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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schwuler flüchtete aus WM-Land "Sobald du einen Fuß nach Katar setzt, töten wir dich"
Queere Menschen in Katar leben gefährlich. Der Staat bestraft sie mit Gefängnis und Peitschenhieben. Nasser Mohamed weiß, was das heißt.
Würde Nasser Mohamed noch in seiner Heimat leben, gäbe es dieses Gespräch nicht. "Ich würde dann sofort im Gefängnis landen und dort lange bleiben", sagt er.
Mohamed ist 35, arbeitet als Arzt in San Francisco – und ist der erste gebürtige Katari, der sich bislang öffentlich als schwul geoutet hat. Wie gefährlich das ist, weiß er nur zu gut. Schon vor elf Jahren flüchtete Mohamed in die USA, wo er politisches Asyl erhielt. Inzwischen hat er die amerikanische Staatsbürgerschaft.
Doch selbst in der Ferne bekam Mohamed noch Todesdrohungen, nachdem er sich vor einigen Jahren im arabischen Ableger der britischen BBC geoutet hatte: "Leute schrieben mir: Sobald du einen Fuß in das Land setzt, töten wir dich." 100 Prozent sicher fühle er sich daher noch immer nicht, erzählt er in einem Video-Interview dem Aktivisten und Filmemacher Fabian Grischkat, 22, der das Gespräch t-online zur Verfügung gestellt hat.
Er und Grischkat arbeiten zusammen, um auf die Lage queerer Menschen in Katar und anderen arabischen Ländern aufmerksam zu machen. Strafen, Diskriminierungen und öffentliche Ächtung prägten deren Leben. Ihnen wollen sie daher eine Stimme geben. Gerade jetzt zur WM sei das wichtiger denn je, sagt Mohamed. Was der Begriff "queer" überhaupt bedeutet, lesen Sie hier.
Gefängnisstrafe auf Homosexualität
In Katar ist Homosexualität als "Sodomie" verboten. Wer andere zu einer homosexuellen Beziehung "anstiftet" oder gleichgeschlechtlichen Sex hat, kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Noch härter trifft es Muslime, die in Katar nach der Scharia bestraft werden: Sie können wegen außerehelichen Beziehungen zum Tod oder zu Peitschenhieben verurteilt werden.
Aber nicht nur offizielle Strafen gefährden queere Menschen in Katar. Einem Bericht von Human Rights Watch zufolge schlugen und tragen Sicherheitsbehörden mehrere Festgenommene. In mindestens fünf Fällen sollen im Zeitraum von 2019 bis 2022 queere Menschen in Polizeigewahrsam sexuell belästigt worden sein.
Konversionstherapien weit verbreitet
Katar versuche alles, um ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen, sagt Mohamed: "Es gibt keine Beratungsstellen, keine Möglichkeit, sich medizinisch behandeln oder auf Geschlechtskrankheiten untersuchen zu lassen. Die einzige Möglichkeit, um sich beraten zu lassen, ist eine Konversionstherapie."
Sogenannte Konversionstherapien zielen darauf ab, die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität eines Menschen zu verändern oder zu unterdrücken. Katar bestreitet, dass sie im Land angewendet würde. In Deutschland ist die Konversionstherapie seit 2020 verboten, sofern sich nicht jemand freiwillig für sie entscheidet.
In dem Bericht von Human Rights Watch heißt es, dass diese "Therapien" in Katar vielseitig auslegt würden: Für transgeschlechtliche Menschen sei es eine "medizinische Therapie", schwule Männer würden dagegen oft religiös unter Druck gesetzt und lesbische Frauen zwangsverheiratet.
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"Schwules Leben findet im Untergrund statt"
Wegen dieser extremen Verfolgung träfen sich queere Menschen hauptsächlich im Untergrund, erzählt Nasser Mohamed. "Es gibt sogar Sexpartys, aber die sind alle ziemlich klein." LGBTQ-freundliche Bars, Clubs oder Diskotheken gäbe es dagegen nicht. Denn Undercover-Polizisten könnten sich als queer ausgeben und große Treffen infiltrieren, um so Kontakt zu anderen queeren Menschen zu bekommen. "Deshalb ist es ziemlich gefährlich, voneinander zu wissen."
Queeren Menschen in Katar zu helfen, sei schwierig bis gar nicht möglich, erzählt Mohamed. Deshalb hat er die Alwan Foundation gegründet. Die NGO dokumentiert Berichte von queeren Menschen über ihre Lebensumstände und wie sie verfolgt werden – nicht nur in Katar, sondern auch in allen anderen Golfstaaten.
Hilfsorganisation für queere Kataris
Die Konten der Alwan Foundation befinden sich nicht in Katar, das wäre zu gefährlich, sondern in den Vereinigten Staaten. Wichtig sei für Alwan deshalb die Unterstützung von außen – auch aus Deutschland, sagt Aktivist Fabian Grischkat. Denn die NGO finanziert sich auch über Spenden.
Das deutsche WM-Spiel gegen Japan hat Grischkat deshalb nicht vor dem Fernseher verfolgt, sondern ein Spendenevent für Nasser Mohameds Alwan Foundation organisiert, das live auf Instagram übertragen wurde.
Grischkat, dem auf Instagram und TikTok über 200.000 Menschen folgen, hat sich sogar die Webdomain "sportschau.eu" gesichert – in der Hoffnung, dass sich einige Menschen, die eigentlich das Spiel schauen wollten, auf die Seite verirren.
"Ich kehre nicht zurück"
Nasser Mohamed glaubt nicht, dass sich durch die Weltmeisterschaft in Katar etwas für die queere Community dort ändern kann – im Gegenteil: "Während deutsche Schwule in Katar sicher sind, werden queere Kataris noch weiter isoliert."
Er selbst will auf absehbare Zeit jedenfalls nicht in sein Geburtsland zurückkehren. Mohamed sagt: "Ich will am Leben bleiben."
- Eigene Recherche
- Fabian Grischkat im Interview mit Dr. Nasser Mohamed
- hrw.org: "Qatar: Security Forces Arrest, Abuse LGBT People" (englisch)
- en.qantara.de: "UAE ups the ante on LGBTQ community" (englisch)
- npr.org: "One activist is using the World Cup to raise awareness of LGBTQ rights in Qatar" (englisch)
- time.com: "This Is the Reality of Life for LGBTQ+ People in Qatar" (englisch)