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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ermittler gegen Kindesmissbrauch berichtet "Niemand hätte an der Bar gesagt: Hey, ich stehe auf Achtjährige"
In Australien dürfen Ermittler tiefer in die Szene von Pädophilen-Ringen eindringen als ihre deutschen Kollegen. Ein Ermittler gibt t-online Einblick in seine Arbeit.
Es sind Rekordzahlen, allerdings keine erfreulichen. Nie hat die Polizei mehr Fälle von Missbrauch und Misshandlungen an Kindern sowie vor allem von Bildern und Videos, die beides zeigen, registriert. 2021 wurden gut 39.000 Fälle von Missbrauchsdarstellungen registriert, das sind mehr als doppelt zu viele wie im Jahr zuvor. Das Internet als Tatort boomt wie nie und die Täter agieren weltweit.
Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nannte die Zahlen vor gut einem halben Jahr "erschütternd". Die Teams des BKA sollten gestärkt werden – es gab immer wieder Kritik an deutschen Ermittlern. Die Vorwürfe: Sie seien zu untätig im Löschen von entsprechenden Inhalten und beim Aufspüren von größeren Ringen, die Missbrauchsdarstellungen erstellen und teilen. Auch die gesetzliche Grundlagen reichten teilweise nicht aus.
Gesetzesänderung in Deutschland
In der 57. Änderung des Strafgesetzbuches Anfang 2020 wurde das Gesetz so angepasst, dass auch deutsche Ermittler Material teilen dürfen, das Kindesmissbrauch zeigt. Das ist wichtig, weil es Ermittlern so möglich wird, Missbrauchsforen beizutreten. Die Betreiber fordern nämlich häufig eine sogenannte "Keuschheitsprobe" von neuen Nutzern: Sie müssen vor dem Beitritt in das Forum Material von missbrauchten Kindern hochladen. Das war den Ermittlern vor der Gesetzesänderung nicht erlaubt und behinderte Ermittlungen. Die Bilder, die die Ermittler teilen, sind computergeneriert und damit nicht echt.
In Australien dagegen dürfen Polizisten sogar Missbrauchsplattformen unterwandern und weiterbetreiben, um Täter ausfindig zu machen. t-online konnte mit einem Ermittler aus Australien sprechen – über seine Arbeit und auch den Austausch mit deutschen Ermittlern.
Paul Griffiths ist auch Protagonist des Dokumentarfilms "The Children in the Pictures" über die Arbeit der australischen Ermittler. Dieser Film wurde auch auf dem "Human Rights Film Festival" in Berlin gezeigt und von der Kinderrechtsorganisation "Save the Children" kuratiert. Die Vorführung war eine Deutschlandpremiere und im Rahmen des Festivals gab es zum Film auch Talks unter anderem mit Familienministerin Lisa Paus.
t-online: Herr Griffiths, mögen sie Ihren Job?
Paul Griffiths: Mag ich meinen Job? Nun, ich würde mich freuen, wenn ich ihn nicht machen müsste. Aber jemand muss ihn leider machen. Mir gefällt es, dass ich etwas bewegen kann und hoffentlich gut in meinem Job bin. Also ja, ich bin durch den Job motiviert.
Wie können Sie jeden Tag diese Arbeit machen, wenn Sie solch schreckliche Bilder sehen müssen?
Am Anfang ist es eine bewegende Sache, aber ich mache das jetzt schon eine lange Zeit. Ich habe 1995 angefangen, also vor 27 Jahren. Ich hatte Glück, dass ich einen sanften Einstieg hatte, weil es damals nicht so viel extremes Material gab. Es gab nicht so viele Bilder und Videos im Internet. Das hat sich dramatisch geändert. Und das verändert alles in deinem Leben.
Paul Griffiths, australischer Ermittler
Paul Griffiths ist der "Child Victim Identification Manager" für den Queensland Police Service (QPS) in Australien. Er arbeitet dort seit Februar 2009.
Griffiths, der einen Uni-Abschluss in Mathematik hat, stammt ursprünglich aus Großbritannien und arbeitete dort mehr als 18 Jahre lang als Polizist. Einen Großteil dieser Zeit verbrachte er damit, den Online-Missbrauch von Kindern zu untersuchen. Er arbeitete für die Polizei von Manchester, bevor er zum National Crime Squad (NCS) und anschließend zum Child Exploitation und Online Protection (CEOP) Centre in London wechselte.
Was genau meinen Sie damit?
Aufnahmen von Kindern, die missbraucht werden, haben meinen Blick auf Freunde und Verwandte geändert. Solche Bilder und Videos werden definitiv die Art und Weise verändern, wie du die Beziehungen von Erwachsenen zu Kindern siehst und wie du mit Menschen interagierst. Ich habe zwei Kinder und mich beschäftigen meine Ermittlungen sehr, wenn ich an sie denke. Aber sie sind auch mein Antrieb. Ich habe das Gefühl, dass unsere Ermittlungen einen Unterschied machen und ich das Richtige tue. Trotzdem: Ich versuche, mein Arbeitsleben nicht mit meinem Privatleben zu verwechseln. Als Ermittler muss man ein gesundes Leben außerhalb der Arbeit haben. Hobbys, andere Interessen. Sonst zerstört dich der Beruf mit diesen kranken Themen.
In Australien haben Sie andere Befugnisse als die Ermittler in Deutschland. Was unterscheidet Ihre Arbeit von der Ihrer deutschen Kollegen?
Natürlich ist der Kern der Arbeit der gleiche, aber Sie spielen sicherlich auf das an, was wir "controlled operation", auf Deutsch also "Kontrollierte Operation" nennen. Wenn wir den Verdacht haben, dass eine Straftat begangen wird, dann dürfen wir in engen Grenzen selbst Straftaten begehen. Wir dürfen dann zum Beispiel Missbrauchsdarstellungen von Kindern herunterladen und sie auch verbreiten, also weitersenden, aber eben auch große Plattformen fingieren. Mit diesen rechtlichen Hürden haben viele andere Länder zu kämpfen. Wir dürfen das.
Wie genau sieht das aus, wie gehen Sie vor?
Wir werden nie wahllos Missbrauchs-Material an irgendwen schicken, um dann am Ende zu behaupten: Das hier ist ein Kinderschänder. Diese spezielle Art der Ermittlungen wird dann genutzt, wenn es um Webseitenbetreiber, also um die großen Fische in dem Geschäft geht. Um mit solchen Kriminellen in den Austausch zu treten, braucht man eine glaubwürdige Geschichte und ein passendes Auftreten, vielleicht sogar eine eigene Plattform. Wir bauen damit eine Beziehung zu unseren Zielpersonen auf und versuchen, über diese Beziehung am Ende zu belegen, dass es genau dieser Mensch war, der die Bilder ins Internet geladen hat.
Was ist das denn für Material, das Sie verschicken? Wie wurde es produziert oder nutzen Sie vorhandenes Material?
Das kann ich Ihnen natürlich nicht verraten. Aber nur so viel: Wir stellen grundsätzlich nicht mehr Material zur Verfügung, als es auch sonst gegeben hätte. Wir produzieren natürlich kein eigenes!
Sie dürfen also mehr als andere Ermittler. Sind Sie damit aber auch erfolgreicher?
Ja. Definitiv. Es gibt bestimmte Situationen, in denen Sie nie das Maß an Vertrauen bei dem Täter erzeugen könnten, wenn Sie nicht den Weg gehen, den wir gehen dürfen. Sie können ihn davon überzeugen, dass Sie ebenbürtig sind. Ein Gleichgesinnter in Sachen Kindesmissbrauch. Das ist für uns als Ermittler essenziell. Die Täter geben dann nämlich häufig selbst weitere Straftaten zu, die wir im Nachhinein gut belegen können. Also ja: Wir sind sehr erfolgreich mit dieser Vorgehensweise.
Wie kommunizieren Sie mit Pädophilen?
Das Internet hat in diesem Deliktfeld alles verändert. Früher hätte ja nie jemand in einer Bar gesagt: Hey, ich stehe auf Achtjährige. Doch die Anonymität im Internet ermöglicht ein solches Vorgehen, und es ermöglicht dann auch, sehr "normal", wenn man das so sagen darf, untereinander zu kommunizieren. Es sind ja alles Menschen, die die gleichen Fantasien haben. Und damit sprechen sie auch die gleiche Sprache. Wir müssen natürlich sehr darauf achten, dass wir potenzielle Täter nicht verärgern oder irritieren – denn wenn sie die Kommunikation abbrechen, können wir sie auch nicht festnehmen.
Wir bekommen großartige Unterstützung aus Deutschland
Paul Griffiths, australischer Ermittler
Was ist Ihre Erfahrung mit deutschen Ermittlern?
Ehrlich gesagt, und ich sage das nicht nur, weil Sie ein deutscher Journalist sind, ist Deutschland eines der reaktionsschnellsten und aktivsten Länder. Wir bekommen großartige Unterstützung aus Deutschland. Viele unserer Ermittlungen haben entweder hier begonnen und sind in Deutschland gelandet oder haben in Deutschland begonnen und sind hier gelandet oder hatten irgendwann einen deutschen Bezug. Ich weiß also, dass sie andere Gesetze haben. Das müssen wir respektieren und erleichtert die Arbeit nicht. Auch, weil es in Deutschland einfach sehr viele Täter gibt. Aber wir sind nicht diejenigen, die Gesetzesänderungen in Deutschland fordern können.
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Spielen denn die Landesgrenzen eine Rolle? Sind Grenzen ein Problem?
Sie sind ein riesiges Problem. Ja. Die Gesetzgebung ist von Land zu Land verschieden. Selbst innerhalb der Länder ist die Gesetzgebung nicht in jedem Staat oder in jeder Region gleich. Und das Internet ist völlig grenzenlos. Wissen Sie, Menschen respektieren Grenzen nicht, besonders Straftäter respektieren sie nicht. Und wir haben massive Probleme, Daten auszutauschen. Manchmal wird eine Tat in Deutschland festgestellt, der Server, auf dem die Bilder liegen, steht aber in den USA und der Täter kommt aus Australien. Das alles zu synchronisieren ist wirklich sehr schwierig und teilweise ohne direkte Kontakte zwischen den Ermittlern gar nicht zu stemmen. Wir Ermittler haben alle ein gutes Verhältnis untereinander und versuchen, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten den Kollegen in anderen Ländern zu helfen, so gut es nur geht. Aber Grenzen sind ein großes Problem.
Meinen Sie, es ist möglich, diese schrecklichen Missbräuche durch gute Ermittlungen weitgehend zu verhindern?
Es wäre schön, das zu glauben. Ich habe in einigen Beiträgen von potenziellen Tätern gelesen, dass sie Angst haben, Material zu produzieren und dieses Material online zu teilen, weil sie wissen, dass sie dadurch ein Ziel für die internationale Strafverfolgung werden. Und immer wenn ich das lese, ermutigt mich die Vorstellung, dass ein Kind weniger missbraucht wird. Aber es ist immer noch nur ein kleiner Sieg. Wenn wir uns zusammentun, können wir hoffentlich so viele wie möglich fangen. Aber ich denke, es ist eine große Aufgabe.
Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Griffiths.
- Eigene Quellen
- Paul Griffiths ist auch Protagonist eines Dokumentarfilms über die Arbeit der australischen Ermittler. Dieser Film wurde auch auf dem "Human Rights Film Festival" in Berlin gezeigt und von der Kinderrechtsorganisation "Save the Children" kuratiert. Hier geht es zur Webseite der Organisation.
- Presseinformation der Bundesregierung vom 30. Mai 2022
- Gesetzesänderung