Die Nacht im Überblick Putin erklärt besetzte Gebiete zu unabhängigen Territorien
Kremlchef Putin hat zwei besetzte Regionen als Staaten anerkannt – Voraussetzung für eine Annexion. Der ukrainische Präsident Selenskyj appelliert an russische Minderheiten. Ein Überblick.
In einem international nicht anerkannten Verfahren will Russlands Präsident Wladimir Putin an diesem Freitag vier ukrainische Gebiete annektieren. In der Nacht erkannte der Kremlchef in einem weiteren völkerrechtswidrigen Akt die besetzten ukrainischen Gebiete Cherson und Saporischschja als unabhängige Staaten an. Aus Moskaus Sicht gilt dies als Voraussetzung dafür, dass die Regionen ihre Aufnahme in die Russische Föderation beantragen können. Die Annexion auch der Gebiete Luhansk und Donezk soll bei einem Festakt mit Russlands Machtelite im Kreml besiegelt werden.
In Scheinreferenden hatten die Gebiete zuvor über einen Beitritt zu Russland abstimmen lassen. Damit will Moskau erstmals seit der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim 2014 wieder völkerrechtswidrig Grenzen in Europa verschieben. Kein Staat erkennt das Vorgehen an.
Am 21. Februar hatte Putin bereits die Unabhängigkeit der ukrainischen Regionen Luhansk und Donezk, die sich "Volksrepubliken" nennen, anerkannt. Danach begann er seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die von Moskau eingesetzten Führungen in den okkupierten Gebieten wollen nun im Großen Kremlpalast Verträge über den Beitritt zur Russischen Föderation unterzeichnen. Die Annexionen gelten als Bruch des Völkerrechts, den die Ukraine nicht hinnehmen will.
Die ukrainische Führung hat vom Westen weitere schwere Waffen gefordert, um ihre Gebiete zu befreien. Putin hatte dagegen betont, dass die Regionen künftig unter dem Schutz der Atommacht Russland stünden. Ein Angriff auf die Territorien werde wie eine Attacke gegen Russland gewertet. Das Land werde alle verfügbaren Mittel einsetzen, um sich zu verteidigen, hatte Putin gesagt. Er lässt bei einer Teilmobilmachung 300.000 Reservisten einziehen, die in der Ukraine die besetzten Gebieten halten sollen.
Ukrainischer Präsident fordert Russen zum Kampf auf: Stoppt Putin
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die russische Bevölkerung aufgefordert, sich gegen Putin aufzulehnen und den Krieg zu stoppen. "Um das zu beenden, muss man diesen Einen in Russland stoppen, der Krieg mehr will als das Leben", sagte Selenskyj in einer in Kiew veröffentlichten Videobotschaft. Nur ein einziger Mensch in Russland wolle den Krieg, meinte er mit Blick auf Putin.
In einem fast zeitgleich veröffentlichten weiteren Video wandte sich Selenskyj besonders an die Vielvölkerregion Kaukasus in Russland. Er forderte die Menschen auf, um ihre Freiheit zu kämpfen und sich nicht in den Krieg in der Ukraine schicken zu lassen. Vor allem in der russischen Teilrepublik Dagestan hatte es zuletzt gewaltsame Proteste gegen die von Putin angeordnete Teilmobilmachung gegeben. Beklagt wird dort, dass primär Angehörige ethnischer Minderheiten zum Kriegseinsatz geschickt werden.
Selenskyj sagte, Putin "spuckt" auf Menschenleben. Russland bringe Tod, Folter, Vergewaltigung und Verderben. "Das kann man noch stoppen." Dafür müssten die Bürger aufstehen und "kämpfen". Er lobte den breiten Widerstand gegen die Teilmobilmachung, mit der Moskau versuche, das Scheitern der russischen Armee zu überdecken. Die Menschen in Russland müssten aber für ihre Freiheit kämpfen, mahnte der ukrainische Präsident. "Kämpft, um nicht zu sterben!"
Türkischer Präsident: Putin soll Spannungen abbauen
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan forderte Putin im Zusammenhang mit dem Krieg gegen die Ukraine zum Abbau von Spannungen auf. Solche Schritte erwarte man von Moskau besonders mit Blick auf die Frage des Beitritts der vier ukrainischen Regionen zu Russland, sagte Erdoğan dem türkischen Kommunikationsministerium zufolge am Donnerstag im Gespräch mit Putin. Erdoğan hatte zuvor bereits das Abhalten der Scheinreferenden in russisch besetzten Gebieten in der Ukraine kritisiert. Die Türkei ist Mitglied der Nato und pflegt mit der Ukraine gute Beziehungen – aber auch mit Russland.
Die Scheinreferenden über einen Beitritt besetzter Regionen in der Süd- und Ostukraine zu Russland werden weltweit nicht anerkannt. Grund dafür ist, dass sie unter Verletzung ukrainischer und internationaler Gesetze sowie ohne demokratische Mindeststandards abgehalten wurden. Die Scheinabstimmungen waren auch nicht von unabhängigen Beobachtern überprüfbar. Es gab zudem zahlreiche Berichte, dass sich Bewohner der Regionen unter Druck gesetzt fühlten.
UN-Generalsekretär: Annexionen dürfen nicht akzeptiert werden
UN-Generalsekretär António Guterres hat die angekündigte Annexion der ukrainischen Gebiete durch Russland scharf verurteilt und als rechtlich wertlos beschrieben. "Sie ist nicht mit dem internationalen Recht vereinbar. Sie stellt sich gegen alles, wofür die internationale Gemeinschaft stehen soll", sagte Guterres in New York. Die Ankündigung des Kremls stelle eine gefährliche Eskalation dar, habe "keinen Platz in der modernen Welt" und dürfe nicht akzeptiert werden. Russland beruft sich indes auf die Selbstbestimmung der Völker. Russland reagiert empört auf die Äußerungen von UN-Generalsekretär António Guterres zur geplanten Annexion der ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja. Dem Land zufolge hat Guterres nicht das Recht, politische Erklärungen im Namen der Vereinten Nationen als Ganzes abzugeben.
Was am Freitag wichtig wird
Mit Blick auf die geplante russische Annexion von Teilen der Ost- und Südukraine kommt an diesem Freitag in Kiew der Nationale Sicherheitsrat zusammen. Präsident Selenskyj hat eine Reaktion auf die Einverleibung der ukrainischen Gebiete angekündigt und schärfere Sanktionen gegen Russland gefordert.
In New York trifft sich auf Antrag Russlands der UN-Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitsdebatte wegen der Lecks an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee. Putin bezeichnete die Schäden als "Akt des internationalen Terrorismus". Nach Kremlangaben sprach Putin bei seinem Telefonat mit Erdogan von einer "beispiellosen Sabotage" gegen die Gasleitungen von Russland nach Deutschland. Die Ukraine wirft Russland vor, den Anschlag verübt zu haben, um die Energiekrise in Europa zu verschärfen und Panik vor dem Winter auszulösen.
- Nachrichtenagentur dpa