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Schlacht um Awdijiwka – Putin droht ein zweiter Rückschlag


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Schlacht um Awdijiwka
"Russland setzt auf Taktik der absoluten Zerstörung"


Aktualisiert am 27.10.2023Lesedauer: 5 Min.
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Kampf um Awdijiwka: Ukrainische Truppen feuern auf russische Stellungen nahe der Stadt im Gebiet Donezk. (Quelle: LIBKOS/ap)
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Die ukrainische Stadt Awdijiwka ist aktuell Schauplatz heftiger russischer Angriffe. Auch andernorts entlang der Front toben Kämpfe. Ein Experte schätzt die Lage ein.

Die Ukraine gerät im Osten unter Druck. Die Stadt Awdijiwka vor den Toren von Donezk ist seit Wochen hart umkämpft. Russland scheint seine Kräfte im Ukraine-Krieg aktuell in dieser Region zu konzentrieren, wobei die Militärführung herbe Verluste in Kauf nimmt.

Laut ukrainischen Angaben sollen die russischen Truppen um Awdijiwka rund 6.000 Todesopfer sowie Verluste von mehr als 400 gepanzerten Fahrzeugen zu beklagen haben – und das lediglich binnen der vergangenen Woche. Auch das britische Verteidigungsministerium meldete unter Verweis auf ukrainische Quellen zuletzt, dass die russischen Verluste seit Beginn der Offensive gegen Awdijiwka um 90 Prozent gestiegen seien. Angaben über Verluste aufseiten der Ukraine machen weder Kiew noch London.

Gleichzeitig gibt es Bewegungen an anderen Frontabschnitten. Ukrainische Truppen haben den Fluss Dnipro überquert, kämpfen weiter um Durchbrüche in der Südukraine und haben Russland schwere Schläge auf der Krim zugefügt. Der Militär- und Sicherheitsexperte Nico Lange schätzt im Gespräch mit t-online die militärische Lage in der Ukraine ein. Er erklärt, warum die ukrainische Gegenoffensive nicht gescheitert ist und wo Kiews Truppen die größten Erfolge erzielt haben.

Video | Russland erleidet erhebliche Verluste
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Quelle: t-online

Schlacht um Awdijiwka

"Russland setzt in der Region auf eine Taktik der absoluten Zerstörung", sagt Lange. Die Situation lasse sich mit der Schlacht um Bachmut vergleichen: "Auch dieser Ort ist nun von drei Seiten durch Russland eingekreist, auch hier schickt Russland ohne Rücksicht auf Verluste Welle um Welle seiner Truppen in das Feuer der ukrainischen Armee." Die genannten Zahlen zu Verlusten stimmten mit dem überein, was man auf Satellitenbildern sehen könne. "Es ist erschreckend", sagt Lange.

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Russland verfolge bei Awdijiwka wohl drei Ziele: "Erstens will man die Frontlinie verkürzen, um weniger Ressourcen einsetzen zu müssen." Zweitens biete sich das urbane Gebiet Awdijiwka trotz großer Zerstörungen besser als Überwinterungsort an als ländliche Gebiete. Außerdem brauche Russland Propagandaerfolge: "Awdijiwka ist eine Stadt im Donbass, die bereits seit 2014 an der Front liegt und umkämpft ist. Zudem stehen im kommenden Jahr Präsidentschaftswahlen in Russland an", erklärt Lange. "Wirklich vorzeigbare Ergebnisse hat Russland aber bisher nicht erzielt."

Doch Russlands andauernde Attacken gegen die Kleinstadt im Oblast Donezk könnten auch fruchten. Oleksij Arestowytsch, ehemaliger Berater des Präsidentenbüros in Kiew, prophezeite zuletzt den Verlust Awdijiwkas. "Jetzt erleben wir die großen Verluste der Russen bei Awdijiwka. Aber ich möchte Sie daran erinnern, dass wir sechsmal Gebiete verloren haben, die wir so tapfer zu verteidigen begannen", sagte Arestowytsch im Interview mit dem russischsprachigen Telegramkanal "Politika Strani".

Dabei spielte er auf die Verluste von sechs strategisch wichtigen Städten an, darunter Bachmut, Soledar und Sjewjerodonezk. Der ehemalige Präsidentenberater ist in der Ukraine nicht unumstritten. Er trat von seinem Posten zurück, nachdem er für Aussagen zu einem russischen Raketentreffer in Dnipro scharf kritisiert worden war.

Überquerung des Flusses Dnipro

Für Aufsehen sorgte zudem die Überquerung des Flusses Dnipro nahe der Stadt Cherson im Süden der Ukraine. Ukrainischen Truppen sind dort Vorstöße gelungen. Jedoch ist noch unklar, wie nachhaltig diese Angriffe sind. "Ob aus den ukrainischen Vorstößen bei Cherson am linken Dnipro-Ufer ein Brückenkopf wird, ist bisher noch eine offene Frage", so Lange.

Sicherheitsexperte Nico Lange
Sicherheitsexperte Nico Lange (Quelle: Michael Kuhlmann)

Nico Lange (48) ist Politikwissenschaftler und Publizist. Von 2006 bis 2012 leitete er das Auslandsbüro der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Ukraine. Von 2019 bis 2022 führte Lange den Leitungsstab im Bundesverteidigungsministerium. Aktuell ist er Senior Fellow der Zeitenwende-Initiative bei der Münchener Sicherheitskonferenz.

Im militärischen Sprachgebrauch werden Stellungen auf feindlichem Territorium, das durch ein Gewässer von eigenen Gebieten getrennt ist, als Brückenkopf bezeichnet. Gelingt die Errichtung eines solchen Brückenkopfes, bekommen die Angreifer größeren strategischen Handlungsspielraum. So können etwa eigene Truppen sicherer anlanden sowie mit Nachschub versorgt werden.

Russland feuere aus den Gebieten auf dem linken Dnipro-Ufer weiterhin mit Artillerie auf ukrainische Stellungen, aber auch direkt in die Stadt Cherson hinein. "Ziel der Ukraine ist, diese Artilleriestellungen zu lokalisieren und zu bekämpfen. Da Kiews Truppen keine Luftunterstützung haben, müssen sie Bodentruppen dorthin schicken", erklärt Lange. "Gleichzeitig verfolgen die ukrainischen Streitkräfte dort wohl das Ziel, die Front zu strecken und russische Einheiten im Süden zu binden."

Offensive im Süden des Landes

Mit Blick auf die ukrainischen Bemühungen im Süden des Landes, vor allem in der Region Saporischschja, sagt Lange: "Die ukrainische Gegenoffensive ist nicht gescheitert." Im September haben ukrainische Truppen in der Region wichtige Fortschritte gemacht. Dabei waren auch deutsche Marder-Panzer im Einsatz, mehr dazu lesen Sie hier.

Seitdem sind jedoch kaum weitere Durchbrüche gelungen. Die ukrainische Gegenoffensive habe "unter widrigen Umständen" begonnen, sagt Lange. "So haben den Ukrainern wichtige Waffensysteme wie die ATACMS gefehlt, die erst jetzt geliefert wurden." Mehr zu den Raketen aus den USA lesen Sie hier.

Nato-Staaten würden Offensiven unter solchen Bedingungen gar nicht erst starten, sagt Lange. "Dennoch sind den Ukrainern kleinere Durchbrüche gelungen. Es handelt sich also nicht um einen Misserfolg."

Im Süden werden die Kämpfe laut Lange auch im Winter weitergehen. Das liege unter anderem daran, dass es dort nicht so kalt werde wie etwa im Osten des Landes. "Dabei werden beide Seiten wohl auf Abstandswaffen wie Artillerie, aber auch Drohnen setzen."

Es ist bereits der zweite komplette Winter, in dem die Ukraine sich russischer Angriffe erwehren werden muss. Zu Beginn des russischen Angriffs im Februar 2022 näherte sich die kalte Jahreszeit bereits ihrem Ende. "Die Ukraine hat sich im vergangenen Winter als äußerst diszipliniert erwiesen, was den Winterkrieg angeht", sagt Lange. Der Unterschied zu den kommenden Monaten: "Dieses Mal ist man etwas besser ausgestattet und verfügt über mehr Kettenfahrzeuge, mit denen Vorstöße gewagt werden könnten."

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Letztlich aber habe natürlich auch Russland Erfahrungen mit dem Kämpfen im Winter gesammelt. "Am Ende wird es um die Frage gehen: Wer überwintert auf offenem Feld und wer kann in Städten bleiben?", erklärt Militärexperte Lange. "Davon werden vielerorts Erfolg oder Misserfolg abhängen."

Video | Ukrainische Spezialeinheit greift russischen Krim-Stützpunkt an
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Quelle: t-online

Zudem erwarten Fachleute erneut groß angelegte russische Angriffe auf die kritische Infrastruktur in diesem Winter. Die wohl anstehenden Angriffe Russlands auf die Energieinfrastruktur "bleiben eine strategische Bedrohung", schreibt Jack Watling vom britischen Thinktank Royal United Services Institute (RUSI). "Wenn Russland in der Lage ist, die Wasserpumpen in den ukrainischen Städten während der kalten Jahreszeit zu zerstören, werden Rohre platzen, wodurch städtische Gebiete unbewohnbar werden könnten", warnt der Militärexperte. Die Ukraine brauche dringend adäquate Flugabwehr.

Ukrainische Schläge gegen die Krim

Anhand der Kampfhandlungen rund um die seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim zeigen sich laut Einschätzung Nico Langes die wahren Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive. "Auf der Westseite der Halbinsel hat man bedeutende russische Flugabwehrsysteme zerstört, die russische Schwarzmeerflotte vertrieben und so sogar selbst einen Korridor geschaffen, über den Getreide exportiert werden kann", sagt der Experte.

Zuletzt war es den Ukrainern sogar gelungen, mit einer Spezialeinheit Russen in Kampfhandlungen auf der Krim zu verwickeln. Im September griffen Kiews Truppen mit Marschflugkörpern zunächst den Schwarzmeerhafen Sewastopol an und rund eine Woche später das Hauptquartier der Schwarzmeerflotte. Mehr dazu lesen Sie hier. "All das sind wichtige Erfolge, denn die Krim ist für Russland von hoher Bedeutung für die Kriegslogistik. Geraten die Russen dort unter Druck, werden sie im weiteren Kriegsverlauf Probleme bekommen", so Lange.

Verwendete Quellen
  • Telefongespräch mit Nico Lange
  • rusi.org: "Ukraine Must Prepare for a Hard Winter" (englisch)
  • understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, Ocotober 25, 2023" (englisch)
  • newsweek.com: "Ukraine Will Lose Avdiivka, Zelensky's Former Aide Predicts" (englisch)
  • atlanticcouncil.org: "Battle of Avdiivka: Putin’s new offensive continues despite heavy Russian losses" (englisch)
  • businessinsider.com: "Russia launched its biggest attack in months. Huge tank losses show it isn't learning from its many defeats, expert says" (englisch)
  • nytimes.com: "With Raids Across Dnipro River, Ukraine May Be Seeking New Front in War" (englisch)
  • Telegramkanal von @stranaua
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