Machtlose Justiz Häftling sorgt mit illegalen Knast-Videos für Ärger
Ein Berliner Gefängnishäftling beschafft sich illegal ein Handy und veröffentlicht regelmäßig Video-Tagebücher. Zum Ärger der Justiz, denn gegen den fleißigen YouTuber ist die JVA offenbar machtlos.
Ein Häftling tanzt der Berliner Justiz derzeit auf der Nase herum. Er postet auf der Videoplattform YouTube ein Tagebuch aus dem Gefängnis, einen sogenannten "Vlog" – und die Behörden können offenbar nichts dagegen tun, wie sich jetzt zeigt. Vor vier Wochen war der Insasse ertappt und sein Handy beschlagnahmt worden. Doch nun die Überraschung: Der Gefängnis-Vlogger ist mit neuen Videos zurück – und mit ihm die Fragen: Wie kann das sein? Warum kann die Justizvollzugsanstalt nicht dagegen vorgehen?
Am 30. Juli postet der Insasse erneut auf YouTube. Unter dem Titel "Ich bin wieder da! #1" vermeldet der Straftäter sein Comeback. Wie auch in den ersten 16 Aufnahmen von Anfang Juli trägt der Sträfling eine Schirmmütze und ein Tuch vor dem Gesicht, um nicht erkannt zu werden. Vor einem gemusterten Duschvorhang filmt sich der Mann, der von sich selbst behauptet, wegen "schwerer Raubdelikte" zu über zehn Jahren Haft verurteilt worden zu sein.
"Ich bin wieder da, man kann mich nicht aufhalten, man wird mich nicht aufhalten, ich werd mich nicht aufhalten lassen, ganz einfach", stellt der Straftäter vor der Kamera klar. YouTube-Nutzer freuen sich über seine Rückkehr: "Oh mein Gott, da ist er wieder", schreibt einer unter das Video. "Endlich", kommentiert ein anderer. Denn der Insasse scheint auf dem Videoportal während seiner Abstinenz an Beliebtheit gewonnen zu haben. Mit 80 Followern fing er an, nun sind es bereits über 50.000 Abonnenten.
"Das ist erst der Anfang"
Denen verspricht er in seinen neuen Videos auch künftig "wirklich interessante Themen". Und es klingt fast wie eine Drohung an die JVA Tegel, als er in die Kamera sagt: "Das ist erst der Anfang." Gleichzeitig berichtet er den Zuschauern, dass seine Videos nicht täglich erscheinen können, wie es Anfang Juli noch der Fall war: "Das geht gar nicht, das ist jetzt viel zu gefährlich." Er habe dafür gesorgt, dass "Vertrauensleute" außerhalb des Gefängnisses die Videos veröffentlichen, die er im Vorlauf gedreht habe. Zudem filme er sich von nun an nicht mehr selber, sondern lasse sich filmen. Er besitze kein eigenes Handy mehr.
Im anschließenden Video erzählt der Gefängnis-Vlogger, wie sein Handy gefunden wurde. Seine Zelle sei am 4. Juli "gestürmt" worden. Nach einer angeblich gewöhnlichen Kontrolle habe man ihn in einen anderen Gebäudeteil gebracht, sagte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Justiz t-online.de. "Keiner sagte mir, was die da machen", berichtet der Häftling in seinem Post. Nachdem seine Zelle während der Nacht dreimal durchsucht worden sei, hätten die Beamten das Handy zu seinem Pech gefunden. Dies bestätigte auch der Sprecher. Der Gefängnis-YouTuber erzählt die Geschichte amüsiert und sehr detailreich.
Demütigung für die JVA
Für die JVA Tegel ist die Angelegenheit jedoch alles andere als lustig – sondern eher demütigend. Auch dass das Videoportal YouTube die Gefängnisvideos ausdrücklich unter "Empfohlener Kanal" listet, wird der Justiz nicht gefallen. Obwohl dem Häftling sein Mobiltelefon abgenommen und eine Disziplinarmaßnahme verhängt wurde, hat der Kriminelle es erneut geschafft, Videos zu veröffentlichen. Wie kann das gehen? t-online.de berichtet der Senatsverwaltungssprecher, dass bei neuesten Durchsuchungen kein Handy in der Zelle des Strafgefangenen gefunden worden ist: "Der Häftling hat kein Handy selber bei sich, um nicht erwischt zu werden", sagt der Sprecher. Als Konsequenz des Onlinetagebuchs habe man den Insassen bereits in eine neue Teilanstalt innerhalb der JVA Tegel verlegt, "damit er von bisherigen sozialen Kontakten abgeschnitten ist". Auch ein wochenlanger Einschluss galt als Konsequenz des Handyfunds.
Da der Insasse neue Videos angekündigt habe, vermute man, dass auch noch weitere Vlogs veröffentlicht werden: "Die Kumpels draußen werden sich darum kümmern", so der Sprecher. "Wir gehen davon aus, dass noch weitere Videos kommen. Das ist erst mal schwer aufzuhalten", heißt es weiter.
Auch auf anderen sozialen Netzwerken aktiv
Neben seinem YouTube-Kanal betreibt der Straftäter auch noch andere soziale Netzwerke wie Instagram und Facebook. Auf Letzterem nennt er sich "Paschol Nahuy" – übersetzt ein vulgärer, russischer Ausdruck. Er postet Videos und Fotos und likt die Beiträge anderer Nutzer. Und dass ein Internetzugang nicht nur für den Gefängnis-YouTuber zum Alltag in der Strafanstalt gehört, zeigen Seiten wie "Tätowierte Kriminelle mit WLAN im Knast", deren Fotos der Insasse auf dem sozialen Netzwerk kommentiert.
Wie es scheint, ist es gar unmöglich für die JVA Tegel, den Gefängnis-Influencer zu stoppen. Da so viele Handys in der Justizvollzugsanstalt im Umlauf sind, lässt sich bisher kein Komplize des Vloggers identifizieren. Und ein weiteres Problem tut sich auf: "Niemand macht sich strafbar", wenn diese Videos gepostet würden, erklärt der Sprecher. Es könne keine rechtlichen Konsequenzen für den Vlog geben. Es gebe lediglich Disziplinarmaßnahmen wie "weniger Aufschluss, weniger Freizeitaktivitäten oder keinen Fernseher." Auch die Isolierung zum Gefängnistrakt, in dem der Häftling bisher gewohnt habe, könne als Strafe gesehen werden – mehr aber auch nicht. Die JVA scheint machtlos. Niemand weiß, wie viele Videos bereits im Vorlauf gedreht wurden und von Komplizen außerhalb des Gefängnisses jederzeit publiziert werden können. Eine Schmach für die Berliner JVA.
Das Schmuggel-Problem in Gefängnissen
Dabei ist die Schmuggelei von Handys in deutschen Gefängnissen keine Seltenheit. Der Sprecher der Senatsverwaltung erkennt das Problem: "Es gibt Tausende Handys im Berliner Justizvollzug und mehrere Hundert in der JVA Tegel", sagt er im Gespräch t-online.de. Doch wie kommen die Häftlinge an die Handys? Mobiltelefone werden zum Beispiel über die Gefängnismauer geworfen. Während der Sendepause des Vloggers schlägt ein Follower unter einem seiner Videos dies doch auch tatsächlich vor: "Ich werfe ein Handy selbst über die Mauer", schreibt er, weil er die Vlogs des Häftlings offenbar vermisst. Besucher schrecken außerdem nicht davor zurück, die Mobiltelefone in Körperöffnungen hineinzuschmuggeln. Die derzeitigen Kontrollen reichen nicht aus, um den Handygebrauch in Haft komplett zu verhindern.
Der neue YouTube-Star hat jedenfalls Gefallen an den Videosdrehs gefunden. Ihm verbleiben wohl noch fünf Jahre für sein neues Hobby – denn die Justiz warnt, dass für ihn wegen der Videos eine vorzeitige Haftentlassung durchaus ausgeschlossen werden könnte. Der Influencer tut trotzdem alles dafür, sein ganz persönliches Tagebuch mit der Öffentlichkeit zu teilen – auch wenn das seine restliche Zeit im Gefängnis beeinträchtigen könnte.