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Zum journalistischen Leitbild von t-online.U-Boot-Fund "Für die Besatzung muss es die Hölle gewesen sein"
Tomas Termote hat ein deutsches U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg am Meeresgrund entdeckt. Im Gespräch mit t-online.de erzählt der Forscher, wie er das schreckliche Schicksal der Besatzung aufklären will. Ein Gespräch über Nervenkitzel, Forscherdrang und die Unmenschlichkeit des Krieges.
Ein Interview von Marc von Lüpke
t-online.de: Herr Termote, was ist das für ein Gefühl, ein seit gut 100 Jahren verschollenes U-Boot am Meeresgrund zu entdecken?
Tomas Termote: Ich kann das nicht beschreiben, es ist unglaublich. Man fühlt sein Herz klopfen. Als ich zum ersten Mal zum Wrack hinuntertauchte, war die Sichtweite gut, wenn auch mit rund vier Metern nicht optimal. Das Wasser war aufgrund der vielen Schwebeteilchen grünlich, dann sah ich plötzlich braune und schwarze Schatten auftauchen. Es war das deutsche U-Boot aus dem Ersten Weltkrieg. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben, es ist einfach ein Kick.
Wie haben Sie das U-Boot vor Ostende jetzt ausfindig machen können?
Genau genommen ist es eine etwas ältere Entdeckung. Weil das Gebiet des Fundorts sehr stark befahren ist, machen die Behörden dort jedes Jahr Sonarabtastungen des Meeresbodens. Die gefundenen Wracks werden in eine Liste eingetragen. Ich studiere ab und zu die neuesten Abtastungen, sogenannte Multi-Beams. Als ich mir die entsprechende Grafik mit dem U-Boot ansah, ahnte ich gleich, das es kein normales Wrack wie ein Fischkutter oder ein Frachtschiff sein konnte: Es war ein Zylinder mit zwei spitzen Enden und in der Mitte befand sich ein Turm.
Wann genau haben Sie das Wrack als deutsches U-Boot identifiziert?
Weil dieser Meeresbereich sehr viel befahren ist, mussten wir erstmal eine Tauchgenehmigung bei den Behörden einholen. Der Gouverneur unserer Provinz Westflandern war auch gleich begeistert von dem Projekt. Zum ersten Mal hinuntergetaucht bin ich dann im letzten Juni. Zu diesem Zeitpunkt war die Chance am größten, eine gute Sicht unter Wasser zu haben.
Tomas Termote, 42, ist studierter Meeresarchäologe. Seit Jahrzehnten sucht und erforscht der Belgier Schiffswracks auf dem Meeresgrund. Termote ist Autor des 2015 im Mittler-Verlag erschienenen Standardwerks "Krieg unter Wasser. Unterseebootflottille Flandern 1915-1918". Das Buch ist im Handel erhältlich.
In welchem Zustand befindet sich das Wrack?
Die Luken des U-Boots sind fest geschlossen. Die Metallhülle selbst ist mit Anemonen bewachsen, das Innere wahrscheinlich mit Sand und Schlamm gefüllt.
Wie können Sand und Schlamm in das Unterseeboot gelangt sein, wenn die Luken geschlossen sind?
Weil ungefähr fünf oder sechs Meter vom Bugteil weggesprengt wurden. Wahrscheinlich von einer Seemine.
Haben Sie eine Vermutung, was geschehen ist?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das U-Boot irgendwo auf See gerammt worden ist. Beide Periskope sind nach vorne gebogen. Möglicherweise war es ein britisches Kriegsschiff. Danach ist die Besatzung wahrscheinlich geflüchtet und nicht weit vom sicheren Hafen tragischerweise auf eine Kontaktmine gelaufen. Oder wurde von einem Flugzeug bombardiert. Der Bug ist bis zum ersten Torpedorohr weggesprengt. Übrigens haben wir bei einem anderen U-Boot genau so einen Fall bereits mit wissenschaftlichen Methoden rekonstruieren können.
Also hatte die Besatzung einfach unglaubliches Pech…
Ja, sie haben einen Angriff überlebt, um dann wahrscheinlich etwa einen halben Tag später in einem Minenfeld zu verunglücken. Im Krieg gibt es keine Gewinner – auf keiner Seite.
Können Sie kurz erklären, wie genau die Unterseeboote im Ersten Weltkrieg auf dem Meer agiert haben?
Viele Menschen denken, dass die U-Boote untertauchten und dann wochenlang unter Wasser blieben. Das ist aber keineswegs so. Ein U-Boot war zu dieser Zeit eher ein Torpedoboot, das ab und zu abgetaucht ist. Die meiste Zeit fuhren die Unterseeboote mithilfe von Diesel-Motoren, die Luft brauchen, an der Wasseroberfläche. Über Wasser haben Sie in der Regel auch ihre Torpedos abgefeuert. Und natürlich das Deckgeschütz benutzt. Nur bei Sichten einer Gefahr wie einem feindlichen Zerstörer oder Flugzeug sind sie untergetaucht und haben sich dann per Elektromotor fortbewegt.
Wie lange konnten U-Boote zu dieser Zeit unter Wasser bleiben?
Relativ kurz. Sie konnten unter Wasser nur etwa 40 bis 50 Seemeilen fahren, bis die Batterien der Elektromotoren erschöpft waren. Danach mussten sie wieder an die Oberfläche kommen und auf Dieselantrieb wechseln. Die Tauchtiefe betrug ungefähr 50 Meter. Ab und zu sind die U-Boote auch tiefer gegangen. Im Zweiten Weltkrieg wurden dann übrigens die Dieselmotoren weiterentwickelt. Mithilfe von Schnorcheln konnten sie Luft ansaugen, ohne dabei aufzutauchen.
Wie war das Leben der Besatzungen an Bord dieser Schiffe während des Ersten Weltkriegs?
Es muss die reinste Hölle gewesen sein. Die sanitären und hygienischen Einrichtungen waren eine Katastrophe. Rund 23 Mann kamen auf eine Toilette, es gab so gut wie keine Waschmöglichkeiten. Konstant stank es im Inneren nach Diesel, die Luft, abwechselnd heiß, kalt und feucht, führte zu Hautausschlägen. Es gab viel zu wenige Schlafmöglichkeiten. Nur ein Teil der Besatzung hatte jeweils einen Schlafplatz: Die eine Hälfte war auf Wache und arbeitete, während die andere schlief. Auch sonst muss das Leben an Bord schrecklich gewesen sein. Jederzeit konnte das U-Boot auf eine Mine auffahren, gegnerische Kriegsschiffe und Flugzeuge hielten ständig Ausschau nach den deutschen U-Booten und wollten sie versenken.
Waren die U-Boote überhaupt eine erfolgreiche Waffe?
Die Unterseeboote waren die wichtigsten Waffen, über die Deutschland im Ersten Weltkrieg verfügte. Der spätere Premierminister Winston Churchill sagte am Ende des Krieges 1918, dass die U-Boote die Gefahr gewesen sind, vor der er sich am meisten gefürchtet hatte. Mit den Unterseebooten hätten die Deutschen die Briten beinahe in die Knie gezwungen. Die britische Bevölkerung war schließlich nahezu verhungert, weil die U-Boote mehr Schiffe zerstörten als gebaut werden konnten. Im Juli 1917 eröffnete die britische Armee deswegen die dritte Flandernschlacht in Belgien. Viele Menschen denken, es handelte sich dabei lediglich um ein neues Kapitel im Schützengrabenkrieg zwischen den Deutschen und ihren Gegnern: Aber tatsächlich wollten die Briten die deutschen besetzten Häfen von Zeebrugge und Ostende in die Hand bekommen. Dort unterhielten die Deutschen wichtige U-Boot-Stützpunkte.
Also hätten die U-Boote letzten Endes Deutschland fast zum Sieg verholfen?
In der Tat. Zu Kriegsbeginn 1914 verfügte die britische Flotte über bis zu 60 U-Boote, Deutschland hingegen hatte nur 28 Unterseeboote fertiggestellt. Im Mai 1918 schickte die Kriegsmarine dann 330 fertige U-Boote in den Einsatz, rund 600 waren in den Werften fast fertiggestellt. Vorausgesetzt der Krieg hätte ein, zwei Jahre länger gedauert, hätte Deutschland so über eine Flottenstärke von nahezu 1000 U-Booten verfügt. Allerdings führte die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Kriegs durch die Deutschen 1917 zur Kriegserklärung der USA an Deutschland. Und damit auch zur deutschen Niederlage 1918.
Kommen wir erneut auf das von Ihnen entdeckte U-Boot-Wrack zu sprechen. Um welchen Typ handelt es sich dabei?
Als ich am Meeresboden ankam, war ich bereits zu fast 100 Prozent sicher, dass es ein deutsches U-Boot vom Typ UB II ist. Dabei handelt es sich um eine mittelgroße Klasse. Das hatte ich auch bereits auf den Abmessungen des Multi-Beams erkennen können. Diese zeigte eine Länge des Schiffskörpers von etwa 27 Meter bei einer Breite von fünf Metern an. Ein UB II war 36 Meter lang. Die Maße stimmen also ungefähr überein, weil von unserem U-Boot mindestens fünf Meter weggesprengt sind. Wir hoffen, bei unseren nächsten Tauchgängen absolute Gewissheit zu erlangen.
Sie tauchen bald wieder runter zu dem Wrack?
Ja, und ganz Belgien ist auf die Ergebnisse gespannt. Ich denke, dass Sachen unter Wasser die Menschen grundsätzlich sehr faszinieren, aber U-Boote noch mehr, weil es faszinierende Schiffstypen waren, die den Krieg auf dem Meer im Ersten und Zweiten Weltkrieg gekennzeichnet haben.
Werden Sie in das Wrack eindringen? Bislang ist das U-Boot ja von Plünderern verschont geblieben und die sterblichen Überreste der Besatzung befinden sich aller Wahrscheinlichkeit noch an Bord.
Das ist natürlich eine heikle Sache. Tatsächlich sind da drinnen aller Voraussicht nach noch 23 menschliche Überreste. Wir müssen das sehr respektvoll behandeln. Rein technisch ist es bereits äußerst schwierig in den Metallkörper vorzudringen, weil die Luken eben geschlossen sind. Zusätzlich ist, wie gesagt, das gesamte U-Boot mit Sand und Schlamm gefüllt, an der aufgesprengten Seite kommt man auch nicht ohne Weiteres hinein. Unter Wasser hat man in dieser Tiefe eine Tauchzeit von etwa einer halben Stunde, so dass wir sehr viele Tauchgänge machen müssten, um weiter hinein vorzudringen. Meiner Meinung nach sollten wir das U-Boot einfach exakt identifizieren und es als maritimen Gedenkort schützen. Und eben auch als Grab.
Wie wollen Sie es identifizieren, ohne das Wrack zu betreten?
Es gab bei jedem U-Boot eine Nummerierung an den Schiffsschrauben. Hoffentlich kann ich sie beim nächsten Tauchgang sauber machen. Wenn wir die Nummer kennen, wissen wir, um welches U-Boot es sich handelt. Und die Nachfahren der Besatzung an Bord werden wissen, was aus den Männern geworden ist.
Haben Sie bereits eine Vermutung, um welches U-Boot es sich handeln könnte? Und welche Mission es auf seiner letzten Fahrt hatte?
Vom Typ UB II gab es damals 19 Exemplare im Hafen von Zeebrugge, sie wurden mit Nummern unterschieden. Es könnte sich entweder um die Nummer 27, 29 oder auch 32 handeln. Die UB II-Typen hatten in der Regel den Auftrag, Handelsschiffe unter anderem im Ärmelkanal und in der Biskaya anzugreifen. Sie waren mit zwei Torpedorohren und einem 8,8-cm-Deckgeschütz ausgerüstet.
Wie lang waren die Männer in der Regel auf See? Gab es da Unterschiede?
Meistens zehn bis 14 Tage. Weil der Vorrat auf vier Torpedos beschränkt war, dazu um die 100 bis 120 Patronen für das Geschütz an Deck. Kleinere U-Boote waren sogar nur drei Tage im Einsatz. Später hat das Deutsche Reich auch größere Modelle entwickelt, die bis zu einem Monat unterwegs sein konnten.
Gehen von dem Wrack möglicherweise Gefahren durch Treibstoff oder Munition aus?
Man kann sicher sein, dass zum Beispiel noch Öl in den Leitungen ist. Torpedos eher nicht. Weil das eine Bugrohr leer ist, lässt sich davon ausgehen, dass sich das U-Boot auf der Rückfahrt befand. Aber die Munition für das Deckgeschütz wird sicher noch da sein. Doch das ist keine Gefahr – wenn man alles in Ruhe lässt.
Kann man sich von diesem Fund wichtige Erkenntnisse über die Funktionsweise dieser U-Boot-Klasse erwarten?
Ich glaube nicht. Vom UB II sind viele Pläne und Fotos überliefert, wie von anderen Typen auch. Jetzt ist es viel wichtiger, mehr über die Ursache des Untergangs dieses U-Bootes herauszubekommen.
Woher kommt Ihr Interesse an der Meeresarchäologie?
Ich bin zwar studierter Archäologe und Meeresarchäologe, das mache ich aber in meiner Freizeit. Mein Vater betaucht Wracks schon seit mehr als 40 Jahren, er hat zahlreiche selbst entdeckt. Ich bin mit vierzehn Jahren zum ersten Mal zu einem deutschen Schnellboot aus dem Zweiten Weltkrieg getaucht. Jetzt forschen mein Vater und ich privat zusammen mit einer Gruppe interessierter Mitstreiter. Nicht nur in belgischen Gewässern, sondern auch in Frankreich, England, Holland und manchmal in Deutschland.
Erwarten Sie noch größere Funde im Meer? Oder war Ihr U-Boot-Fund ein großer Glücksfall?
Das ist schwer zu sagen. Es sind noch einige U-Boote und Torpedoboote aus der Zeit des Ersten Weltkriegs verschollen. Aber ebenso gibt es noch zwei Schiffe aus der Zeit der Spanischen Armada von 1588 zu entdecken. Und vor allem Schiffe aus der großen Zeit der Niederländischen Ostindien-Kompanie im 17. und 18. Jahrhundert. An unserer Küste herrscht zurzeit viel Aktivität. Schifffahrtsrouten werden vertieft und Windparks errichtet. Da kann noch viel entdeckt werden.
Herr Termote, vielen Dank für das Gespräch.
Zum Weiterlesen:
Tomas Termote: Krieg unter Wasser. Unterseebootflottille Flandern 1915-1918, Hamburg 2015