Demokrat aus Überzeugung Wie Schmidt mein politisches Bewusstsein weckte
Ein Nachruf von Jan Eger
Es gibt eine Menge Leute, die bedeutend kompetenter wären, um die Persönlichkeit Helmut Schmidt und seine politische Leistung detailliert zu würdigen. Aber: Was mich betrifft, gab er quasi den Startschuss für mein politisches Bewusstsein.
Ich war zwölf Jahre alt und es war ein Freitag, als der SPD-Kanzler Schmidt am 1. Oktober durch einen intriganten Koalitionsbruch der FDP und ein konstruktives Misstrauensvotum im Bundestag gestürzt wurde. Danach kam Helmut Kohl und mit ihm "die geistig-moralische Wende". Mit dem Kopf eines Teenagers fand ich das eine "gemein" und das andere, gelinde gesagt, "doof" - natürlich nicht sehr fundierte Beurteilungen.
Damals gab es noch kein Internet und keine Live-Ticker. Ich drückte vermutlich gerade die Schulbank, als die fast dreistündige Bundestagsschlacht lief, die Schmidt mit dem berühmten, fast gebrülltem Satz eröffnete: "Noch habe ich das Recht hier zu reden." Aber abends vor dem Fernseher, wahrscheinlich in der "Tagesschau", verfolgte ich gemeinsam mit meinen Eltern gebannt das Drama von Bonn.
Es zeigte einem kleinen Jungen ziemlich viel von dem, was parlamentarische Demokratie ausmacht: öffentlicher Streit, klug geführte Auseinandersetzungen um schwierige Entscheidungen, spannende Abstimmungen um wichtige Positionen, aber auch knallharte Machtpolitik, öffentlich gewordene Intrigen, die Demontage einer Persönlichkeit.
Heute, 33 Jahre später, kann ich nicht behaupten, dass ich viele politische Überzeugungen von Helmut Schmidt teile. Eher im Gegenteil, wenn ich etwa an seine Haltung zur Atomkraft oder Politik der Abschreckung denke.
Dennoch gehört er zu den Politikern, die wussten, wovon sie redeten. Die sich ihre Meinung fundiert gebildet hatten und dazu stehen konnten. Die sich - hören Sie zu, Herr Seehofer - nicht von oberflächlichen Stimmungen zu populistischen Scheinhandlungen hinreißen ließen.
Das ist für mich das wichtigste Vermächtnis von Helmut Schmidt, das man vielen Politikern von heute gerne hinter die Ohren schreiben würde: die Grundbereitschaft und Überzeugung, Probleme demokratisch zu lösen. Und europäisch.
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