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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klimaaktivistin klebt sich häufig auf die Straße "Leute drohen, über uns drüber zu fahren"
Wie schmerzhaft ist es, eine festgeklebte Hand von der Straße gelöst zu bekommen? Wie geht sie mit Drohungen um? Eine Klimakleberin im Interview.
Lina Johnsen ist 24 Jahre alt und Studentin. Die junge Frau aus Freiburg ist aber auch Teil der Klimaaktivisten der "Letzten Generation", die durch immer neue Aktionen bundesweit für Aufregung sorgen. Im t-online-Interview spricht sie darüber, warum sie das macht und wie viel Bußgeld sie schon bezahlen musste.
t-online: Wie oft haben Sie sich schon an die Straße geklebt?
Lina Johnsen: Ich bin seit Anfang des Jahres bei der "Letzten Generation" dabei. Anfangs war ich bei den Aktionen im Deeskalationsteam. Da geht man durch die Reihen der aufgestauten Autos und erklärt den Menschen, was wir machen und warum. Ich hatte anfangs Hemmungen, selbst zu blockieren. Aber bei den Aktionen habe ich gesehen, dass wir mehr Leute auf der Straße brauchen, um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ich habe die Dringlichkeit verstanden, mit der sich dem zerstörerischen Kurs der Regierung entgegengesetzt werden muss. Zuerst habe ich mich zweimal in Freiburg mit festgeklebt, dann im Sommer mehrfach in Berlin.
Warum hatten Sie Hemmungen?
Bei Trainings vor den Aktionen wurden wir sehr genau über rechtliche Konsequenzen aufgeklärt. Ich hatte große Bedenken, einen Eintrag ins polizeiliche Führungszeugnis zu riskieren. Und wie das bei möglichen Arbeitgebern ankommt. Ich habe aber immer mehr gemerkt: Was anderes hilft nicht. Petitionen unterschreiben, demonstrieren, das hab ich alles schon gemacht. Und was bringt mir ein sauberes Führungszeugnis in einem System, das weiterhin in schmutzige Energien investiert und uns in einen Kollaps der Gesellschaft führt? Deshalb klebe ich mich eben jetzt an die Straße. Ehrlich gesagt habe ich aber jedes Mal Angst, wenn ich den Briefkasten öffne.
Ehrlich gesagt habe ich aber jedes Mal Angst, wenn ich den Briefkasten öffne.
Lina Johnsen, Klimaaktivistin
Kam schon was von der Polizei?
Ja, mehrere Bußgeldbescheide. Insgesamt etwa 240 Euro.
Wie fühlt es sich an, an der Straße zu kleben?
Spaß macht das nicht, es ist ziemlich unangenehm. Der Kleber hält superfest, das hat mich auch überrascht. Die Einsatzkräfte, die mich bisher gelöst haben, waren sehr vorsichtig. Schmerzhaft ist es trotzdem manchmal, aber das ist eigentlich egal. Darum geht es ja bei den Aktionen nicht.
Eine österreichische Aktivistin teilte zuletzt ein Bild von ihrer blutigen Hand, nachdem die Polizei sie von der Straße gelöst hatte. Ist Ihnen das auch schon passiert?
Nein, bisher nicht. Aber wie gesagt, darum geht es nicht. Auch das würde mich nicht davon abbringen, mich an die Straße zu kleben.
Autofahrer reagieren immer wieder aggressiv auf die Blockaden. Wurden Sie schon attackiert?
Wir werden angehupt oder Leute drohen, über uns drüber zu fahren. Bei einer der letzten Aktionen wurde einer Aktivistin ins Gesicht gespuckt. Aber wir lassen das über uns ergehen, wir wollen keinen Streit mit den Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße. Wir sind nicht da, um gemocht zu werden. Es geht um die Dringlichkeit der Klimakrise, nicht um uns. Aber es gibt auch immer wieder Momente, die die Aggressionen aufwiegen. Menschen solidarisieren sich immer häufiger mit uns. Bei einer Aktion am Berliner Hauptbahnhof haben sich sogar vier Beistehende dazugesetzt, das war unheimlich emotional.
Haben Sie manchmal Angst?
Um mich persönlich eigentlich nicht, höchstens um meine Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Wenn jemand ernsthaft verletzt werden würde, wäre da für sie eine Grenze erreicht? Würden sie dann übers Aufhören nachdenken?
Nein. Ich sehe das Große und Ganze dieses Problems. Wir sind friedlich und lassen uns von Gewalt nicht aufhalten. Solange von der Politik keine tiefgreifenden Maßnahmen ergriffen werden, sehe ich mich im Widerstand.
- Interview mit Lina Johnsen, Aktivistin bei der "Letzten Generation"