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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zwischen Latex-Sklaven und Swinger-Möbeln Mit Deutschlands bekanntester Porno-Produzentin auf der Venus
Paulita Pappel nahm t-online mit auf die Eröffnung von Berlins größter Sexmesse und stellt die Stars und Trends der diesjährigen Venus vor. Sie ist queerer und vielseitiger als je zuvor – aber nicht weniger versaut.
Wenn in den Messehallen unterm Funkturm wieder Latex-Sklaven an der Leine Gassi geführt, Kartons mit Penisringen und Swinger-Möbeln ausgepackt und Live-Dildo-Shows angepriesen werden – dann ist es wieder Zeit für die Erotikmesse Venus Berlin, die noch bis zum 29. Oktober 2023 Besucher und Branchenmitglieder zusammenbringt.
In der lauten Haupthalle, in der die großen Pornofirmen ihre Stars zum "Meet and Greet" und zur Masturbation auflaufen lassen, hat ein Fan mit "Rostocker"-Cappy gerade Porno-Produzentin Paulita Pappel (35) entdeckt und bittet sie um ein Selfie. Hinter den beiden knetet sich eine Performerin die Brüste, während sich ihre Kollegin nebenan genüsslich die Klitoris reibt, die immer wieder vom Blitzlicht diverser Hobbyfotografen beleuchtet wird.
"Das Phänomen, dass sich die Männer hier vordrängeln, um die nackten Frauen zu fotografieren, spiegelt dasselbe Verhalten wider, mit dem sich Leute bei der Berlinale um den besten Schnappschuss von Hollywoodschauspielern reißen. Am Ende sind wir einfach nur ein Teil der Unterhaltungsindustrie", sagt Pappel.
Viele Damen tragen hohe Schuhe zu einem Hauch von Nichts, oft garniert mit toupierten Haaren und schickem Glitzer-Make-up. Die Spanierin Pappel hingegen läuft entspannt in T-Shirt und dunklen Boots über das Gelände, dennoch zieht sie überall neugierige Blicke auf sich.
Porno-Produzentin prangert Politik an
Zum einen liegt das an ihrer Ausstrahlung, zum anderen daran, dass Pappel mittlerweile eine der Königinnen der Szene ist: Ihre Karriere als Darstellerin startete sie unter anderem in Filmen von Erika Lust, die als Pionierin der ethischen Pornografie gilt. Vor zehn Jahren gründete sie dann ihre eigene Plattform: "'Lustery' konzentriert sich darauf, echten Paaren einen Raum zu bieten, in dem sie Sex zelebrieren und ihre Liebe und Lust mit der Welt teilen können", sagt die Lustaktivistin, die vor einigen Wochen ihr Buch "Pornopositiv" im Ullstein-Verlag veröffentlicht hat.
"Die aktuelle Rechtslage für Sexarbeitende ist total veraltet."
Paulita Pappel, Porno-Produzentin
Der Venus-Eröffnungstag wird auch von einer Lesung begleitet, bei der Pappel unter anderem die deutsche Politik anprangert: "Die aktuelle Rechtslage für Sexarbeitende ist total veraltet. Nehmen wir das Gesetz, auf dem die Vorgabe der Altersverifikation beruht: Es trat am 1. April 2003 in Kraft", sagt sie. "Damit stammt es aus einer Zeit, in der viele Menschen ihre Pornografie noch aus der Videothek ausgeliehen haben – wofür sie einen Personalausweis vorzeigen mussten. Das passt also nicht mehr in unsere digitale Welt."
Das Thema ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreits zwischen deutschen Behörden und der Porno-Industrie. Im April 2023 hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf zuletzt Klagen gegen die Landesanstalt für Medien NRW abgewiesen. Theoretisch müssten Pornoplattformen nun von ihren Kunden verlangen, dass sie sich mit ihrem Ausweisdokument auf einer Sexseite verifizieren. Doch laut Pappel ist der Verlust sensibler personenbezogener Daten mit direktem Bezug zur Sexualität ein Risikofaktor, gerade im Hinblick auf marginalisierte sexuelle Orientierungen oder Kinks.
"Made in Germany" hat große ethische Vorteile
Aus ihrer Perspektive sei das Verfahren zudem unwirksam, da die Konsumenten solche Hürden relativ einfach mit VPN-Technologie überwinden könnten: "Da der deutsche Gesetzgeber nur Zugänge im deutschen Netz regulieren kann, würde der Staat mit einer Prüfpflicht nur die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Domains einschränken." Viele Marken müssten nach Malta oder Zypern abwandern oder würden im internationalen Wettbewerb unterliegen. Und das, obwohl gerade die regionale Pornografie "Made in Germany" große ethische Vorteile habe.
"Niemand will sich unserer Anliegen annehmen und Porno-Politikerin sein."
Paulita Pappel, Porno-Produzentin
Den Grund für verschiedene Benachteiligungen, denen Sexarbeitende ausgesetzt sind, sieht Pappel im Imageproblem der Branche: "Niemand will sich unserer Anliegen annehmen und Porno-Politikerin sein." Dennoch weiß auch die Produzentin, dass es in ihrer Industrie noch einige Baustellen gibt. Ihre gute Freundin, die Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming (37), tritt an diesem Tag an ihrer Seite auf und stellt ihr eigenes Sachbuch "Porno. Eine unverschämte Analyse" vor.
Sie ist Deutschlands bekannteste Forscherin in Sachen Sexpositivismus und will die Erwachsenenunterhaltung aus der Tabuzone holen. Auf lange Sicht sei es dafür vonnöten, dass die Erotikindustrie und Veranstaltungen wie die Venus nicht nur vom männlichen Blick dominiert werden. "Ich will mehr nackte Männer sehen und mehr horny Frauen. Da geht noch was!", meint Oeming. Pappel nickt zustimmend.
Venus will neue Wege gehen
Und tatsächlich bemüht sich die Venus um neue Wege. Zum einen wurde die "Venus Erotikmesse" inzwischen in "Venus Festival" umbenannt. Und auch die Personen auf dem offiziellen Werbeplakat der diesjährigen Veranstaltung könnten einer typischen Berliner Technoparty entsprungen sein: Zur neuen Bildsprache gehören Body Positivity, verspielte Lollis, Männer mit Make-up, People of Color und eine Fashion-Ästhetik am Puls der Zeit. Die wahre Revolution dahinter ist jedoch, dass die Venus damit zum ersten Mal in ihrer 26-jährigen Geschichte kein offizielles Messegesicht hat. Markenbotschafterinnen gibt es trotzdem. Und zwar acht Stück, darunter Venus-Dauergast Micaela Schäfer, Sängerin und Sex-Star Mia Julia sowie Schauspielerin und Intimfluencerin Anne Wünsche.
Zudem gibt es erstmals einen explizit queeren Bereich: Unter dem Motto "Sei, wer Du willst" wirft die Venus erstmals ein besonderes Licht auf die Bi+-Community und polysexuelle Lebensweisen.
Eine, die es bereits geschafft hat, einen Ort zu kreieren, an dem das Geschlechterverhältnis ausgeglichen ist und sich alle sexuellen Orientierungen heimisch fühlen, ist die "Insomnia"-Betreiberin Dominique. Ihr Sexclub steht seit 1997 an der U-Bahn-Station Alt-Tempelhof. Auf der Venus ist sie mit der sogenannten Hedonistic Lounge vertreten, die vor allem mit aufklärerischen Angeboten über polyamore Lebensweisen oder Fetische mit den Gästen ins Gespräch kommen will. "Auf einer Sexmesse erwarten die Leute eigentlich, dass gefickt wird, und nicht, dass gequatscht wird."
Doch es sei zu spüren, dass viele junge Besucher mit einem sensibilisierten Bewusstsein durch ihre sexuelle Entwicklung gehen würden und einen anderen Anspruch an Themen wie sexuelles Einverständnis hätten. "Wissen und Leidenschaft schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Sex, Glück, Liebe und Wissen werden mehr, wenn man sie teilt", sagt die 45-Jährige.
30 Prozent mehr Aussteller als im vergangenen Jahr
Aber auch für die Liebhaber von Mainstream-Pornografie gibt es in dieser Venus-Saison gute Neuigkeiten: 30 Prozent mehr Aussteller als im vergangenen Jahr sollen laut dem Veranstalter vor Ort sein. Der größte Fisch: Brazzers, zum allerersten Mal mit von der Partie. Brazzers gilt als die weltweit größte Filmproduktionsgesellschaft für Pornos. Sie gehört zum Branchen-Giganten Mindgeek, dem unter anderem die Streamingseite Pornhub angehört.
Deshalb ist das internationale Staraufgebot in diesem Jahr besonders spektakulär: Brazzers hat bekannte Namen wie Angela White oder Johnny Sins nach Berlin geholt, die am Eröffnungstag zum ersten Mal auf dem roten Teppich der Venus Awards in Erscheinung treten, um gemeinsam mit den deutschen Kollegen zu feiern.
Auch Porno-Produzentin Pappel hat sich in ihr Gala-Outfit geworfen und freut sich, im Wintergarten Varietee auf alte Freunde wie den Erfolgsproduzenten Tim Grenzwert und dessen Frau Maria Mia zu stoßen. Im vergangenen Jahr konnte sie selbst als Gewinnerin vom Platz schreiten: Nachdem ZDF-Schlitzohr Jan Böhmermann bei ihr den ersten öffentlich-rechtlichen und ethischen Porno in Auftrag gegeben hatte, wurden die Produzentin und ihr Team 2022 für den besten Film ausgezeichnet.
In diesem Jahr freut sich unter anderem Micaela Schäfer über eine Sonderauszeichnung: Sie feiert ihr zehnjähriges Jubiläum als Markenbotschafterin der Venus. Die 39-Jährige ist sichtlich gerührt, und die Stimmung ist auf einmal so familiär, dass man fast vergessen könnte, welche Art von Preisverleihung das hier ist. Zumindest bis zu dem Moment, in dem Angela White (38) ihren Preis als beste internationale Performerin entgegennimmt. Als Moderator Mola Adebisi (50) fragt, ob sie aufgeregt sei, sagt sie: "Jetzt, wo ich auf der Bühne stehe, schon. Ich bin viel weniger nervös, wenn ich gefickt werde. Wenn jemand nach oben kommen möchte, um mit mir zu vögeln, würde ich mich gleich viel besser fühlen."
- Reporterin vor Ort