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Gedenken an den Ersten Weltkrieg: Unterschiedliche nationale Erinnerungskulturen


Gedenken an den Ersten Weltkrieg
Unterschiedliche nationale Erinnerungskulturen

t-online, dpa, are

Aktualisiert am 17.02.2014Lesedauer: 5 Min.
Nur wenige Grabsteine, die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gepflegt werden, erinnern an die fast zwei Millionen deutschen Gefallenen im Ersten WeltkriegVergrößern des Bildes
Nur wenige Grabsteine erinnern an die fast zwei Millionen deutschen Gefallenen im Ersten Weltkrieg (Quelle: imago-images-bilder)
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Geschichte ist nicht gleich Geschichte: In den europäischen Staaten hat der Erste Weltkrieg einen unterschiedlichen Stellenwert. Somit gestalten sich die Planungen zu einem gemeinsamen Gedenken schwierig.

Im kommenden August jährt sich der Kriegsausbruch zum 100. Mal. Angesichts einer Fülle von Gedenkfeiern, Ausstellungen und neuen Büchern wird sich in diesem Jahr kaum jemand dem Ereignis entziehen können. Das ändert aber nichts an der Verschiedenartigkeit der nationalen Erinnerungskulturen.

Deutschland: Der fast vergessene Krieg

Die Symbole, die in Deutschland an den Krieg erinnern sollen, übersieht man oft. Die Gedenksteine für die Gefallenen beispielsweise stehen meist abseits, neben Kirchen oder an Friedhofswegen, und man nimmt sie allenfalls im Vorübergehen wahr. Efeuberankt und moosbewachsen sind sie nahezu das Einzige, was heute noch an die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" erinnert.

Sucht man im Internet nach Fotos von Gedenksteinen, fällt noch etwas auf: Auf der Tafel "1914-1918" in Heiligenroth im Westerwald stehen 20 Namen einheimischer Gefallener, aber mehr als doppelt so viele unter den Jahreszahlen "1939-1945". Auf den Gedenksteinen in Lagrasse im Languedoc findet sich ein Namen aus dem Zweiten Weltkrieg, aber 29 Opfer aus dem Ort, die im Ersten Weltkrieg ihr Leben verloren.

Auch die jährlichen Gedenkfeiern stoßen kaum auf öffentliches Interesse. Der Volkstrauertag, ein Jahr nach Kriegsende initiiert, bezieht sich auf die Opfer aller vergangenen und gegenwärtigen Gewalt und Kriege. Die Gefallenen des Ersten Weltkriegs - rund neun Millionen, darunter knapp zwei Millionen Deutsche - und die schätzungsweise sechs bis neun Millionen toten Zivilisten werden in der Gedenkformel nur beiläufig erwähnt.

Gedenken an NS-Zeit

In Deutschland haben der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg mit ihren noch größeren Schrecken und Folgen die Erinnerung an das vorausgehende Schlachten verdrängt. Zumal diese Epoche viel unmittelbarer erlebbar ist: Immer noch gibt es Zeitzeugen, die davon erzählen können, wie es damals war. Viele Orte des Kriegsgeschehens liegen im eigenen Land, und die Bombenlücken im Stadtbild zeugen täglich davon.

Zumindest im Gedenkjahr ändert sich das: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat ein Portal eröffnet, das alle namentlich bekannten Gefallenen aufführt. Die Bundeszentrale für politische Bildung arbeitet an einer umfassenden Internet-Präsentation der Geschehnisse.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin plant für August eine große Weltkriegs-Ausstellung. Und die virtuelle "Bibliothek Europeana" in Berlin hat nun ihr Themenportal freigeschaltet. Daran beteiligt sind andere Nationalbibliotheken. Es enthält eine halbe Millionen Bild- und Textdokumente.

Aber abgesehen vom Gedenkjahr kommen junge Menschen, die nach den üblichen vier bis sieben Lehrplan-Stunden zum Weltkrieg im Fach Geschichte die Schule verlassen, kaum noch mit dem Thema in Berührung. "Der Erste Weltkrieg wird nicht als wichtiger Baustein der eigenen Geschichte begriffen", bedauert der Historiker und Weltkriegsexperte Prof. Dr. Gerd Krumeich von der Universität Düsseldorf. Bei Franzosen, Belgiern und Briten sei das ganz anders.

Und genau da liegt das Problem: Denn wie lässt sich das Gedenkjahr gemeinsam gestalten, wenn die Perspektiven auf das Ereignis ganz unterschiedlich sind.

"La Grande Guerre" als Symbol nationalen Widerstandes

Für die Franzosen ist die Vereitelung des deutschen Durchmarschs an Marne und Somme ein Symbol des nationalen Widerstandes, Zusammenhalts und Opfermuts. Zumal Frankreichs Rolle im Ersten Weltkrieg im Rückblick weit ungetrübter ist als die im Zweiten, als das Vichy-Regime mit Hitler paktiert hatte.

Man interessiert sich für den "Grande Guerre" mindestens so sehr wie die Deutschen für Filme, Dokumentationen und Bücher über "Hitlers Krieg". Vereine und Verbände kümmern sich um den Erhalt von Denkmälern und Kriegsschauplätzen, organisieren Gedenkmärsche oder spielen gar Schlachtszenen nach. Mehr als 900 Einzelprojekte sind zum Gedenken geplant.

Für Frankreich hat der Erste Weltkrieg eine Bedeutung, "die mit der der französischen Revolution von 1789 durchaus vergleichbar ist", schreibt Arndt Weinrich vom Deutschen Historischen Institut in Paris. Zusammen mit Krumeich berät er die französische Regierung bei der Vorbereitung des Jahrestags.

Angesichts der Krise und wachsender sozialer Konflikte ist es daher nicht verwunderlich, dass Präsident Francois Hollande den Jahrestag ganz groß feiern lässt: "Der Erste Weltkrieg erinnert uns daran, wie stark eine Nation sein kann, wenn sie zusammenhält", hat er die Franzosen gemahnt.

Das Gedenken an den "Great War" als patriotischer Akt

In Großbritannien hat das Gedenken an den verlustreichen Sieg im Ersten Weltkrieg eine nicht minder große Dimension. Und wohl stärker noch als in Frankreich steht es im Kontext einer kriegführenden Nation: Britische Soldaten sterben im Irak und in Afghanistan.

Der britischen Opfer des Krieges - mit ca. einer Millionen doppelt so viele wie im Zweiten Weltkrieg - zu gedenken, gilt auch deshalb als patriotische Selbstverständlichkeit. Jedes Jahr am 11. November, dem Tag des Waffenstillstands, spenden die Briten für die Veteranenvereine, stecken sich rote Plastikblumen an, die an die blutgetränkten Schlachtfelder erinnern sollen, und legen zwei Schweigeminuten ein.

Mehr als 60 Millionen Euro gibt die Regierung für das Jubiläum aus. Die britischen Soldatenfriedhöfe in Nordfrankreich und Belgien mit jährlich fast einer halben Milliarde Besuchern werden zum Jubiläum teilweise restauriert.

Das Imperial War Museum in London wird aufwändig umgebaut, und im ganzen Land gibt es wohl kaum ein Museum, das sich dem 100. Jahrestag nicht irgendwie widmet.

"Die Lektionen, die wir lernten, haben unsere Nation verändert und uns zu dem gemacht, was wir heute sind", sagte Premierminister David Cameron, als er bereits vor einem Jahr sein Gedenkprogramm skizzierte.

"Fehlende kollektive Erinnerung"

"Die offensichtlich differente Erinnerung an den Ersten Weltkrieg wirft letztlich ein Schlaglicht auf das Nicht-Vorhandensein einer kollektiven europäischen Erinnerung", konstatiert Weinrich. "Der 100. Jahrestag der Urkatastrophe Europas bietet die Chance, die dauerhafte Pazifizierung Europas zu feiern und von deutscher Seite ein symbolisch starkes Bekenntnis zu den deutsch-französischen Beziehungen und zur europäischen Integration abzulegen".

Krumeich vermisst dafür jedoch ein inhaltliches Konzept der Bundesregierung. "Es wäre für unsere Arbeit im französischen Vorbereitungskomitee hilfreich gewesen, Hinweise zu haben aus Deutschland. Aber man hat nur gesagt: Wir sind bereit mitzuspielen."

Zurückhaltung in Berlin bei den Planungen

Für die Zurückhaltung in Berlin gibt es Gründe. Als indirekte Nachfolger der Kriegsauslöser und -verlierer den Siegern eigene Vorstellungen des Gedenkens zu präsentieren, scheint als unangemessen eingeschätzt zu werden.

Alleine der Versuch, in London vorzufühlen, ob sich der britischen Ausdeutung des Ereignisses eine versöhnungsbetonte Perspektive hinzufügen lässt, hat auf der Insel ein eher negatives Presseecho gefunden. Im Auswärtigen Amt, wo die Zusammenarbeit anlässlich des Gedenkjahrs koordiniert wird, ist man sich "der besonderen Sensibilität der internationalen Partner bewusst", wie es ganz diplomatisch heißt.

Deswegen führe man "Gespräche in vielen Hauptstädten, um die Erwartungen und wichtigsten Botschaften abzustimmen". Auch die Hängepartie bei der Regierungsbildung am Jahresende 2013 mag die deutschen Planungen nicht gerade befördert haben: Den neuen Außenminister konnten die Beamten schwer vor vollendete Tatsachen stellen. Und so hat zunächst nur Bundespräsident Joachim Gauck erste gemeinsame Gedenkveranstaltungen mit Hollande terminiert.

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Europa ist ein Friedensprojekt

Die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für das heutige Europa ist unbestritten. Der ehemalige luxemburgische Premiers Jean-Claude Juncker fordert: "Wer an Europa zweifelt oder an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen." Für ihn sind Gefallenen-Gedenksteine quasi das Fundament der Europäischen Integration.

Angesichts der Krise in Europa ist das Gedenkjahr eine Chance für die Regierungen, mit einer Reihe symbolträchtiger Begegnungen zu demonstrieren, dass die Gemeinschaft über alle gegensätzlichen Erfahrungen und Erinnerungskulturen hinweg zusammenhält.

Den Anfang dazu machen die Staats- und Regierungschefs im Juni bei einem D-Day-Treffen in der Normandie auf Einladung Frankreichs. Europa, das sollte bei allen Kontroversen nicht vergessen werden, ist seit fast 70 Jahren ein erfolgreiches Friedensprojekt.

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