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Jesidin nach zehn Jahren als Sklavin im Gazastreifen frei: "Sie ist stark"


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Deutsche Helfer über entführte Jesidin
Befreit nach zehn Jahren als Sklavin: "Sie ist unglaublich stark"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 09.10.2024Lesedauer: 6 Min.
Vor zehn Jahren als Kind vom IS entführt: Jesidin Fawzia A. ist jetzt frei, und maßgeblich beteiligt waren zwei Frauen aus Deutschland.Vergrößern des Bildes
Vor zehn Jahren als Kind vom IS entführt: Jesidin Fawzia A. ist jetzt frei, und maßgeblich beteiligt waren zwei Frauen aus Deutschland. (Quelle: privat, , Montage: t-online /reuters)

Die Nachricht hat viele Menschen berührt: Zehn Jahre musste die Jesidin Fawzia A. als Sklavin leben; jetzt wurde sie in Gaza befreit. Vorbereitet wurde das maßgeblich auch von zwei Frauen aus Deutschland.

IS-Terroristen hatten sie als Elfjährige verschleppt. Jahre später wurde Fawzia A. an einen Anhänger der Hamas verkauft, der sie als Sklavin in den Gazastreifen mitnahm: Jetzt ist die junge Jesidin nach zehn Jahren in der Gewalt fremder Menschen wieder frei. An der Rettung der 21-Jährigen beteiligt waren auch zwei Jesidinnen aus Deutschland: Ronai Chaker ist jesidische Aktivistin und Jurastudentin, Zemfira Dlovani ist stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden und Rechtsanwältin aus Koblenz.

Beide haben die Befreiung von Fawzia A. mit angestoßen und vorbereitet. Nach Wochen des Hoffens und Bangens und vielen Gesprächen freuen sie sich über die gelungene Aktion israelischer Stellen. Die Sorge um die junge Frau aber bleibt, wie sie im Interview mit t-online erzählen.

t-online: Wie wird man in Deutschland Helfer bei der Befreiung einer entführten Jesidin in Gaza?

Ronai Chaker: Ich bin als jesidische Aktivistin in sozialen Netzwerken sehr präsent. Am 17. Juli schrieb mich plötzlich auf TikTok Fawzia mit ihrer Geschichte an.

Auf TikTok?

Ja, sie hatte dort Menschen kontaktiert und ein Video hochgeladen, in dem sie um Hilfe bittet. Das hat sie dann gelöscht, um nicht die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich zu ziehen.

Zemfira Dlovani: Sie suchte von sich aus Hilfe und wurde selbst aktiv. Das war ein starkes Signal für mich, dass man mit ihr arbeiten kann, als Ronai Chaker mich kontaktierte, weil ich als Anwältin bereits mit anderen Überlebenden des Genozids gearbeitet habe.

Und jetzt sehen sie sich bestätigt?

Dlovani: Fawzia ist unglaublich stark. Es ist unfassbar, wenn man weiß, was sie als Kind und junge Frau durchleben musste in den letzten zehn Jahren. Ein Hammer, wie sie es mit ihrem Überlebensinstinkt geschafft hat, sich da selbst herauszuholen.

Dazu brauchte es aber noch mehr Menschen.

Dlovani: Beteiligt waren auf unserer Seite auch ihr in Deutschland lebender Bruder und ein Mann im Irak. Zentral war aber der britische Dokumentarfilmer Alan Duncan, der schon bei der Befreiung anderer jesidischer Frauen beteiligt war, etwa bei Naveen.

Naveen* ist eine andere verschleppte Jesidin. Sie wurde von deutschen Islamisten als Sklavin gehalten, denen später in Deutschland der Prozess gemacht wurde. Eine IS-Rückkehrerin wurde in Koblenz unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung und wegen Beihilfe zum Völkermord zu mehr als neun Jahren verurteilt.

Dlovani: Naveen hat dort als Zeugin gegen ihre Peinigerin ausgesagt. Ich vertrete sie in anderer Angelegenheit und wusste, dass Alan Duncan viele Kontakte nach Israel hat. Er hat dann unser Anliegen an entsprechende Stellen weitergetragen.

Wie hilft man von Deutschland aus?

Dlovani: Ich habe zunächst an die Regierung geschrieben, dass ich Fawzia als Anwältin vertrete. Ich hatte auch Kontakt mit der deutschen Botschaft, da wir anfangs nicht wussten, ob eine Rückkehr in den Irak möglich ist.

Und Sie waren die Verbindung zu Fawzia?

Chaker: Ich war täglich mit ihr in Kontakt. Ich habe versucht, sie mental zu unterstützen, da sie sehr verängstigt und unsicher war. Sie sagte mir, dass es ihr bei denen nicht gut gehe.

Wer sind die Menschen, bei denen sie war?

Chaker: Dazu war sie sehr schweigsam. Sie wollte keine genauen Angaben machen. Ich habe sie aber mal gefragt, ob sie die Hamas meint und das hat sie bejaht.

Wollten die israelischen Behörden vielleicht mit den Fragen auch nützliche Hinweise über die Hamas gewinnen?

Dlovani: Nach meinem Eindruck ging es um humanitäre Hilfe für eine Frau, bei der auch egal war, ob sie Jüdin oder Jesidin ist. Die Israelis haben keine solchen Fragen zur Hamas gestellt.

Auf Bildern trug sie einen Niqab, also einen Gesichtsschleier. Das konnte sie sich wahrscheinlich nicht aussuchen?

Dlovani: Sie hat versucht, sich ruhig zu verhalten und zu machen, was die sagen – Überlebensinstinkt oder Cleverness.

Was soll ein Kind auch machen, das Schreckliches um sich erlebt? Aus Hamas-nahen Quellen wurde verbreitet, es sei alles freiwillig geschehen.

Dlovani: Das ist eine Tatsachenverdrehung. Denn sie hat nicht geheiratet, ein Mann hat sie sich genommen. Sie ist nicht gereist, sie wurde verbracht.

Wie viel wissen Sie über Fawzias Leben?

Dlovani: Wir wissen, dass sie nach der Entführung aus Sindschar im Norden des Irak durch den IS nach Syrien gebracht wurde und dort mehrere Jahre war, ehe sie in die Türkei verbracht wurde. Von da aus kam sie im Flugzeug nach Ägypten und wurde dann in einem Fahrzeug nach Gaza verschleppt. Das war 2019 oder 2020, da hatte sie schon die zwei Kinder und war als Sklavin an Hamas-Leute weiterverkauft worden. Alles, was die sagten, hatte sie zu machen.

Chaker: Ich habe eine erschreckende Szene über das Telefon live mitbekommen. Ich habe mich so hilflos und ohnmächtig gefühlt, die Situation ist bei mir immer noch sehr präsent.

Ihre Gespräche mit ihr waren wahrscheinlich oft belastend.

Dlovani: Wir durften sie nicht drängen, sie hätte ja auch zusammenbrechen können und wir hätten ihr dann nicht adäquat helfen können.

Chaker: Ich war einfach als eine Freundin für sie da und habe mehr zugehört als nachgefragt.

Wieso konnte sie überhaupt ein Handy haben?

Dlovani: Wir haben darüber nicht gesprochen. Die könnten sich gedacht haben, "sie kommt hier eh nicht raus, da kann sie auch ein Handy haben." Das hat sie einfach nicht beschäftigt.

Was ist mit ihren Kindern?

Chaker: Die Kinder wurden ihr entrissen. Sie sollen bei der Großmutter väterlicherseits sein.

Sie haben gesagt, Fawzia habe sich zuletzt bei einer anderen Frau verstecken können. Es gibt Berichte, dass sie nach dem 7. Oktober an einen anderen Ort in Gaza geschickt wurde und dann dort machen musste, was man ihr sagte.

Dlovani: Dazu wird sie sich zu gegebener Zeit selbst äußern.

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Und wie kam es dann zur Befreiung?

Chaker: Sie wusste, sie wird einen Anruf bekommen. Es war klar: Das ist ihre einzige Chance, und es wird keinen zweiten Versuch geben. Der Anruf kam und sie wurde kurz darauf befreit. Von der Operation selbst wusste niemand.

Dlovani: Dieses Vorgehen dürfte in einem solchen Fall ja auch das richtige sein. Man kündigt solche Aktionen nicht öffentlich an.

Dann ging die Erfolgsmeldung durch die Medien.

Chaker: Ich bin da zwiegespalten. Vielleicht ist die Hamas jetzt mehr in Alarmbereitschaft ,und es könnte schwieriger sein, unsere Mädchen herauszuholen.

Dlovani: Das hängt wohl stark davon ab, wie sehr diese Leute auch wegen des Kriegs andere Probleme haben als die Frage, ob ihre Sklavin gehen will. Ich sehe das eher als Chance, dass auch andere Frauen sich an uns wenden. Hoffentlich sehen andere diese Erfolgsstory. Das ist nämlich eine Lehre.

Welche?

Dlovani: Fawzias Fall zeigt: Auch nach zehn Jahren kommen noch Opfer heraus. Es gibt mehr als 2.500 Frauen und Mädchen oder auch Jungen, die vermisst werden. Da müssen wir dranbleiben.

Wie geht es denn Fawzia nach ihrer Befreiung?

Dlovani: Sie ist natürlich froh, endlich frei zu sein. Sie hat sich gefreut, bei ihrer Mutter zu sein, aber ihr Vater ist vor Kurzem gestorben, das macht sie sehr traurig. Sie wollte nicht in den Irak, wo 2014 der Genozid stattfand, wo sie verschleppt wurde. Das Ziel ist, dass sie nach Deutschland kommen kann, mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern, die zeitweise auch in der Gewalt des IS waren.

Sie wollen Asyl in Deutschland beantragen?

Dlovani: Meiner Meinung nach ist das ein Ausnahmefall für Kontingentflüchtlinge. Zwei ihrer Brüder leben in Deutschland, hier gibt es die größte jesidische Diaspora, hier bin ich als ihre Anwältin und ihre Freundin Ronai wird sie hier auch an ihrer Seite haben.

Chaker: Ich freue mich nach all den Telefonaten darauf, sie mal in die Arme zu schließen.

Vielen Dank für das Gespräch.

*In einer früheren Fassung hatten wir an dieser Stelle Naveem geschrieben. Die junge Frau heißt Naveen.

Verwendete Quellen
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