"Die Welt will Frieden" 141 Staaten stimmen für neue Ukraine-Resolution
Starkes Zeichen zum Jahrestag vom Kriegsbeginn: Die Mitgliedstaaten der UN haben mit breiter Mehrheit einen russischen Truppenabzug aus der Ukraine gefordert.
Es ist ein Votum mit Symbolwirkung: Zum Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine hat die Weltgemeinschaft Präsident Wladimir Putin erneut mit großer Mehrheit zum Rückzug seiner Truppen aufgefordert. 141 der 193 Mitgliedstaaten der UN-Vollversammlung stimmten am Donnerstag für eine entsprechende Resolution. Das Votum im größten Gremium der Vereinten Nationen wird als globaler Stimmungstest zu Russlands Angriffskrieg gesehen.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kommentierte das Ergebnis in New York mit den Worten: "Russland ist mit seinem Kriegskurs genauso isoliert wie vor einem Jahr." Sie selbst hatte vorher vor der UN eine Rede gehalten.
Die Welt geeint – mit einigen Abstrichen
Neben 32 Enthaltungen gab es mit Belarus, Nordkorea, Eritrea, Mali, Nicaragua und Syrien sechs Länder, die zusammen mit Moskau gegen den Entwurf stimmten. Mehr als zehn Länder nahmen nicht an der Abstimmung teil, darunter Senegal, Turkmenistan und Venezuela.
Die Resolution in der UN-Vollversammlung enthält die Forderung nach Frieden und dem Rückzug Moskaus. Der Entwurf bekräftigt eine Reihe zuvor bereits beschlossener Positionen des Gremiums und sieht unter anderem die Wahrung der territorialen Integrität der Ukraine vor.
Kiew und seine Unterstützer knüpften damit an ähnliche Abstimmungsergebnisse des vergangenen Jahres mit mehr als 140 "Ja"-Stimmen an. Sie wollen mit dem klaren Ergebnis dem Eindruck entgegenwirken, es gebe in Teilen der Welt eine Kriegsmüdigkeit und bröckelnden Rückhalt für die Ukraine.
Im März kurz nach Kriegsbeginn hatte die Versammlung Russlands Invasion mit einer Mehrheit von 141 der 193 Stimmen zurückgewiesen. Im Oktober verurteilten dann sogar 143 Nationen die illegalen Annexionen Moskaus in der Ukraine.
Wie auch schon bei vorangegangenen Abstimmungen enthielten sich nun mit China und Indien zwei mächtige Staaten, in denen zusammen etwa 2,8 Milliarden Menschen leben. Die wichtigen Länder Brasilien, Türkei und Saudi-Arabien stimmten für die Vorlage, Südafrika und der Iran enthielten sich. Während fast alle südamerikanischen Länder zustimmten, enthielten sich erneut eine Reihe afrikanischer Staaten.
Baerbock: "Die Welt will Frieden"
"Heute muss sich jeder von uns entscheiden: Mit dem Unterdrücker isoliert dastehen – oder für den Frieden zusammenstehen", hatte Baerbock in ihrer Rede vor der Abstimmung gesagt. "Wenn Russland aufhört zu kämpfen, endet dieser Krieg. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, ist es das Ende der Ukraine." Baerbock hielt ihre Rede auf Bitten der Ukraine als letzte reguläre Sprecherin vor der Abstimmung. Im Anschluss erklärte sie, das Ergebnis zeige: "Die Welt will Frieden." Das hätten die Staaten der Welt gemeinsam deutlich gemacht. "Und wir stellen uns gemeinsam gegen den Bruch des Völkerrechts."
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba zeigte sich ebenfalls zufrieden: "Es spielt keine Rolle, was Russland versucht und wie es versucht, die internationale Ordnung und die Koalition zur Unterstützung der territorialen Integrität der Ukraine zu untergraben – es scheitert ein Mal nach dem anderen."
Baerbock wirbt im globalen Süden massiv um Zustimmung
In den vergangenen Tagen hatte Baerbock vor allem in Ländern des sogenannten globalen Südens für eine Zustimmung zu der Resolution geworben. Zuletzt hatte sie Gespräche mit Vertretern Südafrikas, Indiens, Senegals, Äthiopiens, Nigerias und Brasiliens geführt. Auf eine Zustimmung der neuen Regierung des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva hatten die Deutschen besonders gesetzt – das Land gilt als Schlüsselstaat für die Länder des globalen Südens. Die brasilianische Regierung war aufgefordert worden, Textvorschläge vorzulegen – diese flossen dann in die Arbeit am Entwurf ein.
Was wird aus Chinas Ankündigung eines Friedensplans?
Am Rande der Vollversammlung forderte Baerbock China auf, seinen Ankündigungen Taten folgen zu lassen und einen Friedensplan unter dem Dach der UN-Charta vorzulegen. Dies sei notwendig, weil China als UN-Sicherheitsratsmitglied nicht nur Vetorechte, "sondern eben als Mitglied eine besondere Verantwortung hat, den Weltfrieden wiederherzustellen". Deswegen sei ein echter, von China unterstützter Friedensplan notwendig.
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Donnerstag in Kiew, er würde den von China angekündigten Friedensplan gerne mit Vertretern Pekings erörtern. "China hat uns von solch einer Initiative erzählt. Aber ich habe das Dokument noch nicht gesehen." Es sei grundsätzlich gut, "dass China angefangen hat, über die Ukraine zu sprechen, und einige Signale ausgesendet hat".
Chinas UN-Vertreter Dai Bing hatte zuvor erneut ein entsprechendes Positionspapier seiner Regierung angekündigt. Zudem kritisierte er Waffenlieferungen an die Ukraine und eine "Kalter-Krieg-Mentalität". Offensichtlich in Richtung Moskaus betonte er, ein Einsatz von Atomwaffen wäre inakzeptabel.
Hinter den UN-Kulissen war lange diskutiert worden, wie substanziell eine Resolution zum Jahrestag der Invasion sein könne. UN-Kreisen zufolge hatte die Ukraine an Resolutionen gearbeitet, die ein Kriegsverbrechertribunal umreißen sowie an einem Text, der einen Zehn-Punkte-Friedensplan von Selenskyj in ein UN-Dokument überführen würde. Beide Ideen wurden für die Abstimmung am Donnerstag aufgegeben.
In dem nun beschlossenen Text tauchen eher vage Formulierungen zum Ende des Krieges auf: So heißt es, das Erreichen eines umfassenden Friedens, der notwendig sei, würde "einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit leisten". Im Weiteren wird ein vollständiger Austausch von Kriegsgefangenen verlangt und die Notwendigkeit betont, dass Verantwortliche für die schwersten Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müssten.
Scholz: Sorge, dass es ein "sehr langer, sich hinziehender Krieg wird"
Ein Jahr nach Beginn des Ukraine-Kriegs sind die Aussichten auf eine baldige Friedenslösung äußerst gering. "Der Moment, der eine Friedensperspektive eröffnet, der muss erst noch entstehen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". Es sei eine seiner "größten Sorgen, dass das jetzt ein sehr langer, sich hinziehender Krieg wird mit unglaublichen Zerstörungen und Verlusten".
Am Freitag, dem ersten Jahrestag der russischen Invasion, wird sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Ukraine-Krieg befassen. Auch dort wird Baerbock sprechen. Das aus 15 Staaten bestehende Gremium hat zwar mehr Macht als die Vollversammlung. Doch kann Russland mit seinem Vetorecht im Sicherheitsrat alle völkerrechtlich bindenden Beschlüsse verhindern.
- Nachrichtenagenturen afp und dpa