Prozess in Moskau "Mörderland" – Mann droht lange Haft wegen privater Telefonate
Wegen Aussagen in privaten Gesprächen soll ein Mann in Moskau verurteilt werden. Die Staatsanwaltschaft fordert neun Jahre in einer Strafkolonie.
In die Strafkolonie wegen privater Telefonate – das droht dem ehemaligen Polizisten und gebürtigen Ukrainer Sergej Klokow in Russland. Seit März vergangenen Jahres sitzt er in Untersuchungshaft, gerade wird sein Fall vor dem Bezirksgericht Perowski in Moskau verhandelt. Dort hat die Staatsanwaltschaft nun neun Jahre Strafkolonie für Klokow gefordert. Das berichtet unter anderem das kremlkritische Portal "Mediazona".
Dem ehemaligen Mitarbeiter des russischen Innenministeriums wird vorgeworfen, in drei privaten Telefonaten falsche Informationen über den russischen Krieg verbreitet zu haben. Dieser muss im Land nach wie vor als "Spezialoperation" bezeichnet werden. Konkret soll er der Staatsanwaltschaft zufolge Russland als "Mörderland" bezeichnet haben und abgestritten haben, dass es in der Ukraine Faschismus gebe. Eines der russischen Narrative für den Einmarsch in die Ukraine ist, dass diese von Faschisten befreit werden müsse. Auch soll Klokow die Tötung von Zivilisten in der Ukraine angeprangert haben.
Es wäre der erste Fall, in dem eine Person für ein Telefonat zur Rechenschaft gezogen wird, schrieb die "taz" bereits im Januar. Hintergrund der Anklage sind Gesetze, die Russland nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine erlassen hat. So ist es etwa illegal, "Fake News" über das russische Militär zu verbreiten oder ein Ende des Krieges zu fordern.
Amnesty: "Niemand vor einer Anklage gefeit"
Die Telefonate soll Klokow mit Bekannten geführt haben. Der "taz" zufolge ist seine Familie vor langer Zeit nach Moskau gezogen; Freunde und Verwandte seien aber in der Ukraine geblieben. Einmal im Jahr sei Klokow selbst in die Ukraine gefahren, um seine Großeltern zu besuchen.
Am 18. März 2022 war Klokow verhaftet worden. Bereits damals kritisierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International das Vorgehen als "willkürlich" und "rechtswidrig". "Mit dieser unerbittlichen Hexenjagd zeigen die russischen Behörden, dass niemand vor einer Anklage gefeit ist."
Kara-Mursa zu 25 Jahren verurteilt
Seit Putin vor über einem Jahr russische Soldaten in die Ukraine geschickt hat, gehen die Behörden verstärkt gegen Oppositionelle vor. Seitdem zählte die unabhängige Menschenrechtsorganisation OVD-Info fast 500 Fälle, in denen sich Menschen in Russland wegen Kritik an der Invasion vor Gericht verantworten müssen.
Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, der zurzeit eine neunjährige Haftstrafe in einem Straflager absitzt, wurde im vergangenen Jahr auf die von der Regierung geführte Liste von "Terroristen und Extremisten" gesetzt. Erst in dieser Woche war der russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa wegen seiner Kritik am russischen Angriffskrieg zu 25 Jahren Straflager verurteilt worden.
- zona.media: "Гособвинение запросило 9 лет колонии сотруднику МВД по делу о распространении военных "фейков" во время телефонного разговора" (russisch)
- taz.de: "Sieben Jahre Straflager"
- amnesty.ch: "Behörden gehen brutal gegen alle Kriegsgegner*innen vor"
- en.ovdinfo.org: "Wartime Repression Summary"