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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Berühmter Bakteriologe Der größte Fehlschlag des Robert Koch
Robert Koch revolutionierte die Medizin mit der Entdeckung verschiedener Erreger, doch waren manche seiner Methoden verwerflich. Sein "Heilmittel" für Tuberkulose etwa erwies sich als Katastrophe.
Es hätte ihm bestimmt gefallen, dass dieser Tage sein Name in Deutschland häufig in einem Atemzug mit dem aktuellen Stand der Coronavirus-Pandemie genannt wird: Robert Koch. Nach ihm ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention benannt: das Robert Koch-Institut.
In den Backsteingebäuden am Nordufer des Berlin-Spandauer Schifffahrtskanals arbeiten derzeit Forscher mit Hochdruck daran, den Erreger SARS-CoV-2 in den Griff zu bekommen. Die neuesten Einschätzungen der Lage, die Empfehlungen zu Verhaltensmaßnahmen, die Prognosen für den weiteren Verlauf – all diese Informationen stellt das Robert Koch-Institut bereit.
Kiloweise Butter vertilgt
Dabei sah es, als Koch 1843 als drittes von insgesamt 13 Kindern einer Bergarbeiterfamilie im Oberharz geboren wird, noch gar nicht danach aus, dass er einst zu Ruhm kommen würde. Doch schon als kleiner Junge träumt er davon, der häuslichen Enge zu entkommen. Weltreisender Naturforscher will er werden, wie sein großes Vorbild Alexander von Humboldt – weit, weit weg von den trostlosen Bergarbeiterdörfern des Harzes.
Noch bevor für ihn die Schule beginnt, bringt er sich das Lesen und Schreiben selbst bei. Sein Vater erkennt das Talent und fördert ihn nach Kräften. Sein Großvater und sein Onkel bringen ihm das Mikroskopieren und das Fotografieren bei. Mit 19 Jahren geht der junge Koch nach Göttingen. Doch bereits nach dem ersten Semester an der Universität merkt er, dass es etwas gibt, was ihn noch stärker fasziniert als die Naturwissenschaften: die Medizin.
Er beginnt mit Forschungen zur Entstehung von Bernsteinsäure im menschlichen Körper – und scheut vor nichts zurück, um seine Hypothesen zu beweisen. Im Selbstexperiment verspeist er mehrere Kilo Butter. Der Einsatz lohnt sich, vier Jahre später hat er einen preisgekrönten Doktortitel in der Tasche und heiratet seine Jugendfreundin Emmy Fraatz.
Winzig kleine Stäbchen
Doch zur Ruhe kommt das junge Paar nicht. Koch arbeitet in Hamburg, dann in Hannover, zieht weiter nach Niemegk in der Nähe von Potsdam und von dort nach Rakwitz bei Posen. Als 1870 der Krieg gegen Frankreich ausbricht, meldet er sich freiwillig zum Sanitätsdienst. Typhus und Ruhr wüten unter den Soldaten – und Koch nimmt Proben, beobachtet, sammelt Daten. Nach dem Krieg geht er zurück nach Posen und wird Kreisarzt in Wollstein.
Eine schlimme Seuche wütet dort unter dem Vieh und befällt auch die Bauern: der Milzbrand. Neben der Arbeit als Kreisarzt und in seiner eigenen Praxis nutzt Koch jede freie Minute, um die toten Tiere zu untersuchen. Für Versuchszwecke hält er außerdem Kaninchen und Meerschweinchen. Schließlich gelingt es ihm, nachzuweisen, dass die winzig kleinen Stäbchen, von denen das Blut der befallenen Tiere wimmelt, die Krankheit auslösen.
Injiziert er sie in seine Versuchstieren, sterben sie nach kurzer Zeit. Die Entdeckung ist revolutionär. Bald kann der französische Chemiker Pasteur auf der Grundlage von Kochs Erkenntnissen einen Impfstoff entwickeln und der Milzbrand verliert seinen Schrecken.
"Ein fassbarer Parasit"
In Berlin ist man mittlerweile auf den jungen, ehrgeizigen Landarzt aufmerksam geworden. 1880 wird er als Leiter an die Bakteriologische Abteilung des neu gegründeten Kaiserlichen Gesundheitsamtes berufen. Hier stürzt sich Koch in die Arbeit an einem neuen Feind, der Tuberkulose. Sie ist ein schrecklicher Gegner, etwa jeder siebte Deutsche fällt ihr zum Opfer.
Koch identifiziert den Erreger und tauft ihn Tuberkelbazillus: "In Zukunft wird man es im Kampf gegen diese schreckliche Plage des Menschengeschlechts nicht mehr mit einem unbestimmten Etwas, sondern mit einem fassbaren Parasiten zu tun haben", frohlockt er bei einem bahnbrechenden Vortrag am 24. März 1882 vor der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Noch ahnt er es nicht, aber für diese Entdeckung wird ihm 23 Jahre später der Nobelpreis verliehen.
Im darauffolgenden Jahr beginnt Koch, das auszuleben, wovon er bereits seit seiner Kindheit träumt. Er geht auf Expeditionen nach Ägypten und Indien, um dort die Cholera zu erforschen. Mit Erfolg: Es gelingt ihm, auch deren Erreger ausfindig zu machen. Den beschrieb zwar 1854 bereits der italienische Arzt Filippo Pacini, doch Koch hatte seine Publikation nie gelesen und heimste den Ruhm für sich ein.
Der große Koch erleidet einen Rückschlag
Schließlich richtet die Medizinische Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin ihm 1885 einen eigenen Lehrstuhl für Hygiene ein. Das Arbeiterkind Koch ist ganz oben auf der Karriereleiter angekommen – doch ist dort oben kreuzunglücklich. Er hasst es, unterrichten zu müssen, vermisst die Forschung. Es sind keine guten Jahre für Koch: Seine Gesundheit ist angeschlagen und er reicht die Scheidung von seiner Frau Emmy ein. Unter Hochdruck arbeitet er daran, neue Erfolge präsentieren zu können.
1890 geht er mit seiner nächsten Entdeckung an die Öffentlichkeit, einem Heilmittel gegen die Tuberkulose. Angeblich hat er mit dem sogenannten Tuberkulin große Erfolge bei der Behandlung erkrankter Meerschweinchen erzielen können. Koch ist so überzeugt von der Wirksamkeit, dass er das Mittel sogar seiner Geliebten, der damals siebzehnjährigen Kunststudentin Hedwig Freiberg, einflößt. "Du könntest möglicherweise recht krank werden", soll er sie gewarnt haben, "aber sterben wirst Du voraussichtlich nicht." Hedwig überlebt. Nicht aber viele andere Patienten, denen nun Tuberkulin injiziert wird. Statt die Bakterien abzutöten, aktiviert es oft latent vorhandene. Die angeblich geheilten Meerschweinchen sind nicht mehr auffindbar.
Kochs Ruf erhält einen Knacks. Trotzdem übernimmt er 1891 die Leitung des Berliner Instituts für Infektionskrankheiten – jener Einrichtung, die später seinen Namen tragen wird. Im Folgejahr reist er nach Hamburg, um dort erfolgreich die große Cholera-Epidemie zu bekämpfen.
Nobelpreis für den Forscher
Glücklich macht ihn auch das nicht: "Was ich jetzt auch anfassen und unternehmen mag, sofort ist eine Schar von Missgünstigen und Eifersüchtigen bei der Hand, die sich auf dieselbe Sache stürzen, sie streitig zu machen oder, wenn ihnen das nicht gelingt, sie einem zu verekeln versuchen", brütet er trübsinnig. Als Führungskraft völlig ungeeignet, flüchtet er sich immer öfter in ausgedehnte Auslandsexpeditionen. An seiner Seite ist meist Hedwig zu sehen, die er 1893 zu seiner zweiten Ehefrau macht.
Robert Koch ist nur 60 Jahre alt, als er sich 1904 schließlich pensionieren lässt. Er will endlich alle Verantwortung los sein. Erleichtert und befreit reist er – mit dem frisch verliehenen Nobelpreis in der Tasche – nach Deutsch-Ostafrika, um dort die Schlafkrankheit zu erforschen, die innerhalb kürzester Zeit eine Viertelmillion Menschenleben gefordert hat.
Im benachbarten britischen Protektorat Uganda richtet er ein Lager ein. Die Patienten aber bleiben aus. Schnell hat sich herumgesprochen, dass die experimentellen Behandlungsmethoden des deutschen Arztes mit dem arsenhaltigen Präparat Atoxyl nicht nur extreme Schmerzen verursachen, sondern viele der Patienten für immer ihr Augenlicht verlieren. "Nicht wenige Kranke entzogen sich sehr bald dieser stärkeren Behandlung", beschwert sich Koch, weil die Therapie "zu schmerzlich war und (sie) auch sonstige unangenehme Empfindungen verursachte, wie Uebelkeit, Schwindelgefühl, kolikartige Schmerzen im Leibe".
"Wurde mit der Behandlung fortgefahren"
Den Patienten bleibt dennoch keine Wahl: "Da diese Beschwerden indessen nur vorübergehend waren, so wurde mit der Behandlung fortgefahren." Wer nicht freiwillig in die Behandlungsstation kommt, wird mit Gewalt geholt. In Kochs Welt ist die Grenze zwischen seinen Meerschweinchen und der einheimischen Bevölkerung Afrikas verschwommen. Die Ergebnisse, die er bei seiner Rückkehr nach Berlin mitbringt, sind indes bestenfalls zweifelhaft.
Dennoch wird nur zwei Jahre nach seinem Tod durch einen Herzanfall im Jahr 1912 das Berliner Institut für Infektionskrankheiten in Robert Koch-Institut umbenannt. Unter diesem Namen führt es auch die Experimente mit Menschen weiter. Im Nationalsozialismus finden die Forscher der Einrichtung ihre unfreiwilligen Probanden zuhauf in den psychiatrischen Heilstätten und Konzentrationslagern. Dieses dunkle Kapitel in der Geschichte des Robert Koch-Instituts erforschten von 2006 bis 2008 Historiker des Instituts für Geschichte der Medizin an der Berliner Charité – heute erinnert ein Kunstwerk vor dem Eingang daran.
- Robert Koch-Institut: Der Mitbegründer der Mikrobiologie
- Robert Koch-Institut: Eines der ältesten biomedizinischen Institute weltweit
- Süddeutsche Zeitung: "Er konnte mit Menschen nicht so wie mit Mikroben"
- Deutsche Biographie: Koch, Robert
- Freiburg-postkolonial.de: Robert Koch, die Schlafkrankheit und Menschenexperimente im kolonialen Ostafrika