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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geheimnisse Ägyptens Was steckt hinter dem mörderischen "Fluch des Pharaos"?
Es war eine Sensation, als Howard Carter 1922 das Grab Tutanchamuns entdeckte. Noch sensationeller waren die Meldungen von einer mysteriösen Todesserie, die folgte. Rächte sich der tote Pharao?
In den Jahren nach der Entdeckung des Grabes von Pharao Tutanchamun landeten immer wieder mysteriöse Pakete ohne Absender in der Poststelle des British Museums in London. Ihr Inhalt: mumifizierte Leichenteile. Manchen der morbiden Sendungen lag immerhin eine kurze Erklärung bei. Ursprünglich hatten die Besitzer jene Hände, Füße oder andere in Leinenbinden gewickelte Körperteile als Sammlerstücke oder auch als Arznei gegen allerlei Zipperlein erworben. Doch nun hatten sie Angst. Angst, der Fluch eines Pharao könne sie treffen, die Rache der so unrühmlich entweihten Toten aus dem Land am Nil.
Ausgelöst hatte diese postalische Mumienflut am British Museum eine Reihe von sensationslüsternen Zeitungsberichten. Scheinbar starben Menschen, die mit der Mumie Tutanchamuns in Kontakt gekommen waren, wie die Fliegen.
Tödlicher Besucher
Doch was ist wirklich dran am sogenannten "Fluch der Mumie"? Gab es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Beschäftigung mit den Toten im Tal der Könige und einem frühzeitigen Ableben? Oder war der Fluch nur eine raffinierte Methode, die Auflage der Tagespresse in die Höhe zu treiben? Gerüchte von einem Fluch kamen bereits am Tag der Graböffnung auf. Dabei war das erste Opfer nicht einmal menschlich, sondern ein kleiner gelber Kanarienvogel, der in einem Käfig auf der Veranda des Ausgräbers Howard Carter lebte, der die Ruhe von Tutanchamuns Grab stören sollte.
Bei den Arbeitern galt das muntere Federtier als Glücksbringer. Während nun Carter und ein enger Kreis von Vertrauten die letzten Steine vor dem Grabeingang entfernten, schlich sich eine Kobra auf die Veranda des Grabungshauses. Was zu dem Zeitpunkt noch niemand ahnte: Genau so eine Kobra – die Uräusschlange, das Schutztier der ägyptischen Pharaonen – trug Tutanchamun auf seiner Totenmaske über der Stirn. Der Kanarienvogel überlebte den Besuch nicht.
Und der böse Verdacht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Der Pharao hatte sein Schutztier geschickt, um den goldenen Glücksvogel der Ruhestörer zu töten. In die Presse schaffte der Kanarienvogel es noch nicht. Um so spektakulärer war dagegen der zweite Tod, der angeblich auf das Konto des in seiner Ruhe gestörten Pharao ging. Am 5. April 1923 verstarb Lord Carnarvon, der die Ausgrabungen im Tal der Könige finanziert hatte.
"Tod auf schnellen Schwingen"
Im Augenblick seines Todes verloschen sämtliche Lichter in Kairo, Stromausfälle waren damals nicht unüblich. Und auf seinem Wohnsitz, dem britischen Highclere Castle, heulte gleichzeitig seine Lieblingshündin Susie kurz auf und fiel tot um. Angeblich zumindest. Die Presse schlachtete das "Geschehen" gnadenlos aus. Immer neue Zeugen und Details tauchten auf, welche die Gerüchte zu einem scheinbar dichten Tatsachenteppich verwoben. Eine Tontafel solle sich in dem Grab befunden haben, auf der ein Fluch zu lesen war. Mit "Der Tod wird auf schnellen Schwingen zu demjenigen kommen, der die Ruhe des Pharao stört", hat der Ägyptologe Alan Gardiner die Inschrift angeblich übersetzt.
Tatsächlich jedoch existierten weder die Tontafel noch Fotos oder Zeichnungen von ihr. Nicht einmal ein "geflügelter Tod" kommt sonst irgendwo in der ägyptischen Glaubenswelt vor. Die sensationslüsterne Gesellschaft störte die Abwesenheit von tatsächlichen Belegen indes wenig. "Möglicherweise ist etwas elementar Böses die Ursache von Lord Carnarvons tödlicher Krankheit. Man weiß nicht, welche Geistwesen in jener Zeit existiert haben und in welcher Form sie in Erscheinung getreten sind. Die alten Ägypter hatten wesentlich mehr Kenntnisse über diese Dinge als wir", spekulierte gar der Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle, Erfinder des Romandetektives Sherlock Holmes und erklärter Anhänger des Spiritismus, im Blatt "Morning Post".
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Danach wollte die Reihe der Fluchtoten nicht mehr abreißen. Als nächstes holte Tutanchamun angeblich den amerikanischen Millionär George Jay Gould I., einen Freund Carnarvons, kurz nach dessen Besuch im Grab. Dass er bereits krank gewesen war, bevor er überhaupt nach Ägypten einreiste, schien zweitrangig. Auch Arthur Mace, Carters Chefkonservator, galt als Opfer. Er starb 1928 im Alter von nur 53 Jahren – an einer chronischen Rippenfellentzündung, mit der er schon vor der Entdeckung des Grabes zu kämpfen gehabt hatte.
Durchaus nicht ungewöhnlich
Ein Angestellter des British Museums fiel angeblich beim Etikettieren von Gegenständen aus dem Grab tot um. Dass es im British Museum niemals Gegenstände aus der Ruhestätte gegeben hatte, verschwieg die Klatschpresse. Und selbst an Prinz Ali Fahmy Bey, Sprössling des abgesetzten ägyptischen Monarchen, soll die Mumie sich gerächt haben. Dabei war es seine französische Ehefrau, die in einem Londoner Hotelzimmer seinem Leben ein Ende setzte.
Im Licht der Wissenschaft ergeben die Todesfälle ein anderes Bild. Statistisch betrachtet lag die Lebenserwartung in Großbritannien, woher die meisten der Opfer stammten, im Jahr 1930 bei 60,8 Jahren. Von allen Personen, die bei der Graböffnung anwesend oder anderweitig involviert waren, segnete allerdings lediglich Lord Carnarvon das Zeitliche vor diesem Datum.
Howard Carter durfte noch seinen 64. Geburtstag erleben. Und Carnarvons Tochter Lady Evelyn, die an der Seite ihres Vaters das Grab betreten hatte, erreichte gar das biblische Alter von 79. Noch im Jahr 2003 beschäftigte sich der Mediziner Mark R. Nelson von der Universität von Tasmanien mit dem Thema. In einem Aufsatz im "British Medical Journal" rechnete er vor, dass weder die Anwesenheit bei der Graböffnung noch die sonstige Beschäftigung mit der Mumie rein statistisch einen Einfluss auf die verbleibende Lebenszeit gehabt hatten.
Immer wieder geistert auch die Theorie durch die Presse, dass die Grabkammer mit tödlichen Schimmelpilzsporen verseucht sei. Im Verdacht stehen hier besonders Aspergillus niger und Aspergillus flavus. Die Totenpriester, lautet die Theorie, hätten sie in dem Grab ausgelegt, um Eindringlingen einen qualvollen Tod zu bereiten. Doch selbst wenn es so gewesen wäre, hätte die Maßnahme nur kurzfristig Wirkung zeigen können. Aspergillus niger ist auf Deutsch unter dem Namen Schwarzer Gießkannenschimmel bekannt. Sowohl er als auch Aspergillus flavus können nur im feuchten Milieu überleben – nicht aber im staubtrockenen Mikroklima einer Grabkammer im ägyptischen Wüstensand.
Überlebensfähiger sind da schon Bakterien, die ebenfalls tödliche Krankheiten auslösen können. Nach denen hatte sogar der Chemiker Alfred Lucas das Grab kurz nach der Öffnung explizit abgesucht. Grund für seine Forschungen war allerdings nicht die Angst vor einem Fluch des Tutanchamun – vielmehr hatte ihn die Hoffnung angetrieben, uralte Lebewesen aus der Zeit der Pharaonen zu entdecken. In dem Grab aber war "keinerlei bakterielle Lebensform nachweisbar", lautete sein enttäuschtes Resümee.
- Eigene Recherche
- Angelika Franz: Tutanchamun. Leben, Tod und Geheimnis, Frankfurt/Main 2017
- Nicholas Reeves: The Complete Tutankhamun, London 1995
- Süddeutsche Zeitung: Endlich Ruhe im Sarkophag, 2001
- Mark R. Nelson, The mummy's curse. Historical cohort study, BMJ 2002; 325:1482–4 (DOI: 10.1136/bmj.325.7378.1482)