t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePanoramaWissenGeschichte

DDR-Volkskammerwahl: "Ostdeutsche sind aufrecht in die Einheit gegangen"


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Freie DDR-Wahlen 1990
Mit seinen "blühenden Landschaften" traf Kohl einen Nerv


Aktualisiert am 18.03.2020Lesedauer: 5 Min.
Veranstaltung der "Allianz für Deutschland"' in Magdeburg: Die Beteiligung bei der Wahl zur Volkskammer im März 1990 war sehr hoch.Vergrößern des Bildes
Veranstaltung der "Allianz für Deutschland"' in Magdeburg: Die Beteiligung bei der Wahl zur Volkskammer im März 1990 war sehr hoch. (Quelle: ADN-Bildarchiv/ullstein-bild)
News folgen

Es war eine Premiere, am 18. März 1990 durften die DDR-Bürger erstmals frei ihr Parlament wählen. Die große Koalition des Siegers CDU verhandelte später die Einheit. Heute ist sie etwas vergessen.

Rund vier Jahrzehnte lang rief die SED immer wieder ihre Bürger zur Stimmabgabe auf, die Einheitspartei stand allerdings von Anfang an als Siegerin der Wahlen zur Volkskammer fest. 1990 sollte sich dies ändern, nach dem Fall der Mauer ein Jahr zuvor. "Nach der freien Wahl vom 18. März war die DDR eine Demokratie, das wird oft vergessen“, sagt Markus Meckel im Gespräch mit t-online.de. Als Außenminister der Deutschen Demokratischen Republik verhandelte der heute 67-jährige Sozialdemokrat Währungsunion und Einheitsvertrag mit der Bundesrepublik, dazu den Zwei-plus-Vier-Prozess.

Gerade deshalb ist es Meckel dreißig Jahre nach der ersten Freien Wahl zur DDR-Volkskammer wichtig zu betonen, dass die deutsche Einigung das Ergebnis von Verhandlungen gewesen sei. Geführt von einer DDR-Regierung, die eben frei gewählt wurde. Und zwar, wie Meckel betont, "genauso demokratisch legitimiert wie die Bundesregierung." Legitimiert von mehr als zwölf Millionen DDR-Bürgern, 93,4 Prozent der Stimmberechtigten gaben am 18. März 1990 ihre Stimme ab. Eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung, die den tiefen Wunsch der Ostdeutschen nach echter Mitbestimmung Ausdruck verlieh.

Opposition überführt die SED als Betrüger

Wahlen war die Bevölkerung wie anfangs geschildert zwar gewohnt – mit Demokratie hatten die vor der Friedlichen Revolution aber nichts zu tun. "Es gab die ‘Einheitsliste der nationalen Front‘", erinnert sich der Zeitzeuge Ralf Franke, der damals die sogenannte Ausbildung an der Waffe bei der Nationalen Volksarmee verweigert hatte und sich später in der Umwelt- und Friedensbewegung engagierte. Auf dieser Liste standen die Kandidaten der SED und der Blockparteien.

Als Bürger konnte man in öffentlicher Wahl entweder mit "Ja" oder mit "Nein" stimmen. So auch am 7. Mai 1989 bei der Volkskammerwahl – doch diesmal wurde der DDR-Führung die öffentliche Wahl zum Verhängnis. Hunderte junge Oppositionelle nahmen in verschiedenen Städten an der Stimmauszählung teil. Sie ermittelten, dass etwa sieben Prozent der Wähler mit "Nein" gestimmt hatten, wie der MDR dokumentiert.

Am Abend verkündete die Partei in Person von Egon Krenz aber, dass die Einheitsliste 98,85 Prozent Ja-Stimmen erhalten hätte. Somit war belegt, was längst jeder wusste: Die SED betrügt – oder wie Meckel es heute formuliert: "Sie war eine Wahl wie alle anderen und zwar gar keine."

"Sieg der Demokratie"

Seit den Reformen Michail Gorbatschows in der Sowjetuninon sei die Welt allmählich in Aufruhr gewesen, erinnert sich Markus Meckel: "Zentral war, dass der SED die Macht unter den Füßen entglitt." In Polen wurde frei gewählt, Ostdeutsche reisten über die Prager Botschaft der BRD aus und Ungarn öffnete den Grenzzaun zu Österreich. Gleichzeitig bewertete die DDR-Führung das Massaker auf dem Pekinger "Platz des himmlischen Friedens" im Juni 1989 als "Niederschlagung einer Konterrevolution."

Reformbereitschaft? Fehlanzeige. Das ließen sich die Bürger der DDR nicht länger bieten. Bürgerinitiativen wie "Demokratie jetzt" und "Neues Forum" organisierten immer größere Demonstrationen. Diese erzwangen schließlich den Fall der Mauer. "Als das ‘Neue Forum‘ im Herbst 1989 aus den verschiedenen Gruppen aktiv wurde, war das wichtigste Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, das Ende der Stasiüberwachung und Reisefreiheit", weiß Franke. Und diese Forderungen hätten sich auch schnell erfüllt.

Auf Initiative der Bürgerinitiativen wurde der "Zentrale Runde Tisch" eingerichtet. Hier trafen sich Vertreter der demokratischen Initiativen, der SED-Regierung unter Hans Modrow wie der Blockparteien. Schließlich beschloss das Gremium die ersten freien Wahlen in der Geschichte der DDR. "Man muss diesen Prozess als Sieg der Demokratie beschreiben", stellt Meckel klar.

"Blühende Landschaften" begeistern die DDR-Bürger

Er selbst befand sich damals bereits seit 20 Jahren in Opposition gegen die SED und gründete noch vor dem Mauerfall die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) mit. Gleichzeitig war dies auch die erste oppositionelle Initiative, die sich als Partei mit einem Grundsatzprogramm konstituierte. Um möglichst schnell für klare Verhältnisse zu sorgen, entschied der Runde Tisch am 26. Januar 1990 die Volkskammerwahlen bereits am 18. März abzuhalten.

Auch mit den Stimmen der Sozialdemokraten, die sich nun SPD nannten. Es folgte ein kurzer, aber heftiger Wahlkampf. Die CDU gewann und holte gemeinsam mit ihrem Wahlbündnis, der sogenannten Allianz für Deutschland, 48 Prozent der Stimmen. "Diese Volkskammerwahl wurde massiv mit Geld von westdeutschen Parteien beeinflusst", kritisiert Franke, der heute Ver.di-Gewerkschaftssekretär in Cottbus ist. Die CDU stützte sich etwa auf ihr Netzwerk als ehemalige Blockpartei und die Hilfe von Politprofis aus dem Westen.

"Die Wahlprogramme hatten nur einen bedingten Einfluss auf die Stimmabgabe", sagt Meckel. Seiner Meinung nach sei die Demokratiefrage nach dem Mauerfall eng mit der Einheitsfrage verknüpft gewesen. Die Leute hätten geschaut, was die Parteien versprechen, meint wiederum Franke. Die Sehnsucht nach Wohlstand war groß. "Deshalb sprach Kohl bewusst von blühenden Landschaften und traf damit einen Nerv bei vielen, die eine Veränderung der Lebensverhältnisse wollten."

Allein darauf wollte man sich in der Bonner CDU-Zentrale nicht verlassen, moniert Meckel: "Im Adenauerhaus wurde Diffamie gemacht." So wurde seiner Meinung nach etwa versucht, SPD und SED gleichzusetzen. Frei nach dem Motto: "Rot ist rot." "Ein Schockerlebnis – gerade von den ehemaligen Blockparteien", erinnert sich Meckel.

„Aufrecht in die Einheit“

Für viele war die Rechnung einfacher: Mit der Einheit käme die D-Mark und mit der D-Mark stiege der Wohlstand auf Westniveau. Im Wahlkampf erlebte Meckel eine skurrile Geschichte, die das unterstreicht: "Ich habe erlebt, wie ein älteres Ehepaar zu Willy Brandt kam und sagt 'Sonst würden wir gerne Sie wählen, aber diesmal müssen wir die CDU wählen, die hat das Geld'.‘“ Auch wenn der Wahlkampf nach Meckels Überzeugung nicht immer ganz fair war, vereinbarte seine SPD nach der Wahl eine große Koalition mit der CDU.

Loading...
Loading...

"Es war vorher klar, dass man einen möglichst breiten Konsens finden muss", erklärt Meckel die Beweggründe heute. Die ostdeutsche Bevölkerung wollte die Einheit. Dafür brauchte sie eine starke Regierung, die für die große Mehrheit der Bevölkerung sprach und "ein maßgeblicher Akteur der deutschen Einheit wurde", wie Meckel betont.

Denn die schnelle Wiedervereinigung war nicht nur Helmut Kohls Verdienst. "Die Ostdeutschen sind aufrecht in die Einheit gegangen, weil sie es wollten", unterstreicht Meckel, denn sie hätten wiederum diejenigen gewählt, die die deutsche Einheit wollten und verhandelt haben.

Verhandlungen nicht erforscht

Auch deshalb spielten die Bürgerinitiativen wie "Neues Forum" bei der Wahl nur eine untergeordnete Rolle. Hatte man einen kritischeren Blick auf die schnelle Einheit und die Währungsunion, sei man nicht gewählt worden, sagt Franke. Dass dieser "Selbstbestimmungsprozess der Ostdeutschen", wie Meckel es beschreibt, heute selten thematisiert wird, könnte mit den wirtschaftlichen Folgen in den ersten Jahren der Einheit begründet werden. "Dass mit der Einführung der D-Mark die Wirtschaft zusammenbricht, hat man nicht hören und wissen wollen", so Franke.

Viel über die Verhandlungen mit Kohl weiß man nicht, sagt Meckel. "Bis heute hat kein Historiker die Verhandlungen erforscht", so der ehemalige DDR-Politiker. "Das liegt daran, dass alle glauben, Kohl hätte die Einheit im Alleingang geschafft." Dabei scheint diese Geschichte einigen Sprengstoff zu bieten, denn nicht immer arbeitete die DDR-Delegation miteinander. Die meisten ihrer Mitglieder kamen aus ihren zivilen Berufen frisch in die Politik, bei den Verhandlungen saßen sie erfahrenen Berufspolitikern der Kohl-Administration gegenüber. Sagt Meckel.

Die hätten in den Verhandlungen schon einiges festgelegt, gegen das man später schwer angekommen sei, wie sich Meckel erinnert. Zusätzlich halfen ihnen wahrscheinlich ihre Parteifreunde im Osten, die offensichtlich hinter den Kulissen Kohls Vorschläge übernahmen: "Entwürfe bekam ich nicht aus dem Büro meines Koalitionspartners Günter Krause, sondern durch Indiskretion aus dem Adenauerhaus."

Am 23. August 1990 beschloss die Volkskammer schließlich den Einheitsvertrag und damit den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990. Die Volkskammer löste sich schießlich auf. Nur einmal in der Geschichte der DDR war sie frei gewählt worden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Markus Meckel
  • Interview mit Ralf Franke
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website