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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Flüchtling über Asyldebatte "Es ist klar, wohin uns das führen wird"
Die Debatte in der Migrationspolitik kocht hoch. Einer, der selbst vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen ist, warnt: Die Debatte stärke nur die Rechtspopulisten.
Die Flüchtlingszahlen steigen wieder an, Politiker fordern Verschärfungen in der Migrationspolitik, ein härteres Vorgehen gegen "illegale Migration". Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will abgelehnten Asylbewerbern kein Geld mehr auszahlen.
Wie denken Menschen, die selbst geflohen sind, über die aktuelle Migrationsdebatte? Im Interview mit t-online sagt Osman Oğuz, Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrats, der vor zehn Jahren nach Deutschland kam: "Selbst wenn sie den Willen mitbringen, sich zu integrieren, werden sie durch solche Politik abgeschreckt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt."
t-online: Herr Oğuz, Sie sind selbst vor zehn Jahren nach Deutschland geflohen. Nun fordern viele Politiker wieder Verschärfungen in der Migrationspolitik. Was macht das mit Ihnen?
Osman Oğuz: Das lässt mich nicht kalt. Ich empfinde das als einen persönlichen Angriff. Je nach Debatte kommen andere Erinnerungen bei mir hoch. Ich habe das Gefühl, Geflüchtete werden wie eine Identität behandelt.
Was heißt das?
Den Menschen werden Eigenschaften zugeschrieben, als wären alle Geflüchteten eine einheitliche Masse, die auch über kulturelle Eigenschaften verfügen. Fakt ist: Das sind rassistische Klischees.
Wie gehen Sie damit um?
Mittlerweile beschäftigt mich das weniger. Aber ich habe ein Beispiel, das mich stört. Wenn es darum geht, dass Geflüchtete nicht arbeiten wollen, denke ich an die Zeit, in der ich nicht arbeiten durfte.
Geflüchtete brauchen in Deutschland eine Arbeitsgenehmigung. Wie lange durften Sie nicht arbeiten?
Ein Jahr lang durfte ich gar nicht arbeiten.
Osman Oğuz ist Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrats. Er floh vor zehn Jahren aus der Türkei nach Deutschland, weil er politisch verfolgt wurde und ihm deshalb eine zehnjährige Haftstrafe drohte. Oğuz hat türkische Sprache und Literatur auf Lehramt studiert und als Journalist gearbeitet.
Sie kommen aus der Türkei. Was haben Sie dort gelernt oder gearbeitet?
Ich habe als Journalist gearbeitet und türkische Sprache und Literatur auf Lehramt studiert.
Konnten Sie als Journalist in Deutschland weiterarbeiten?
Ja, etwas später habe ich für eine türkisch-kurdische Tageszeitung als Redakteur und Kolumnist gearbeitet. Aber das Geld reichte nicht. Ich habe mir damals Wege gesucht, mehr arbeiten zu können. Für eine Zeitarbeitsfirma habe ich in Schulen geputzt. Das machen sehr viele Asylbewerber so.
Wie sind Sie an die Schwarzarbeit gekommen?
Ich war damals in Neu-Ulm. Dort gab es ein Café, das wie ein Arbeitsmarkt funktionierte. Da sind alle Menschen ohne Job hingekommen, und die Reinigungsfirmen haben ihre Wagen dorthin geschickt. Die Höhe des Lohns richtete sich nach der Nationalität. Die Menschen aus der Türkei haben 7 Euro pro Stunde bekommen, Menschen aus Bulgarien nur 5 Euro.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat Vorschläge zur Begrenzung der Migration gemacht. Ein Vorschlag ist, dass abgelehnte Asylbewerber kein Geld mehr bekommen sollen, sondern Chipkarten zum begrenzten Einkauf bestimmter Waren. Wie finden Sie das?
So etwas Ähnliches gab es tatsächlich damals schon, als ich in einer Unterkunft in Neu-Ulm in Bayern war. Ich hatte pro Monat 140 Euro zur Verfügung und zusätzlich zwei Tüten mit Lebensmitteln. Diese Lebensmittel habe ich im Supermarkt gar nicht gefunden. Das waren Produkte dritter Wahl. Die Lebensmittel waren von schlechter Qualität.
Das sollte Sie abschrecken?
Davon gehe ich aus. Wir sollten denken: "Hier gibt es noch nicht mal einen guten Käse, den wir essen können. Vielleicht gehen wir lieber wieder weg." Söder greift genau das mit dem Ziel der Flüchtlingsabwehr auf. Ich glaube, die Strategie kann nicht funktionieren. Die Geflüchteten nehmen lebensbedrohliche Wege in Kauf, um Deutschland zu erreichen, weil sie in ihrem Heimatland zum Leben keine Chance mehr sehen.
Was macht diese Abschreckung mit Geflüchteten?
Die verlieren ihr sowieso schon geringes Vertrauen in die Behörde. Selbst wenn sie den Willen mitbringen, sich zu integrieren, werden sie durch solche Politik abgeschreckt und an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Diese Ränder werden dadurch immer gefährlicher. Dann kommen dieselben Politiker und fragen: Wie kann es sein, dass die Menschen so sind, wie sie sind?
Sie arbeiten heute für den Sächsischen Flüchtlingsrat, der Asylbewerber bei ihrem Antrag berät und bei der Arbeitssuche hilft. Können Sie die Nachfrage noch erfüllen?
Aktuell merken auch wir, dass die Zahl der Geflüchteten steigt. Aber wir verfolgen in den Nachrichten auch mit Sorge, dass im kommenden Bundeshaushalt die Beratung der Geflüchteten bis zu 50 Prozent gekürzt werden soll. Das ist paradox. Einerseits reden wir von einem Anstieg der Zahlen und auf der anderen Seite will die Politik bei uns kürzen, die den Geflüchteten das Ankommen in Deutschland erleichtern wollen. Es ist klar, wohin uns das führen wird.
Wohin denn?
Das führt zu einem Erstarken der rechtspopulistischen Kräfte. Diese Politik spielt nur den Faschisten in die Hand. Das merken wir in Sachsen besonders. Die Geflüchteten berichten von immer mehr rassistischen Angriffen auf der Straße.
Wie gehen die Flüchtlinge mit diesen Angriffen um?
Viele gehen nicht einmal zur Polizei. Sie laufen weiter und versuchen, das alles zu vergessen.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich war kürzlich in Dresden-Prohlis, wo viele Migrantinnen und Migranten leben, aber auch viel AfD gewählt wird. Dort ist ein syrischer Laden, der mit zwei Hakenkreuzen beschmiert wurde. Ich bin zu dem Ladenbesitzer gegangen und habe ihn gefragt: Wie stark ist der Rassismus in Prohlis? Er wiegelte ab und sagte, es gebe kein Problem. Diese Beschwichtigungen und Sprachlosigkeit sind typische Reaktionen.
Schildern Sie diese Fälle auch Politikerinnen und Politikern in Sachsen?
Wir versuchen mit aller Kraft, diese Geschichten in die Politik zu tragen. Aber unsere Stimme wird nicht genügend gehört. Bis auf ein paar Abgeordnete im Sächsischen Landtag redet niemand mit uns. Auf unsere Kritik wird kaum eingegangen.
Sie sind 2013 nach Deutschland gekommen. Haben Sie sich damals willkommen gefühlt?
Überhaupt nicht. Ich hatte ein positives Bild von Deutschland, dachte, dass hier alles funktioniert. Aber schon vom ersten Moment an in der Erstaufnahmeeinrichtung – ich kam mit einem riesigen Lächeln an – habe ich mich nicht menschlich behandelt gefühlt. Erst nach vier Jahren wurde mein Fall vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge behandelt. Nach drei Stunden war alles klar, ich war anerkannter Flüchtling. Dann hat mir die Entscheiderin nur gesagt: "Es tut uns leid, dass es so lange gedauert hat." Nach all den Jahren dachte ich nur: Deutschland hat mir keinen Raum gegeben, mich mit der Traumatisierung in der Türkei auseinanderzusetzen, und mich sogar zusätzlich belastet, indem ich strukturellem und gesellschaftlichem Rassismus, behördlicher Willkür und einem ignoranten Asylverfahren ausgesetzt war.
Ist die Situation für Geflüchtete in den vergangenen zehn Jahren besser geworden?
2015 gab es die Welle der Feindlichkeit. Danach hat die etwas nachgelassen und es gab eine Zeit, in der den Stimmen von Geflüchteten mehr zugehört wurde. Aber gerade in diesem Jahr habe ich das Gefühl, es wird wieder schwierig. Viele Geflüchtete spüren wieder mehr Rechtfertigungsdruck gegenüber den Rechten und Rassisten.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Oğuz.
- Videogespräch mit Osman Oğuz