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Hitzewelle in Deutschland mit über 40 Grad: Sind wir darauf überhaupt vorbereitet?


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Reaktion auf Hitzewelle?
"Wir sind viel zu spät dran"


Aktualisiert am 14.07.2022Lesedauer: 7 Min.
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Hitzewelle befürchtet: Ein US-Wettermodell sagt mehr als 40 Grad Celsius voraus, aber wie wahrscheinlich ist dies? (Quelle: t-online)

Eine Hitzewelle rollt auf Deutschland zu. Experten warnen schon lange vor Extremwetter, trotzdem gibt es kaum Vorkehrungen. Dabei wären Lösungen vorhanden.

Es wird heiß: Der Deutsche Wetterdienst (DWD) erwartet eine Hitzewelle mit Temperaturen von weit über 30 Grad in den kommenden Tagen, teilweise drohen auch mehr als 40 Grad. In Teilen Südeuropas ist die Marke bereits überschritten. t-online-Wetterexpertin Michaela Koschak weiß: "Das ist nur der Anfang". Sie rechnet damit, dass Deutschland schon in etwa 20 Jahren ein Klima wie Spanien habe: "Es wird immer länger heiß." Deutschland sei darauf überhaupt nicht vorbereitet, die Politik in den vergangenen Jahren kaum auf die künftigen Bedürfnisse der Menschen eingegangen – vor allem mit Blick auf eine älter werdende Bevölkerung.

Grundsätzlich sind Hitzewellen nicht ungewöhnlich. Tatsächlich nimmt die Anzahl der besonders heißen Tage aber zu: Laut einer Auswertung des Deutschen Wetterdienstes gibt es heute im Schnitt acht Tage mit 30 Grad oder mehr pro Jahr – mehr als noch 1951. Damals gab es im Durchschnitt pro Jahr drei von diesen heißen Tagen. Und die Tendenz steigt. Der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Ralph Tiesler, hält bestimmte Flächen in Deutschland wegen extremer Wetterereignisse sogar für nicht mehr besiedelbar. Mehr dazu lesen Sie hier.

Deutschland muss sich auf häufigere und längere Hitzewellen einstellen. Der DWD schätzt, dass in den nächsten 30 Jahren zehn bis 15 "heiße Tage" dazukommen werden. Doch wie ist das Land vorbereitet?

Aktionsplan in Frankreich

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Rufe nach einem Hitzeaktionsplan, also einem Leitfaden, wie extrem hohen Temperaturen begegnet werden kann. Ein Vorbild dafür ist Frankreich. Dort verabschiedete die Regierung 2004 einen solchen Plan, nachdem in der Hitzewelle des Jahres zuvor rund 20.000 Menschen gestorben waren.

Das Umweltbundesamt arbeitete 2017 mit Experten und einer Bund-Länder-Runde eine Handlungsempfehlung für einen Aktionsplan aus. Während der Hitzewelle 2019 drängten die Grünen als Oppositionspartei erneut darauf, nun fordern Linke und CSU einen Aktionsplan. Die Forderungen bleiben ähnlich: Öffentliche Möglichkeiten zur Abkühlung in Städten, Schutz von alten und pflegebedürftigen Menschen, mehr Informationen für die Bevölkerung, Frühwarnsysteme und verbindliche Aktionspläne für Hitzewellen.

Nationalen Plan gibt es in Deutschland nicht

Doch einen nationalen Hitzeaktionsplan gibt es bislang nicht, auch wenn sich im Koalitionsvertrag eine Passage findet, die eine Hitzevorsorge ankündigt. Auch auf kommunaler Ebene haben nur wenige Orte einen Plan für den Ernstfall, so wie etwa Erfurt, Dresden, Köln oder Mannheim. Im Gegensatz zu dem vor Kurzem in Berlin gestarteten Aktionsbündnis Hitzeschutz gelang es in den meisten Fällen nicht, Akteure aus dem Gesundheitsbereich einzubinden.

Vor wenigen Tagen schrieb Gesundheitsminister Karl Lauterbach bei Twitter, man müsse jetzt schon damit beginnen, ältere und kranke Menschen vor der Hitzewelle zu schützen. "Vorräte an Flüssigkeit, Ventilatoren, über die Bedeutung von Flüssigkeitszufuhr reden. Erreichbar sein. Diese Hitzewelle könnte viele Todesopfer bringen", schrieb der Gesundheitsminister. Dazu teilte er den Tweet eines Meteorologen, der sagte, er habe noch nie solche Temperaturen in einem Wettermodell für Deutschland gesehen.

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"Die Bundesrepublik ist für den Katastrophenfall nicht gerüstet"

Im "Lancet Countdown Policy Brief", einem Bericht von Experten über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit, hieß es 2021: "Die Bundesrepublik ist für den Katastrophenfall durch mögliche große Hitzewellen nicht gerüstet."

Dabei sind einige Maßnahmen, die bereits seit Jahren gefordert werden, mit verhältnismäßig wenig Aufwand umsetzen. Teilweise gab es auch schon erste erfolgreiche Projekte – die aber nicht weitergeführt worden sind. t-online-Wetterexpertin Koschak sieht etwa bei der Stadtplanung große Versäumnisse. "Da hätte schon vor Jahren ein Umdenken stattfinden müssen. Dächer müssten nicht schwarz gedeckt, sondern begrünt werden. Denn alles was nicht begrünt ist, wird heiß", sagt sie. Was müsste nun eigentlich endlich getan werden? Ein Überblick:

Klimagerechte Altersheime

Alte und kranke Menschen, aber auch Kleinkinder, gehören während Hitzewellen zu den gefährdetsten Personen. Denn Hitze kann das Herzkreislaufsystem stark belasten und Beschwerden an Lungen, Herz und Nieren verstärken.

Karl Lauterbach forderte deswegen schon 2019, Pflegeeinrichtungen und Kliniken mit mehr Klimaanlagen auszustatten. Seit 2021 ist er Deutschlands Gesundheitsminister. "Es kann nicht sein, dass jeder Supermarkt auf Kühlschrankniveau gekühlt ist und gleichzeitig die Menschen in Altenheimen und Krankenhäusern sterben, weil es dort kaum Klimaanlagen gibt", sagte er damals. Wie er das nun ändern will, ließ er seit seiner Amtsübernahme offen.

Tatsächlich sind Klimaanlagen umstritten. Nicht nur, weil sie Stromfresser sind und gerade in Städten durch einen massenhaften Betrieb zu höheren Temperaturen führen könnten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) teilte 2019 mit, dass flächendeckende Klimaanlagen in Patientenzimmern nicht nur sehr teuer seien, sondern auch viel Wartung erforderten – vor allem aus hygienischen Gründen.

Der Vorstandsvorsitzende der DKG, Gerald Gaß, erklärte am Mittwoch, die Zahl der Patienten, die aufgrund von Hitze stationär behandelt werden mussten, habe sich in den vergangenen Jahren teilweise verdoppelt. Das sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Hinzu komme, dass nicht alle Patientenzimmer mit Klimaanlagen ausgestattet seien. Man werde mit Ventilatoren, verdunkelnden Vorhängen und Kühlakkus arbeiten müssen. Gaß betonte, nötig sei ein Investitionsprogramm zur Anpassung der Klinikgebäude an Hitze.

Klimaprogramm wartet auf Förderung

Das Umweltministerium unter der damaligen SPD-Ministerin Svenja Schulze setzte 2020 ein Programm zur "Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen auf" – Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen wie Kliniken und Heime, aber auch Kindergärten konnten eine Förderung beantragen, etwa um Dächer und Fassaden zu begrünen, Sonnensegel oder Pavillons anzuschaffen oder Speicherplätze für Regenwasser zu schaffen.

Der Topf enthalte 150 Millionen Euro, das Fenster schloss sich allerdings bereits Ende 2020. Eine neue Förderperiode ist ab 2023 vorgesehen, die Antragstellung hätte eigentlich bereits ab Frühjahr 2022 möglich sein sollen. Bislang sind aber noch keine Bewerbungen möglich. Wie ein Sprecher des Gesundheitsamts t-online mitteilte, wird derzeit intensiv daran gearbeitet ein neues Förderfenster zu schaffen, das noch in diesem Jahr geöffnet werden soll.

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Hitzetelefon

Gerade ältere und allein lebende Menschen werden während einer Hitzewelle oftmals vergessen – das war die bittere Erfahrung, die Frankreich 2003 machen musste. Viele ältere Menschen starben damals unbemerkt in ihren Wohnungen und Häusern, in Paris waren es so viele Tote, dass ein großes Kühllager zur größten Leichenhalle Frankreichs umfunktioniert wurde.

Im Jahr darauf verabschiedete die Regierung den Plan "Canicule", einen Hitzeaktionsplan, der ein besonderes Augenmerk auf ältere Menschen legt. Bei Hitze greifen nun verschiedenen Warnstufen. Ab Stufe drei (ab 35 Grad) werden hochbetagte, allein lebende Menschen täglich angerufen und daran erinnert, ausreichend Wasser zu trinken. Bei Bedarf werden auch Familienmitglieder kontaktiert oder Mitarbeiter der Kommunen vorbeigeschickt.

So etwas gibt es in Deutschland nur vereinzelt, etwa in Kassel. Seit zwölf Jahren bereits rufen Ehrenamtliche bei sehr hohen Temperaturen bei registrierten Senioren an, um sie vor extremen Temperaturen zu warnen. Im Notfall informieren die Helfer auch einen Hausarzt.

Öffentliche Kühlräume in Städten

Die Linken haben einen Vorstoß in Richtung Schutz vor Hitze gemacht und eine konkrete Idee geliefert. Bund und Länder müssten Fakten schaffen – "mithilfe von Gesetzen und Fördermodellen", fordert Kathrin Vogler, die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag. Sie erklärte: "Es müssen öffentliche klimatisierte Kühlräume – 'cooling shelters' – eingerichtet werden, Altenheime und andere Pflegeeinrichtungen sind mit Klimaanlagen auszustatten", so Vogler. In den USA, in Kanada, aber auch in vielen (süd-)europäischen Städten seien diese Kühlräume schon länger bekannt und bei Hitzewellen geöffnet, teilt Vogler auf Anfrage von t-online mit.

Eine Möglichkeit sei, wie Beispiele aus den anderen Ländern zeigen, Gemeindezentren, Bibliotheken und Museen zu öffnen. "Oder wie in Wien eigens dafür Center einzurichten", so die Sprecherin der Linken. Das sei in Westeuropa zwar noch relativ neu, aber mehrere Städte im Ausland hätten bereits Lösungen für extreme Temperaturen entwickelt. Von der Hitze seien nicht nur ältere Menschen betroffen, sondern eben auch jene, die der Hitze nicht ausweichen könnten, "wie Menschen mit Herzkreislaufproblemen, die unterwegs in Not geraten, oder auch Obdachlose."

Grünere Städte

Bäume haben auch einen enormen Einfluss auf das Klima in einer Stadt. In Berlin gebe es etwa 430.000 Straßenbäume, teilt der Naturschutzbund (Nabu) mit. Stadtbäume seien nicht nur ein ästhetisches Element der Stadtplanung, "sie haben auch ökologische Funktionen, sind Schattenspender, Sauerstofflieferanten, Klimaanlage, Luftfilter, Lärmreduzierer und Lebensraum." Die Blätter sorgen wegen des Verdunstungseffekts für Abkühlung, spenden Schatten und filtern Staub, heißt es auf der Internetseite des Nabus.

2018 bis 2020 waren die drei wärmsten Jahre in Berlin seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1908, berichtet der "Tagesspiegel". Nicht nur die Hitze, auch die zunehmende Trockenheit setzt den Bäumen in der Stadt zu. Deshalb will der Senat die Stadt noch grüner machen und hat den Etat für Klima- und Umweltschutz auf 293 Millionen Euro erhöht. Davon sollen 30 Millionen Euro investiert werden, um aus Parkplätzen Parks zu machen und mehr Flächen zu entsiegeln. Mit mehr als fünf Millionen Euro sollen Wälder außerdem zu Mischwäldern werden, heißt es in dem Bericht. Denn Mischwälder wirken dem Klimawandel stärker entgegen. Straßenbäume sollen zudem geschützt und mehr davon gepflanzt werden.

Noch schlechter ist die Lage in den deutschen Wäldern: Schon 2020 hatte die Bundesregierung einen Waldzustandsbericht veröffentlicht, der zu den schlechtesten seit Beginn der Erhebung 1984 gehört. "Die Schäden im deutschen Wald haben zugenommen", heißt es da. Noch nie seien so viele Bäume abgestorben, 277.000 Hektar Wald müssen aufgeforstet werden, offenbart der neuste Bericht aus dem vergangenen Jahr. Das ist eine Fläche, in etwa so groß wie das Saarland. Experten sehen die größte Chance in naturnahen, artenreichen Mischwäldern, mit standortgerechten, an den Klimawandel angepassten, überwiegend heimischen Baumarten. Diese seien resilienter und anpassungsfähiger gegenüber klimatischen Veränderungen.

Das Fazit

Was folgt also? Die Waldstrategie 2050, die derzeit vom Bundeslandwirtschaftsministerium ausgearbeitet wird, setzt zwar bei den Mischwäldern an. Doch ist diese Strategie auf 30 Jahre ausgerichtet – und Bäume wachsen nicht innerhalb von wenigen Monaten, um auf die Klimaveränderungen schnell zu reagieren. Auch die anderen Ansätze reichen bislang nicht aus, um Deutschland für die kommenden Hitzewellen zu wappnen. "Es ist schon viel zu spät", schätzt t-online-Wetterexpertin Michaela Koschak die Lage ein. Schon vor 30 Jahren hätten Klimaforscher genau vor dem gewarnt, was nun passiere. "Und jetzt wundern sich alle".

Verwendete Quellen
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