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Polizeigewalt in Mannheim: Diskussion um Beschwerdestellen gegen Polizisten


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Scharfe Kritik an Verfahren
"Dann ermittelt Polizei gegen Polizei"


15.01.2024Lesedauer: 4 Min.
Mordermittler bei der Beweissicherung (Symbolbild): Bei Polizeischüssen ermitteln in Deutschland häufig Polizisten gegen Polizisten.Vergrößern des Bildes
Mordermittler bei der Beweissicherung (Symbolbild): Bei Polizeischüssen ermitteln in Deutschland häufig Polizisten gegen Polizisten. (Quelle: Olaf Wagner/imago-images-bilder)

Nach dem Tod eines psychisch kranken Mannes stehen in Mannheim zwei Polizisten vor Gericht. Die Diskussion um unabhängige Ermittlungsstellen bei Polizeigewalt flackert erneut auf.

Wenn Polizisten wegen dienstlichen Fehlverhaltens vor Gericht stehen, kommt ein Thema immer wieder auf: die Diskussion um unabhängige Ermittlungsstellen bei Polizeigewalt. Bisher komme es in Deutschland häufig vor, dass Polizisten gegen ihre beschuldigten Kollegen ermitteln, sagen Experten. Deswegen fordern Polizeiwissenschaftler und Menschenrechtsorganisationen rechtliche Änderungen. Die Polizeigewerkschaften sehen dagegen keinen Reformbedarf.

Befeuert wird die Diskussionen durch einen mutmaßlichen Fall von Polizeigewalt: Zwei Polizisten stehen nach dem Tod eines psychisch kranken Mannes vor Gericht – denn sie sollen dafür verantwortlich sein. Der Tod des Mannes sei "vorhersehbar und vermeidbar" gewesen, sagte der Staatsanwalt zum Prozessauftakt. Mehr zu den Polizisten vor Gericht lesen Sie hier.

Braucht es bei solchen Fällen unabhängige Ermittlungsbehörden? Ja, sagt Beate Streicher, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International: "Wir fordern schon seit Jahren die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen oder auch Untersuchungsmechanismen." Das sei sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene notwendig. Aktuell gebe es andere Regelungen: "In Bundesländern, wo es solche Stellen nicht gibt, ermittelt Polizei gegen Polizei. Ganz viele Betroffene wenden sich dann nicht an die Polizei", sagt Streicher im Gespräch mit t-online.

Polizeigewerkschaften lehnen Beschwerdestellen ab

Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), widerspricht. "Kein Verständnis habe ich für die immer wieder aus ideologischen Gründen in die Öffentlichkeit getragene Forderung nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten." Es gebe bereits die Möglichkeit, Beschwerde gegen das Vorgehen von Polizisten einzulegen. "Die Beamten müssen sich dann einem Disziplinarverfahren stellen, bei gravierenden Vorwürfen ermittelt ein Staatsanwalt. Dieses System funktioniert." Wer anderes einfordert, "hat offenbar Zweifel an der Unabhängigkeit der Gerichte."

Schärfer äußert sich der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG), Rainer Wendt: "Der Polizeibeauftragte ist ein politischer Kampfbegriff der parlamentarischen Linken, der die Polizei diskreditieren und unter Generalverdacht stellen soll, ähnlich der Kennzeichnungspflicht", teilt er auf Anfrage von t-online mit.

Die Ablehnung solcher Stellen durch die Polizei kann Beate Streicher nicht nachvollziehen: "Eigentlich ist es im eigenen Interesse einer rechtsstaatlichen Polizei zu sagen: Wir versuchen, transparent und so gut wie möglich zu arbeiten." Statt es abzulehnen, sollte die Polizei die Forderung positiv sehen: "Das machen wir so gut, dass unabhängig überprüft werden soll, wo Fehler geschehen. Insofern halte ich es für extrem problematisch, dass oft jeglicher Blick von außen als Misstrauensvotum abgestempelt wird und die Polizei lieber eine Blackbox sein will."

In manchen Bundesländern gibt es Ermittlungsstellen

Trotz der Widerstände seitens der Polizeigewerkschaften gibt es in einigen Bundesländern Beschwerdestellen. In Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Thüringen sind sie außerhalb der Polizei bei den jeweiligen Innenministerien angesiedelt. In Sachsen gebe es eine solche Stelle in der Staatskanzlei. "All diese Stellen arbeiten weisungsfrei und unabhängig von den Polizeiabteilungen der Innenministerien", erklärt der Wissenschaftler Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Sie fungieren jedoch als Ombudsstellen. Sie versprechen Betroffenen keine rechtliche Lösung.

In Hamburg und Bremen gibt es sogar eigene Ermittlungsstellen beim jeweiligen Innensenator. Diese arbeiten außerhalb der Polizei unter Leitung der Staatsanwaltschaft und können bei Polizei- und anderen Amtsdelikten strafrechtlich ermitteln. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kämen die Mitarbeiter dieser Stellen aber ausschließlich von der Polizei, erklärt Töpfer.

Auch er hält unabhängige Stellen für notwendig: "Aus menschenrechtlicher Perspektive muss nach Artikel 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention bei Todesfällen im Zusammenhang mit Polizeikontakt und bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizistinnen oder Polizisten eine effektive Strafverfolgung gewährleistet sein." Dafür müssten Ermittlungen sowohl organisatorisch als auch praktisch unabhängig sein. Es dürfe keine Verbindungen zwischen Ermittlungspersonal und Tatverdächtigen bestehen. Ebenso sollten die Ermittler angemessen ausgestattet sein.

Insgesamt gebe es noch Luft nach oben: "Die Polizeibeauftragten erfüllen die Anforderungen nur unzureichend, da sie nicht auf Strafverfolgung, sondern auf Mediation ausgerichtet sind." Positiv sei, dass sie die Ergebnisse ihrer Untersuchung an die Staatsanwaltschaft weitergeben. Außerdem "können sie strukturelle Missstände beanstanden und Empfehlungen an die Politik abgeben", sagt Töpfer t-online.

Kenia als Vorbild

Für Beate Streicher von Amnesty International dient ein hierzulande nicht so bekannter Mechanismus aus Kenia als Vorbild. Die Rede ist von der Independent Police Oversight Authority (Unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde). "Die Behörde hat die Befugnisse, laufende interne polizeiliche Ermittlungen selbst zu übernehmen, wenn dort die Untersuchung unangemessen verzögert wird oder andere Unregelmäßigkeiten aufweist." Todesfälle oder schwere Verletzungen bei Polizeieinsätzen müssten direkt an die Stelle gemeldet werden. Eine Einschränkung gebe es dennoch: "In der Praxis wird dem leider nicht immer nachgekommen", sagt Streicher.

Für Eric Töpfer sind zwei Säulen wichtig: "Erstens eine effektive und von der Polizei unabhängige Strafverfolgung, wenn der Vorwurf schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Polizeibeamtinnen oder -beamte im Raum steht, und zweitens die niedrigschwellige Möglichkeit, Beschwerden etwa bei Diskriminierungserfahrungen einzureichen und damit auch die Aufarbeitung struktureller Missstände anzuregen."

Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke sieht andere Themen im Fokus: "Die entscheidende Frage lautet deshalb: Was tun wir dagegen, dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt? Ich würde mir wünschen, dass auch diejenigen, die aus ideologischen Gründen immer wieder einen Polizeibeauftragten fordern, einen Beitrag zur Lösung dieser Frage leisten."

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Beate Streicher, Expertin für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International
  • Mail-Interview mit Eric Töpfer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte
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