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Die große Gegenoffensive im Ukraine-Krieg? Das sagen Experten


Angriffe in Cherson
Die große Gegenoffensive? Das sagen Experten

Von dpa, reuters, cck

Aktualisiert am 30.08.2022Lesedauer: 3 Min.
Ukrainische Soldaten nahe der Frontlinie bei Cherson (Archivbild): Derzeit wird ein Großteil der Region von Russland kontrolliert.Vergrößern des BildesUkrainische Soldaten nahe der Frontlinie bei Cherson (Archivbild): Derzeit wird ein Großteil der Region von Russland kontrolliert. (Quelle: John Moore/getty-images-bilder)

Seit Wochen hat die Ukraine die große Gegenoffensive im Süden angekündigt, nun soll sie da sein. Experten äußern sich derzeit allerdings noch vorsichtig.

Es waren deutliche Worte, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die russischen Truppen richtete. "Die Ukraine holt sich ihr Land zurück", sagt er in seiner täglichen Ansprache. Die ukrainischen Truppen würden die russische Armee "bis an die Grenze" jagen. "Wenn sie überleben wollen, ist es für das russische Militär an der Zeit abzuhauen", sagte er und fügte hinzu: "Geht nach Hause."

Denn in den vergangenen Stunden hat die Ukraine nach eigenen Angaben eine Gegenoffensive in der von Russland besetzten ukrainischen Region Cherson begonnen. Es habe "den ganzen Tag und die ganze Nacht über starke Explosionen" gegeben, teilte das Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj Dienstagvormittag mit. "Fast das gesamte Gebiet" der Region Cherson sei von "schweren Kämpfen" betroffen. Eine Gegenoffensive war bereits seit Juni angekündigt worden.

Kiew hält sich mit Lage-Meldungen zurück

Die Pressesprecherin des Südkommandos der ukrainischen Armee, Natalija Humenjuk, sprach am Dienstagmittag von "Positionskämpfen" in den Gebieten Mykolajiw und Cherson. Dies sei durch vorhergehende Umgruppierungen der russischen Armee verursacht worden. Es sei dabei noch zu früh, von möglichen zurückeroberten Orten zu reden. "Es finden gerade Kämpfe statt und diese erfordern eine Informationsruhe."

Am Montag hatte Humenjuk mitgeteilt, die Offensive konzentriere sich auf die Gebiete auf dem rechten Ufer des Flusses Dnipro. Dort kontrolliert Russland nur wenige Gebiete, eine Rückeroberung würde der Ukraine die Verteidigung erleichtern.

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Gesicherte Informationen gibt es dazu bislang kaum. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte zwar die ukrainischen Angriffe, behauptete aber, sie seien "jämmerlich gescheitert". Die Ukraine habe massive Verluste erlitten, sowohl bei Soldaten als auch bei Technik. Die Ukraine teilte ihrerseits ebenfalls mit, für erhebliche Verluste bei den russischen Truppen gesorgt zu haben.

Die Informationen können bislang nicht unabhängig überprüft werden. Was aber ist über die Offensive bekannt und wie kann sie eingeschätzt werden? Ein Überblick:

Militärexperte spricht von sehr unklarer Lage

Das britische Verteidigungsministerium erklärte in einer Sicherheitsmitteilung, der "Umfang des ukrainischen Vorstoßes" könne zwar nicht bestätigt werden. Die Armee habe aber das "Artillerie-Feuer an Frontabschnitten in der ganzen Südukraine erhöht", um russische Versorgungslinien mit "Präzisionsschlägen mit hoher Reichweite" zu unterbrechen.

Der deutsche Militärexperte Carlo Masala sprach im Interview mit dem Radiosender Bayern 2 von einer sehr unübersichtlichen Lage. "Wir bekommen kaum Informationen aus der Stadt beziehungsweise rund um die Stadt, die wirklich neutral verifizierbar sind", sagte der Experte.

Es sei klar, dass gestern ukrainische Artillerie Stellungen der Russen angegriffen habe und dass eine Verteidigungslinie der Russen gefallen sei. "Was aber unklar ist, ist, ob dieser Stoß wirklich der Stadt Cherson gilt und wieweit die Ukraine jetzt in der Lage ist, ich sage jetzt mal, mit Verbänden in diese Stadt vorzudringen", so Masala. Von einer großen Gegenoffensive könne er derzeit nicht sprechen.

Berichte über befreite Siedlungen

Die US-amerikanische Denkfabrik "Institute for the Study of War", die täglich einen Lagebericht veröffentlicht, teilt mit, dass laut ukrainischen Offiziellen am Montag erste russische Verteidigungslinien durchbrochen wurden. Die Streitkräfte versuchen demnach "durch die wochenlangen ukrainischen Himars-Schläge verursachte Unterbrechung der russischen Kommunikationslinien am Boden auszunutzen." Himars sind Mehrfachraketenwerfer, die die Ukraine aus den USA geliefert bekommen.

Russische Militärblogger berichten laut dem ISW zudem darüber, dass die ukrainischen Truppen mehrere Siedlungen im Umfeld der Stadt Cherson befreit hätten. Auch der US-Sender CNN berichtete unter Berufung auf ukrainische Militärquellen, vier Dörfer bei Cherson, darunter Prawdyne, seien erobert worden.

Pentagon-Vertreter: "Abtasten" an der Front

Zudem berichteten russische Militärblogger von zahlreichen Angriffen entlang der gesamten Frontlinie und von Panik unter russischen Quellen vor Ort, aber auch davon, dass die Angriffe von ukrainischer Seite größer dargestellt würden als sie tatsächlich seien.

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Der russische Nationalist und frühere separatistische Feldkommandeur Igor Girkin etwa bestätigte auf Telegram die Angriffe. Sie seien bislang aber nur als Demonstration gedacht, die Ukraine setze ihre Hauptkräfte noch nicht ein. Zu einem ähnlichen Schluss kamen auch Pentagon-Vertreter, die laut CNN vom "Abtasten" der Front sprachen.

Hohe strategische Bedeutung

Die Region Cherson mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt am Ufer des Flusses Dnipro grenzt an die 2014 von Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim. Als erste Großstadt der Ukraine war Cherson Anfang März kurz nach Beginn der russischen Invasion von der russischen Armee eingenommen worden. Die Region ist für die Landwirtschaft des Landes von zentraler Bedeutung und wegen ihrer Nähe zur Krim auch strategisch wichtig. Mehr zu der Bedeutung von Cherson für die Ukraine lesen Sie hier.

In den russisch besetzten Teilen Chersons und der benachbarten Region Saporischschja betreibt der Kreml eine Politik der Russifizierung mit Blick auf eine mögliche Annexion. Russland hat dort den Rubel als Währung eingeführt und ermutigt die Bewohner, sich einen russischen Pass ausstellen zu lassen.

Verwendete Quellen
  • br.de: Noch keine Großoffensive in Ukraine
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