Nach 337 Verhandlungstagen Neonazi-Prozess platzt, weil Richter in Rente muss
Der Neonazi-Prozess in Koblenz hatte noch vor dem Münchner NSU-Verfahren begonnen. Doch nach fünf Jahren und 337 Verhandlungstagen findet er zunächst ein vorzeitiges Ende. Ohne Urteil. Was kostet das die Steuerzahler?
17 Angeklagte, 34 Verteidiger, fast 1000 Seiten Anklage, 337 Verhandlungstage und ein Paukenschlag: Einer der umfangreichsten Neonazi-Prozesse Deutschlands ist geplatzt. Im Windschatten des später begonnenen Münchner Verfahrens um die NSU-Morde hatte sich die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Koblenz fünf Jahre lang hingeschleppt - bis zum unrühmlichen Ende.
Schuld am Prozessabbruch ist ein Ruhestand. Gerichtssprecherin Tanja Becher teilt am Dienstag mit, die Hauptverhandlung werde ausgesetzt, weil der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen mit Erreichen der Altersgrenze Ende Juni laut Gesetz aus dem Dienst scheiden müsse. Bis dahin sei aber ein Prozessende auszuschließen. Der ursprüngliche Ergänzungsrichter musste schon vor Längerem für einen anderen Pensionsfall der Staatsschutzkammer einspringen.
Neonazis trafen sich im "Braunen Haus"
Worum geht es? Die Anklage richtet sich gegen eine "kriminelle Vereinigung" mutmaßlicher Neonazis des "Aktionsbüros Mittelrhein", die sich regelmäßig in Bad Neuenahr-Ahrweiler in ihrem sogenannten Braunen Haus getroffen haben soll. Die Vorwürfe reichen von Gewalt gegen Linke etwa in Dresden über einen unangemeldeten Aufmarsch mit Fackeln in Düsseldorf und aufgesprühte Hakenkreuze bis hin zu versuchten Brandanschlägen auf Autos.
Und nun? Der Verteidiger Günther Herzogenrath-Amelung sagt: "Der Prozess wird wieder neu losgehen bei einer anderen Kammer." Er wittert ein politisch motiviertes Verfahren im rot-gelb-grün regierten Rheinland-Pfalz, das woanders längst eingestellt worden wäre: "Da geht es um den Kampf gegen Rechts." Die Staatsanwaltschaft hat diesen Vorwurf schon früher zurückgewiesen.
Verteidiger kritisiert die Verschwendung der Steuergelder
Gerichtssprecherin Becher teilt mit: "Ob das Verfahren von einer anderen Kammer gegen die verbliebenen 17 Angeklagten neu verhandelt werden wird, kann derzeit nicht beantwortet werden." Auch die Frage, ob Entschädigungen an Angeklagte gezahlt werden müssten, könne erst nach Abschluss des Verfahrens beantwortet werden.
Apropos Geld: Verteidiger Herzogenrath-Amelung kritisiert "eine Verschwendung von Steuergeldern". Die Kosten des fünfjährigen Prozesses mit ursprünglich 26 Angeklagten und 52 Verteidigern gingen in den zweistelligen Millionenbereich: "Mein Betrag ist ja schon sechsstellig."
An langen Bänken im größten Saal des Koblenzer Landgerichts haben die Angeklagten immer wieder zwischen ihren Pflichtverteidigern gesessen. Die Zuschauerbänke leerten sich nach den ersten Verhandlungsterminen schon bald. Die meisten Angeklagten haben geschwiegen oder die Vorwürfe zurückgewiesen.
Stinkbomben erzwangen Saalräumung
In Untersuchungshaft saß schon lange keiner mehr. Anwalt Herzogenrath-Amelung verweist aber auf die mit dem Prozess einhergehenden zeitlichen Einschränkungen für die Angeklagten: "Das hat Existenzen ruiniert." Eine geregelte Arbeit oder Ausbildung sei parallel zu einem fünfjährigen Prozess schwierig. Nach früheren Angaben der Staatsanwaltschaft hätte die Dauer des Verfahrens allerdings bei der Strafzumessung eine Rolle gespielt.
Die Staatsschutzkammer hat schon in den ersten Jahren des Mammutprozesses viel erlebt. Etwa Stinkbomben, die eine Saalräumung erzwangen. Oder eine anwaltliche Stellungnahme in Reimform. Oder einen Schöffen, der der Anklage vor Weihnachten Schokoladen-Nikoläuse auf den Tisch stellte - und sich dann wegen Befangenheit aus dem Verfahren verabschieden musste.