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Ukraine-Krieg: Rückzug aus Awdijiwka


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Kämpfe in Awdijiwka
"Wie viele Soldaten will die Ukraine hier unnötig opfern?"


Aktualisiert am 07.02.2024Lesedauer: 1 Min.
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Heftige Kämpfe um Awdijiwka: Animationen zeigen die Einkesselung der Stadt. (Quelle: t-online)

Russische Truppen rücken von mehreren Seiten auf die Stadt Awdijiwka vor, die Ukraine stellt sich ihnen weiterhin in den Weg. Ein Experte hält das für einen Fehler.

Seit Monaten wird in der Region um die ukrainische Stadt Awdijiwka heftig gekämpft. Nun haben russische Truppen offenbar die ersten Straßenzüge im Norden eingenommen. Auch im Süden mussten ukrainische Truppen zurückweichen.

Präsident Wolodymyr Selenskyj will Awdijiwka offenbar so lange wie möglich halten. Militärexperte Ralph Thiele bezeichnet das als Fehler und fragt: "Wie viele Soldaten will die Ukraine hier unnötig opfern?"

Im Interview mit t-online analysiert er die aktuelle Situation in Awdijiwka, erklärt die strategische Bedeutung der Stadt und verrät, warum er die von Selenskyj geplante Absetzung von Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj für einen Irrtum hält.

Videotranskript lesenEin- oder Ausklappen

Die Stadt Awdijiwka im Osten der Ukraine ist weiter umkämpft. Seit Monaten kommt es in der Region zu heftigen Gefechten. Ein entscheidender Vorstoß ist den russischen Angreifern bislang nicht gelungen. Das könnte sich nun ändern.

In den vergangenen Tagen und Wochen ist es russischen Truppen offenbar gelungen, im Norden von Awdijiwka vorzurücken, bis an einen kleinen See. Auch die ersten Straßen der Stadt stehen laut dieser Karte unter russischer Kontrolle. Gleichzeitig versuchen die Truppen des Kremls, im Süden vorzurücken und dort ukrainische Verteidiger einzukesseln. Militärexperte Ralph Thiele analysiert die Situation.

“Die Ukrainer versuchen eine Art 'Stellung halten', wo es überall geht, und die Russen versuchen einzubrechen, wo es überall geht. Und Awdijiwka ist jetzt einer der Orte, wo man das aufs Exempel macht. Dabei werden unnötig viele Menschen geopfert, von beiden Seiten. Menschen, die man gut gebrauchen könnte. Um auch um ein Beispiel dazu zu sagen: Die Ukraine, die relativ viele und auch gut ausgebildete Spezialkräfte hat, verbrennt diese Spezialkräfte, die wirklich wichtig sind, um Bewegung in die Front zu bringen, im Stellungskrieg.”

Thiele vergleicht die Situation in Awdijiwka mit den Kämpfen um Bachmut vor einigen Monaten. Genau wie dort stellt sich für Thiele auch bei Awdijiwka die Frage, wie kriegsentscheidend die Stadt im Osten der Ukraine überhaupt ist.

“Überhaupt nicht. Awdijiwka ist taktisch von Bedeutung. Natürlich ist es nachteilig, es liegt an einer Knotenpunkt-Straße, wo man dann sozusagen Versorgungsprobleme bekommt, wo die Russen dann an anderen Stellen mehr Druck machen können. Also natürlich ist es nicht zweckmäßig, so eine Stadt leichtfertig aufzugeben. Aber die Frage ist natürlich: Gerade die Ukraine, die knapp ist an Munition, die knapp ist an Soldaten – wie viele Soldaten soll sie dort in Anführungsstrichen verbrennen, das heißt unnötig opfern, damit sie dort zeigen kann, dass sie den Russen standhält? Ist das wirklich sinnvoll für die Ukraine mit Blick auf die Gesamtlage? Und da habe ich eben doch meine Zweifel.”

Thiele bringt auch einen zweckmäßigen Rückzug aus Awdijiwka ins Gespräch.

“Das ist das, was man zweckmäßigerweise macht. Eigentlich suchen militärische Führer danach, sich in der Verteidigung so aufzustellen, dass es einfach ist, sich selbst zu verteidigen und dem Gegner möglichst die Verluste beizubringen und nicht auf Teufel komm raus auf irgendeinem Gelände, irgendwelchen Dörfern oder was auch immer festzuhalten. Das ist so ein bisschen eigentlich gegen das, was man machen sollte.“

Die ukrainischen Soldaten sind dort täglich mit Situationen wie diesen konfrontiert. Über das weitere Vorgehen vor Ort gibt es innerhalb der ukrainischen Führung unterschiedliche Ansichten.

Generalstabschef Walerij Saluschnyj ist laut Experten maßgeblich verantwortlich für die militärischen Erfolge der Ukraine und die Moral der Truppen. Ihn will Präsident Wolodymyr Selenskyj allerdings zeitnah austauschen. Eine Entscheidung, die bei vielen Soldaten nicht gut ankommt.

“Es kommt natürlich darauf an, wer ihn ersetzt, aber grundsätzlich sind wir mit ihm zufrieden.”
“Sie sind zufrieden mit Saluschnyj?”
“Ja. Eine Absetzung wäre derzeit nicht angemessen. Man tauscht den Befehlshaber nicht auf dem Schlachtfeld aus.”

Auch Militärexperte Ralph Thiele hält die mögliche Absetzung Saluschnyjs für einen Fehler. Denn dieser habe durch gute Planung und militärische Erfolge ein festes Band zu seinen Soldaten gewoben.

“Wenn ich ihn jetzt rausziehe aus diesem Gewinde, dann ist es ja nicht nur er. Dazu zählen ja viele Planer, viele Vertraute, viele exzellente taktische Kommandeure, Kompaniechefs, Zugführer, Gruppenführer, die alle das Vertrauen in ihn haben. Dann ist dieses Band erst mal weg. Das heißt also, die Motivation erleidet im Grunde ein kleines Schockerlebnis, wo man dann hinterher schauen muss: Wer ersetzt ihn denn? Ist das jemand, der schon gut bekannt und vertraut ist? Oder muss der sich jetzt erst dieses Vertrauen aufbauen und mühsam erwerben?”

Selenskyj wolle hier zu sehr selbst die militärische Strategie bestimmen, meint Thiele. Der Präsident fühle sich nach fast zwei Jahren Krieg sattelfest in der Materie, fürchtet zudem wohl auch die Beliebtheit Saluschnyjs, falls dieser künftig tatsächlich eine Präsidentschaftskandidatur in Betracht ziehen sollte.

Während die Führung der Ukraine uneins ist, wird in Awdijiwka weiter gekämpft. Aufnahmen sollen zeigen, wie Ukrainer russische Soldaten gefangen nehmen, die durch die Häuserreihen am Stadtrand vorrücken wollten.

Ein weiteres Video zeigt offenbar einen russischen Panzer, der auf die Verteidiger in Awdijiwka feuert. Nach einem Drohnentreffer muss die Besatzung allerdings flüchten. Die Truppen der Ukraine leisten also weiter Widerstand. Ob es die richtige Entscheidung ist, dort zu verharren und sich nicht zurückzuziehen, ist nach Ansicht der Experten fraglich.

Wie heftig derzeit um Awdijiwka gekämpft wird, wie ein Militärexperte die Lage einschätzt und warum Präsident Selenskyj seinen Oberbefehlshaber loswerden will, sehen Sie im Video direkt hier oder oben.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Militärexperte Ralph Thiele vom 06.02.2024
  • Nachrichtenagentur Reuters: Aufnahmen aus der Region um Awdijiwka
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