Richter im Visier Polens Angst vor dem "Staatsstreich" von oben
In Polen schlägt die geplante Justizreform immer höhere Wellen: Der eigentlich dem Regierungslager entstammende Staatspräsident Duda weigert sich die Gesetze zu unterzeichnen und fordert Änderungen. Regierungschef Kaczynski bezeichnet Reformgegner als "Verräter", die Opposition spricht von "Staatsstreich" - und die EU droht Polen mit Stimmrechtsentzug und der Streichung von Fördergeldern.
Nach einer hitzigen Verbalattacke gegen die Opposition hat das polnische Parlament in der Nacht seine Debatte über die umstrittene Justizreform auf Mittwoch vertagt - am Morgen verwiesen die Abgeordneten das Gesetz dann an den zuständigen Parlamentsausschuss. Jaroslaw Kaczynski, der Chef der Regierungspartei Recht und Gesetz (PiS), war in der nächtlichen Debatte außer der Reihe ans Rednerpult gestürmt und hatte Abgeordnete beschimpft, die mit Zwischenrufen gegen die Reform protestierten.
Kaczynski beschimpft Abgeordnete
"Wischen Sie sich nicht Ihre Verrätermäuler am Namen meines in heiliger Erinnerung bleibenden Bruders ab", rief Kaczynski. "Sie haben ihn zerstört, ermordet. Sie sind Schurken." Die Abgeordneten hatten sich in ihrer Kritik auf den verstorbenen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski berufen, den Zwilligsbruder des Regierungschefs. Sein Bruder ist der Überzeugung, dass Kaczynski Opfer eines Anschlags wurde.
Die heftigen Auseinandersetzungen entzünden sich nun am Vorhaben der Regierungspartei, offenbar im Eilverfahren eine Justizreform durchsetzen zu wollen, von der Kritiker befürchten, sie schaffe die Gewaltenteilung ab.
Tausende Demonstranten protestierten in mehreren polnischen Städten auch am Dienstagabend gegen die Pläne - angeführt von Wladyslaw Frasyniuk, der in den 1980er Jahren bereits eine führende Oppositionsfigur gegen den Kommunismus war. Und auch die EU fürchtet um die Rechtsstaatlichkeit in Polen.
Staatspräsident Duda droht mit Veto
Das Gesetz sieht vor, dass das Parlament künftig über die Besetzung des Landesrichterrats entscheiden soll. Dem bislang als unabhängig geltenden Rat obliegt wiederum die Besetzung der Richterposten an den ordentlichen Gerichten im Land. Und die Regierungspartei PiS hat in beiden Kammern des Parlaments eine Mehrheit.
Deswegen ist auch Staatspräsident Andrzej Duda in der Reform zu einem Gegner der Regierung geworden, obwohl er eigentlich dem Regierungslager entstammt: Er hatte am Dienstag überraschend eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs gefordert, den er als "politisches Diktat" bezeichnete. Die Reform könne in ihrer jetzigen Form zu einer parteipolitischen Unterwanderung der Justiz führen. Der Richterrat dürfe nicht "einer einzigen Partei, einer einzigen Gruppierung unterworfen werden", sagte er.
Regierung nicht zu Kompromissen bereit
Duda drohte damit auch die geplante Reform des Obersten Gerichts zu blockieren. Das Gesetz war bereits vergangene Woche im Parlament verabschiedet worden, kann ohne die Unterschrift des Präsidenten aber nicht in Kraft treten. Die Regierung strebt an, das Oberste Gericht ganz unter die Kontrolle des PiS-Justizministers zu stellen. Die Opposition hat diese Pläne als "Ankündigung eines Staatsstreichs " bewertet.
Als Kompromiss schlug Duda vor, die Mitglieder des Landesrichterrats künftig mit 60-Prozent-Mehrheit vom Parlament wählen zu lassen. Damit wäre die Regierungspartei für ihre Personalvorschläge auch auf Stimmen anderer Parteien angewiesen. Ministerpräsidentin Beata Szydlo ließ am Dienstagabend allerdings keinerlei Bereitschaft zum Einlenken erkennen. Die Partei werde "die Reformen ganz zu Ende bringen", sagte sie vor Abgeordneten.
Steuergelder für eine Diktatur?
Das wird viele in der EU aufhorchen lassen: Der Europarat und die Europäische Union sorgen sich angesichts der Reformpläne schon länger um Polens Rechtsstaatlichkeit. Die EU-Kommission forderte die polnische Regierung nun auf, die Justizreform auszusetzen. Andernfalls erwägt die Brüsseler Behörde "rechtliche und politische Optionen" wie ein Verfahren, das bis zum Stimmrechtsentzug auf europäischer Ebene führen kann.
EU-Justizkommissarin Vera Jourova drohte dem Land zudem mit dem Entzug von EU-Fördergeldern. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Jourova: "Wir müssen über die Einhaltung von Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien als Bedingungen dafür reden, dass ein EU-Staat Geld vom europäischen Steuerzahler bekommt."
Sie könne sich "nicht vorstellen, dass etwa deutsche oder schwedische Steuerzahler für die Errichtung einer Art von Diktatur in einem anderen EU-Land bezahlen wollen". Die aus Tschechien kommende EU-Kommissarin betonte, dass es dabei nicht um laufende Gelder gehen könne, sondern erst um Auszahlungen in der nächsten Förderperiode, die im Jahr 2021 beginnt.
Polen könnte Stimmrechte verlieren
Die EU-Kommission hatte bereits vor anderthalb Jahren ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet, da sie nach einer Reform des Verfassungsgerichts dessen Unabhängigkeit bedroht sah. Nun wächst weiter die Sorge um Demokratie und Rechtsstaat im EU-Mitgliedsstaat. Europäische Politiker und Institutionen forderten die Regierung in Warschau am Dienstag eindringlich zum Verzicht auf die Gesetzesvorhaben auf.
Europarats-Präsident Thorbjörn Jagland forderte von Polen Respekt für die europäischen Justiznormen. Er erinnerte daran, dass Polen als Mitglied des Europarats dessen Prinzipien folgen müsse. "Eine effiziente, unparteiische und unabhängige Justiz ist das Fundament jedes Systems demokratischer Kontrolle", erklärte Jagland.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muiznieks, bezeichnete den Entwurf als weiteren Beleg "für eine beunruhigende Tendenz hin zum Autoritarismus" in Polen. "Das Vorhaben der polnischen Regierung zielt darauf ab, die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen." Deutsche Politiker forderten zuletzt sogar, Polen in der EU notfalls die Stimmrechte zu entziehen.