. Der Hauptpreis ist die Gesundheit. Sie ist mehr wert als ein Fahrrad oder hunderttausend Euro."
Anfang Mai lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Neukölln besonders hoch, vor allem in sozial schwächeren Gegenden wie der High-Deck-Siedlung oder am südlichen Kiehlufer. Insgesamt befand sich die Inzidenz in Neukölln mit 113,4 deutlich über dem Berlin-Schnitt. Darum hatte der Bezirk eine Schwerpunktimpfung durchgeführt.
Eine Wiederholung plane man jedoch nicht. Denn die Aktion habe ihr Ziel verfehlt, benachteiligte Gruppen zu erreichen. Die Erfahrungen – auch aus anderen Bezirken – hätten gezeigt, dass "vornehmlich junge und gut gebildete Personen" das Angebot wahrgenommen haben. Aber gerade bildungsferne, sozial benachteiligte und jene Personen mit Sprachbarrieren oder mangelhaftem Gesundheitsverhalten wurden kaum erreicht.
Der einfache Teil der Impfkampagne ist vorbei
Heute beträgt die Inzidenz in Neukölln 10,0, mit 33 Fällen in den letzten 7 Tagen. In Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf (3,0) und Treptow-Köpenick (6,2) ist sie niedriger, aber vielerorts wie in Mitte (19,7) und Friedrichshain-Kreuzberg (14,1) deutlich höher. Insgesamt seien diese Werte aber zu gering, um konkrete Schlussfolgerungen für Einzelmaßnahmen abzuleiten, meint Liecke. Es handle sich immer nur um eine Momentaufnahme. "Da reicht ein Ausbruch in einer Gemeinschaftseinrichtung oder einer größeren Familie, um das Bild komplett zu verändern." Insofern bleibe man insbesondere mit Blick auf den Herbst weiter aufmerksam.
"Wir sind an einem Punkt, an dem diejenigen, die gerne geimpft werden möchten, bereits ihre Termine hatten oder demnächst haben. Das war der einfache Teil der Impfkampagne. Diejenigen, die skeptisch sind und/oder hohen Beratungsbedarf haben, machen ungleich mehr Aufwand."
Ihnen fehle es nicht an Gelegenheiten, sondern an Überzeugung. Das hätte
bereits vor Wochen durch eine Dezentralisierung der Impfkampagne in den
Bezirken vorbereitet werden müssen, kritisiert Liecke. Nun werde man absehbar "von einem Plateau der Impfzahlen in ein tiefes Tal" geraten, dem nur durch langwierige Aufklärung und individuelle Beratung begegnet werden könne.
Impfquote bei Geringverdienern laut Studie deutlich niedriger
Aus der Arbeit im Bezirk wisse man, dass der Zugang zum Gesundheitssystem eng mit der sozialen Lage verknüpft sei. Erst kürzlich hatte eine Umfrage für ein Forschungsinstitut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergeben, dass Geringverdiener seltener geimpft sind.
Bei der nicht-repräsentativen Erhebung hätten im Juni 49 Prozent der Befragten aus dem untersten Fünftel der Lohnverteilung angegeben, schon mindestens die erste Impfdosis erhalten zu haben, teilte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) mit. Aus dem obersten Fünftel der Einkommensverteilung hätten dagegen 71 Prozent berichtet, mindestens einmal geimpft zu sein.
- Eigene Recherche