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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ostsee-Experte warnt "Es gibt so viele tote Zonen wie noch nie"
Der Ostsee geht es schlecht. Ein Experte spricht im Interview über riesige Gebiete ohne Leben, gefährliche Blaualgen und den steigenden Meeresspiegel.
Umweltverschmutzung und Klimakrise setzen der Ostsee zu. Aber wie schlimm ist es wirklich? Und was kommt noch auf uns zu? Markus Meier vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde gibt seine Einschätzungen ab.
t-online: Herr Meier, wie geht es der Ostsee aktuell?
Markus Meier: Der Ostsee geht es nicht gut. Die Ausbreitung der Gebiete mit Sauerstoffmangel ist sehr groß. Es gibt so viele tote Zonen wie noch nie.
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Was genau sind tote Zonen?
So nennen wir Gebiete, in denen zwar noch Bakterien vorkommen, höher entwickelte Tiere und Pflanzen aber nicht mehr leben können, weil zu wenig Sauerstoff im Wasser ist. Ein Hauptgrund dafür in der Ostsee liegt Jahrzehnte zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Landwirtschaft intensiviert. So wurden durch die Flüsse viele Nährstoffe ins Meer gespült, die vorher zur Düngung auf die Felder ausgebracht worden waren. Außerdem gingen auch ungeklärte Abwässer in die Ostsee. Dann ist das System umgekippt.
Zur Person
Markus Meier beschäftigt sich seit 32 Jahren wissenschaftlich mit der Ostsee. Er ist Leiter der Sektion Physikalische Ozeanographie und Messtechnik am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde.
Und das merkt man bis heute?
Ab den 1980er-Jahren wurden die Nährstofffrachten systematisch reduziert. Aber der Transport von Nährstoffen aus der Ostsee hinaus ist klein, deswegen treten Veränderungen nur sehr langsam auf. Die seit vierzig Jahren laufenden Maßnahmen haben deshalb noch keine große Wirkung gehabt.
Wie groß sind diese toten Zonen?
Die Gesamtfläche der toten Zonen heute entspricht in etwa der Fläche der Republik Irland.
Welche Rolle spielt die Klimaerwärmung dabei?
Je höher die Wassertemperatur ist, desto weniger Sauerstoff ist im Wasser gelöst. Außerdem wird die Zersetzung von organischem Material beschleunigt. Dabei wird mehr Sauerstoff verbraucht. Der Klimawandel verstärkt die negativen Effekte also zusätzlich.
Wie wird sich die Wassertemperatur aktuellen Projektionen zufolge entwickeln?
Das kommt sehr darauf an, wie stark die globalen Emissionen reduziert werden. Die Ostseeregion ist besonders stark betroffen, da sie sich stärker erwärmt als das globale Mittel. Wenn man die jüngere Vergangenheit als Referenz nimmt, geht man von mindestens einem bis zu drei Grad Erwärmung der Oberflächentemperatur bis Ende des Jahrhunderts aus. Aber schon ein Grad weitere Erwärmung hat erhebliche Folgen.
Welche sind das?
Zum Beispiel wird die Eisbedeckung im Winter immer weiter abnehmen. Das spielt eine riesige Rolle für das Ökosystem, wenn es kein Eis mehr gibt. Die Ringelrobbe etwa bringt auf Eis ihre Jungen zur Welt. Wenn das nicht mehr da ist, wird die Population zurückgehen.
Badeverbote wegen Blaualgen werden uns auch in Zukunft noch beschäftigen.
Markus Meier
Was bedeuten die toten Zonen für Menschen?
Eine Folge der Nährstoffzufuhr der Vergangenheit sind die intensiven Blaualgenblüten, die wir heute beobachten können. Das könnte weiter zunehmen, da wärmeres Wasser auch bessere Bedingungen für Blaualgen bedeutet. Badeverbote wegen Blaualgen werden uns also auch in Zukunft noch beschäftigen. Das hat auch heute sicher schon Auswirkungen auf den Tourismus. Genaue Zahlen dazu sind mir aber nicht bekannt.
Ist es denkbar, dass sich im immer wärmeren Wasser irgendwann so viele Blaualgen bilden, dass man gar nicht mehr in der Ostsee baden kann?
Nein, das halte ich für zu schwarzmalerisch.
Ein weiteres Problem ist der ansteigende Meeresspiegel. Welche Ostseeinsel wird als erste untergehen?
Von den großen wohl keine. Im nördlichen Teil der Ostseeregion hebt sich das Land nämlich seit der letzten Eiszeit an, weil das Gewicht der schweren Gletscher nicht mehr da ist. Das gleicht den Anstieg des Meeresspiegels aus.
Und im Süden? Also an der deutschen und polnischen Küste?
Da gibt es diese Landhebung nicht.
Was bedeutet das für die Küste?
Das kommt auf die Projektion an. Die Szenarien schwanken zwischen 50 Zentimetern und einem Meter Meeresspiegelanstieg, Extremszenarien gehen von bis zu zwei Metern aus. Einige flachliegende Gebiete sind also betroffen. Da muss der Küstenschutz angepasst werden.
Kann sich der Mensch daran denn anpassen oder müssen einige Gebiete dem Meer überlassen werden?
In der Ostseeregion denke ich, dass man gegensteuern kann, wenn man das möchte. Etwa durch höhere Kaimauern. Ob das immer das Schlaueste ist, wird sich zeigen. Denn hohe Betonmauern an der Küste bringen andere Einschränkungen mit sich. Für Badegäste ist das zum Beispiel nicht so schön.
Sie haben sicher auch eine emotionale Bindung zur Ostsee. Wie blicken Sie in die Zukunft?
Ja, die habe ich. Ich mache zum Beispiel gerne Wassersport. Da habe ich auch wenig Lust auf Blaualgen oder Ähnliches. Ich bin aber ein Mensch, der grundsätzlich optimistisch in die Zukunft blickt. Wir machen unsere Forschung publik und ich habe Hoffnung, dass die Politik entsprechend reagiert. Zumindest was lokale Maßnahmen an der Ostsee betrifft. Die globale Reduzierung der Emissionen wird sehr viel schwieriger.
Danke für das Gespräch.
- Telefonisches Interview mit Markus Meier