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Berlin: Clans und Tschetschenen liefern sich undurchsichtigen Bandenkrieg


Polizei ist alarmiert
Berliner Bandenkrieg – Krach zwischen Tschetschenen und Clans

Von dpa
Aktualisiert am 15.11.2020Lesedauer: 4 Min.
Nummern sind in Berlin auf einer Scheibe einer Bar im Wedding zu sehen (Archivbild): Dort wurden 16 Schüsse aus Fahrzeugen heraus auf den Eingangsbereich abgefeuert.Vergrößern des BildesNummern sind in Berlin auf einer Scheibe einer Bar im Wedding zu sehen (Archivbild): Dort wurden 16 Schüsse aus Fahrzeugen heraus auf den Eingangsbereich abgefeuert. (Quelle: picture alliance / Paul Zinken/dpa-bilder)

In Berlin sollen sich Clan-Mitglieder und Tschetschenen einen erbitterten Kampf liefern – und das auf offener Straße. Der Bandenkrieg ist dabei nicht nur ein Berliner Problem.

Es ist ein sensibles Thema für die Berliner Polizei. Kriminelle Mitglieder eines bekannten arabischstämmigen Clans und gewalttätige Tschetschenen liefern sich brutale Auseinandersetzungen mit zahlreichen Verletzten in aller Öffentlichkeit. Und die Polizei soll zur Beruhigung der Lage in Kontakt mit einem prominenten arabischstämmigen Profiboxer stehen.

"Es war keine Selbstjustiz, sondern alles in Absprache mit der Polizei", schrieb der Boxer Manuel Charr unter seinem eigentlichen Namen Mahmoud Charr am Mittwoch bei Instagram. Dazu stellte er Fotos von sieben ernstblickenden und weitgehend in schwarz gekleideten Männern auf Ledersofas.

Dass die verbreitete Paralleljustiz in arabischstämmigen Kreisen mit sogenannten Friedensrichtern, Absprachen und Geldzahlungen akzeptiert werde, wollte die Polizei nicht auf sich sitzen lassen. Sie erklärte schriftlich, sie habe "keine Absprachen mit Herr Charr geführt bzw. getroffen". Das Wort "keine" war unterstrichen. Unbekannt sei, ob "Herr Charr tatsächlich in der von ihm behaupteten Funktion zwischen den Konfliktparteien auftritt oder aufgetreten ist".

Tatsächlich sind die Probleme nicht nur mit arabischstämmigen Clans, sondern auch mit Tschetschenen schon groß genug. Dass die Gruppen nun in einen Bandenkrieg verwickelt sein sollen, macht die Sache nicht einfacher.

Kriminelle Tschetschenen gelten als besonders gewalttätig, wie das Bundeskriminalamt (BKA) kürzlich in einem Lagebericht schrieb. Die Banden "wiesen eine überdurchschnittlich hohe Eskalations- und Gewaltbereitschaft auf". Berlin kennt das. Vor drei Jahren beschossen Mitglieder der Szene ein Café im Ortsteil Wedding mit einer Maschinenpistole. Das Schaufenster wurde durchsiebt.

Am vergangenen Wochenende gingen Dutzende Männer erstmal nur mit Schlagstöcken und Messern aufeinander los. Darunter auch "Mitglieder einer bekannten Großfamilie", so die Polizei. Am Samstagabend wurde ein Spätkauf in Neukölln, der mit dem Clan in Verbindung stehen soll, von einem Trupp Angreifer überfallen.

30 Männer stachen und schlugen mit Messern, Fäusten, Möbeln und Wasserpfeifen aufeinander ein. Die Polizei fasste sechs Männer mit russischer Staatsangehörigkeit und tschetschenischer Herkunft als mutmaßliche Täter.

Kurz darauf prügelten zehn Männer am Bahnhof Gesundbrunnen im Norden Berlins auf eine andere Männergruppe ein. Zurück blieben russische Verletzte mit Platz- und Stichwunden. Am Sonntag der nächste Überfall vor dem gleichen Bahnhof: 20 Männer schlugen, auf Arabisch rufend, zwei andere zusammen. Ein Angreifer stach schließlich gezielt in den Rücken eines bereits Verletzten. Erneut stammten die Opfer aus Tschetschenien. Zu weiteren Angriffen will die Polizei nichts sagen, verneint die Frage aber auch nicht.

Es geht um Drogenhandel, Diebstahl, Raub, Erpressung

Russische und tschetschenische Banden sind nicht nur ein Berliner Problem. 2019 führten die Polizeibehörden in Deutschland laut BKA-Lagebild 27 große Ermittlungsverfahren gegen Gruppen, deren Mitglieder aus Staaten der früheren Sowjetunion stammen. Meist geht es um Drogenhandel, Diebstahl, Raub, Schutzgelderpressung. In sechs Fällen wurden die Banden von Tschetschenen dominiert. Dreimal spielten auch versuchte und vollendete Tötungsdelikte eine Rolle.

Die Abteilung 4 des Berliner LKA, zuständig für organisierte Kriminalität (OK), schrieb vor einem Jahr: "Vor dem Hintergrund ihres auf extremer Gewaltanwendung und Abschreckung basierenden Vorgehens und dem starken Streben, ihren Einfluss in alle Richtungen auszubauen, haben Tschetschenische OK-Gruppierungen in den letzten Jahren ihren Einfluss hier merklich ausgeweitet."

Verbindungen zu "islamistischen Strukturen"

Hinzu kommt eine weitere Gefahr: "Vereinzelt sind Verbindungen von Einzelpersonen der tschetschenischen OK-Szene zu islamistischen Strukturen erkennbar." So richtete sich im Januar eine Razzia in Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen gegen mutmaßliche Islamisten tschetschenischer Abstammung. Sie sollen eine Synagoge und ein Einkaufszentrum ausgespäht haben.

Von der üblichen Bandenkriminalität sind vor allem Bundesländer im Osten betroffen. In Magdeburg ging es kürzlich vor Gericht um zwei Überfälle von vier bewaffneten Männern – zum Teil aus Tschetschenien – auf eine Shisha-Bar. In Rheinsberg nördlich von Berlin kam es zwei Abende hintereinander zu Schlägereien großer Männergruppen, an denen überwiegend Tschetschenen und Syrer beteiligt waren. In Thüringen zerschlug die Polizei im Juni eine Bande von tschetschenischen Drogenhändlern. Bei Kontaktleuten fand man neben viel Bargeld und Drogen auch eine Maschinenpistole.

Die russische Teilrepublik Tschetschenien an der Grenze zu Georgien ist seit Jahrzehnten Konfliktregion. Nach dem Zerfall der Sowjetunion verhinderte Moskau eine Abspaltung in Kriegen mit Zehntausenden Toten. Der Verfassungsschutz schrieb 2017, die Zahl tschetschenischer Asylbewerber sei stark gestiegen. Die Szene sei gekennzeichnet durch große Netzwerke und eine Abschottung nach außen. Entscheidender Faktor für eine islamistische Radikalisierung seien persönliche Kontakte. Religion und Tradition seien das verbindende Element.

Der Grund für den Bandenkrieg in Berlin ist nicht ganz klar. Ging es um Revierstreitigkeiten oder doch um Religion und Ehre? Der Boxer Charr schrieb etwas nebulös: "Meine Brüder in Allah, wir sollten besser zwischen uns in Ordnung bringen, wenn wir uns zu einem religiösen Thema widersprechen." Die Polizei zeigte sich erstaunt, dass sie in dem Text überhaupt erwähnt wurde. "Das ist das große Rätsel, wie er dazu kommt." Vielleicht gehe es dem Boxer um seine Reputation. Oder er wolle die Polizei ärgern.

Verwendete Quellen
  • Andreas Rabenstein/Nachrichtenagentur dpa
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