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Afghanistan: Fotograf berichtet – "Ein Taliban hat sich entschuldigt"


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Deutscher Fotograf in Afghanistan
"Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut"

InterviewVon Tobias Schibilla

04.04.2024Lesedauer: 5 Min.
AFGHANISTAN-ANNIVERSARY/Vergrößern des Bildes
Kämpfer der Taliban in Kabul: Seit zweieinhalb Jahren herrschen die Islamisten wieder in Afghanistan. (Quelle: ALI KHARA)
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Seit der Machtübernahme der Taliban kommen nur wenige Nachrichten aus Afghanistan zu uns. Ein deutscher Fotograf hat eine Hilfsorganisation ins Krisengebiet begleitet.

Nach fast 20 Jahren westlicher Militärpräsenz übernahmen die Taliban im August 2021 erneut die Macht in Afghanistan. Seitdem ist es schwer geworden, aus dem von Krieg und Krisen geplagten Land zu berichten. Nicht viele Nachrichten dringen nach außen.

Umso wichtiger ist es jedoch, diese wenigen Berichte zu hören, um zu verstehen, was in Afghanistan vor sich geht. Martin Webelhaus kommt aus Bonn. Er ist Fotograf und begleitet in dieser Funktion eine Hilfsorganisation, die humanitäre Hilfe nach Afghanistan liefert. Im Gespräch mit t-online erzählt er von seinen Eindrücken und der Sicherheitslage im Land.

t-online: Herr Webelhaus, wo erreiche ich Sie gerade?

Martin Webelhaus: Aktuell bin ich in Herat, nach Kabul die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Stadt liegt im Westen Afghanistans, nicht weit von der Grenze zum Iran. Im vergangenen Oktober gab es hier ein großes Erdbeben, bei dem viele Menschen gestorben sind.

Wie kommt man auf die Idee, nach Afghanistan zu reisen?

Mir kam die Idee auf meiner Pilgerreise nach Mekka. Dort habe ich viele Menschen aus Afghanistan kennengelernt, die mir durch ihre Herzlichkeit aufgefallen sind. Sie haben mich beeindruckt. Da habe ich für mich den Entschluss gefasst, nach Afghanistan zu reisen.

Und jetzt sind Sie dort. Wie kam es dazu?

Nach meiner Reise habe ich viele Hilfsorganisationen kontaktiert und ihnen erzählt, dass ich sie gerne fotografisch begleiten würde. Als mich dann die Vorstandsvorsitzende von Asiyah International angerufen hatte, dämmerte es mir: Martin, du fährst nach Afghanistan.

Seit etwas weniger als zwei Jahren haben die Taliban die Macht in Afghanistan an sich gerissen. Gibt es Probleme für die Hilfsorganisation im Umgang mit den islamistischen Kämpfern?

Grundsätzlich habe ich schon das Gefühl, dass die Taliban humanitäre Hilfe zulassen, sie nicht schon im Voraus ablehnen. Ein großes Problem ist allerdings, dass die linke Hand nicht weiß, was die rechte Hand tut.

Was meinen Sie damit?

Es gibt überhaupt keine Strukturen, welche die humanitäre Hilfe im Land koordinieren. Das führt dazu, dass Lieferungen teils ziemlich chaotisch ablaufen. Ein Beamter erlaubt eine Lieferung, der nächste muss allerdings erst bei seinem Vorgesetzten nachfragen, wodurch sich die dringend benötigte Hilfslieferung verzögert. Das ist eines der Hauptprobleme. Allerdings habe ich bisher nicht gesehen, dass die Taliban Hilfslieferungen bewusst unterbinden.

Wie erleben Sie denn die Sicherheitslage im Land?

In der Hauptstadt Kabul, wo ich angekommen bin, gab es unglaublich viele Kontrollen durch die Taliban. Wir mussten dauernd anhalten, damit Wachposten unsere Autos inspizieren konnten. Die haben dann geschaut, was wir im Kofferraum hatten. Das tun sie aus Angst vor Anschlägen durch den sogenannten Islamischen Staat, die es hier in der Vergangenheit immer wieder gab.

Insgesamt ist die Lage in Kabul ziemlich eindrücklich. An vielen Orten in der Stadt stehen bis zu fünf Meter hohe Mauern, und überall gibt es die angesprochenen Kontrollen. Die Taliban fragen dich manchmal auch, warum du an deinen Zielort reisen willst. Aber wenn man ihnen erklärt, dass man mit einer Hilfsorganisation da ist, lassen sie uns passieren. Ein Taliban-Kämpfer hat sich sogar dafür bei mir entschuldigt, dass er mich kontrolliert hat.

Unsicher habe ich mich nur am ersten Tag in Kabul gefühlt. Da habe ich mich auf einen Stuhl gesetzt, der plötzlich wackelte. Das war ein Erdbeben, was man in Deutschland auch nicht alle Tage erlebt.

In Herat empfinde ich die Lage als ziemlich sicher. Bislang wurden wir hier auch noch nicht von den Taliban kontrolliert.

(Quelle: privat)

Zur Person

Martin Webelhaus wurde 1993 in Bonn geboren und ist Fotograf. Seine Aufträge haben ihn in viele Länder geführt: Er arbeitete bereits in der Türkei, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in der Ukraine und in Schweden.

Auf Instagram berichten Sie von Ihrer Reise. Dabei zeigen Sie auch Situationen in den Schulen vor Ort. Wie ist die Lage in diesen Schulen?

Mich hat überrascht, wie viele Mädchen in die Schule gehen. Unzählige von ihnen bekommen zumindest eine rudimentäre Schulbildung. Sie können hier allerdings nur als Kinder zur Schule gehen, danach ist das nicht mehr möglich. Allerdings scheint es Ausnahmen zu geben. Ich habe zum Beispiel mit einer jungen Frau gesprochen, die Ärztin werden möchte. Sie durfte zumindest weiter in die Schule gehen und sich dann auch an einer Universität einschreiben.

Stellt die Hilfsorganisation, mit der Sie unterwegs sind, sicher, dass Schulkinder hier einen gewissen Bildungsstand erreichen?

Ja, definitiv. Denn die Organisation hat natürlich ein Interesse daran, dass die unterstützten Schulen auch wirklich Wissen vermitteln. Die Kinder müssen dann zum Beispiel aus Büchern vorlesen, wenn wir vor Ort sind. So stellen sie sicher, dass Kinder ein gutes Bildungsniveau haben.

Abgesehen von der politischen Situation im Land: Wie ist die humanitäre Lage?

Es gibt an jeder Ecke etwas zu tun. An vielen Straßenecken sammelt sich der Müll und insbesondere in Herat sind die Spuren des Erdbebens vom letzten Oktober noch nicht vollständig beseitigt. Viele Menschen, auch viele Kinder, leiden Hunger.

Wie gehen denn die Afghaninnen und Afghanen mit dieser Situation um?

Was mich tief beeindruckt, ist der Zusammenhalt der Bevölkerung. Obwohl sie wenig haben, empfangen sie uns mit einer ehrlichen Gastfreundschaft. Sie müssen sich zwar mit wenig zufriedengeben, teilen aber das, was sie haben. Das kenne ich aus Europa nicht wirklich. Man erlebt hier selbst als Besucher eine gewisse Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit, die sehr schön, sehr ehrlich ist.

Als Fotograf sehen Sie Afghanistan nochmal durch ein anderes Auge. Gibt es Dinge, die Sie überrascht haben?

Definitiv. Vor Beginn der Reise hatte ich das Bild im Kopf, dass ich auf niemanden meine Kamera halten darf. Aber das ist gar nicht so, viele Menschen – insbesondere Kinder – sind sehr neugierig und wollen, dass ich Fotos von ihnen mache.

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Ich fühle mich als Fotograf hier mit offenen Armen empfangen. Und wenn die Menschen dann noch hören, dass ich Moslem bin, legen sie nochmal eine Schippe an Freundlichkeit drauf.

Was ist Ihnen ansonsten in Afghanistan aufgefallen?

Es gibt unglaublich viele Waisenkinder. Sie haben ihre Eltern durch den Krieg oder das Erdbeben verloren. Und doch sind die Kinder ausgesprochen freundlich. Sie kommen an und geben einem die Hand. Man fragt sich immer wieder, womit die Kinder dieses Schicksal verdient haben.

Und dann gibt es die Frauen, die nicht mit diesen Kindern verwandt sind und sich trotzdem liebevoll um sie kümmern. Denen fehlt vor allem Geld. Auf der Reise ist mir klar geworden, wie wichtig die finanzielle Unterstützung aus Deutschland und westlichen Ländern insgesamt ist.

Danke für das Gespräch!

Verwendete Quellen
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