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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Gegen jede bekannte Impfung immun" Lauterbach warnt bei Lanz vor Super-Coronavirus
Ist Delta erst der Anfang? Lauterbach warnt bei "Lanz" vor einer Art Super-Coronavirus, das gegen Impfungen immun ist und auch genesene Menschen befällt. Eine Kollegin wiegelt ab.
Die Gäste
- Melanie Brinkmann, Virologin vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
- Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte
- Peter Tauber, Ex-CDU-Generalsekretär
- Stefan Aust, Herausgeber "Die Welt"
Es ist Sommer und der Corona-Albtraum scheint schlagartig ganz weit weg zu sein. Vielleicht können wir ja doch ganz gut mit diesem neuen Virus leben und es wird irgendwann vergleichbar mit der Grippe zur Normalität? Ein naiver Irrglaube, warnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Donnerstag bei "Markus Lanz".
"Man leitet etwas ab, weil es in der Geschichte immer so gewesen ist. Aber wir haben eine ganz neue Situation. Es ist zum allerersten Mal eine Situation, wo ein Virus systematisch weltweit mit sehr wirksamen Impfstoffen angegriffen wird." Der Mediziner befürchtet, dass der derart in die Ecke getriebene Erreger seinerseits den Turbo zündet. Die Folge: Eine Art Supervirus, gegen das die bekannten Impfungen und auch eine überstandene Infektion nicht schützen.
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Die sich derzeit schnell verbreitende Delta-Variante ist für Lauterbach ein Zeichen dessen, was da noch kommen könnte. Der unter Beschuss geratene Erreger reizt laut dem Experten zunächst seine Möglichkeiten aus, immer ansteckender zu werden. "Aber irgendwann muss das Virus, um überhaupt überleben zu können, weil so viele geimpft sind, lernen, Geimpfte zu befallen", warnte Lauterbach. "Es könnte tatsächlich so sein, dass das Virus lernt, quasi jede Art der Impfung zu überwinden, um die Geimpften zu befallen."
Lauterbach warnt vor immunem Coronavirus
Für diese Befürchtung gibt es laut dem SPD-Politiker leider gute Gründe. Forscher an der Universität Haifa hätten bei Experimenten verschiedene Virusvarianten gegeneinander antreten lassen um zu schauen, wozu der Erreger theoretisch imstande ist. "Da hat man am Schluss Zellkulturen gehabt, die gegen jede bekannte Impfung immun waren", berichtete Lauterbach. Auch die Antikörper im Blut von schon mal erkrankten Menschen hätten diesen aggressiven sogenannten Escape-Varianten nichts anhaben können. "Es kann sein, dass das Virus irgendwann am Ende ist. Es kann aber auch sein, dass das Virus lernt, sich gegen Geimpfte durchzusetzen", warnte Lauterbach. "Das können wir auf jeden Fall nicht ausschließen."
Virologin Melanie Brinkmann sieht die Zukunft weniger düster. "Ich will ein bisschen die Verunsicherung rausnehmen", sagte die Professorin am Institut für Genetik an der Technischen Universität Braunschweig. "Das kann passieren", kommentierte sie Lauterbachs Schreckensszenario. Sie glaubt jedoch, dass der durch die derzeitigen Impfungen aufgebaute Immunschutz auch künftig vor schweren Verläufen schützen wird. Zwar sei davon auszugehen, dass geimpfte Menschen bei aggressiveren Varianten den Erreger weitergeben können und eine Auffrischung benötigen. "Aber dass wir komplett nackt dastehen, das wird uns – so würde ich vermuten – nicht wieder passieren", beruhigte Brinkmann. Außerdem werde bereits jetzt an Impfstoffen gegen mögliche immune Varianten geforscht und ein Serum werde im Ernstfall relativ schnell verfügbar sein. "Ich freue mich, wenn ich da unrecht habe", sagte Lauterbach.
Auch in Deutschland hatten zum Beispiel im März 2021 Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen und vom Universitätsklinikum Ulm in Zellkultur-Studien Hinweise darauf gefunden, dass Antikörper von genesenen oder geimpften Personen neue mutierte Viren schlechter hemmen. "Unsere Befunde machen deutlich, dass es wichtig ist, die Virusausbreitung so weit wie möglich einzuschränken bis flächendeckend geimpft werden kann. Anderenfalls riskieren wir die Entstehung von neuen Varianten, die durch die gegenwärtig verfügbaren Impfstoffe nicht mehr wirksam bekämpft werden können", mahnten die Autoren der Studie.
Lauterbach greift Aust an
Publizist Stefan Aust kam hingegen zu dem Schluss: "In den letzten Monaten war ein bisschen zu viel Alarmstimmung." Er warf der Politik vor, den Bürgern unnötig viel Angst eingejagt zu haben. Zudem habe es im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland gar keine Übersterblichkeit gegeben, behauptete Aust unter Verweis auf Zahlen des Statistischen Bundesamts. Außerdem werde bei den täglichen Corona-Todeszahlen nicht berücksichtigt, wie viele der Toten vorerkrankt oder sehr alt gewesen seien.
"Was Sie hier betreiben ist gefährlich in meinen Augen", konterte Lauterbach. "Das relativiert die Opfer, die wir hatten, nach dem Motto: Die waren älter, die wären eh bald gestorben." Er habe gerade erst an der Berliner Charité einen 29-Jährigen gesehen, der an eine externe Lunge angeschlossen werden musste und wahrscheinlich sterben werde. "Das sind furchtbare Schicksale, das kann ich doch nicht negieren", kritisierte Lauterbach. Er verwies seinerseits auf Zahlen der Universitäten in Tübingen und Jerusalem, bei der die Übersterblichkeit in Deutschland – die Altersstrukturen berücksichtigend – im Jahr 2020 auf vier Prozent taxiert wurde. "Vier Prozent Übersterblichkeit ist furchtbar", betonte Lauterbach.
Faktencheck: Das Statistische Bundesamt hat am 17. Juni 2021 einen Bericht zu den bisherigen Sterbefallzahlen während der Corona-Pandemie veröffentlicht. Dabei wurde bei den Toten 2020 auch auf die Effekte der Grippesaison hingewiesen. Die Experten kamen aber zum Urteil: "Die danach einsetzende überdurchschnittliche Zunahme der Sterbefallzahlen ist relativ eindeutig auf die erste Corona-Welle zurückzuführen, denn die Zahl der Covid-19-Todesfälle stieg zeitgleich an." Nach der Hitzewelle im August und September stiegen demnach ab Mitte Oktober die Sterbefallzahlen "dann nahezu parallel zum erneuten Anstieg der gemeldeten Covid-19-Todesfälle wieder an bis zum Höchststand in der 52. Kalenderwoche 2020".
Die Autoren zogen das Fazit: "Der Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass sich die Corona-Pandemie trotz der Maßnahmen zu deren Eindämmung und Verhaltensänderungen der Menschen deutlich auf das Sterbegeschehen in Deutschland ausgewirkt hat." Allein während der zweiten Welle seien dem Robert Koch-Institut ungefähr 50.000-Covid-19-Todesfälle gemeldet worden. Bei der besonders heftigen Grippewelle 2017/2018 seien es geschätzt nur etwa halb so viele Todesfälle gewesen. In einigen Regionen Deutschlands war laut den Statistikern der Effekt der Pandemie zeitweise unübersehbar: "In Sachsen sind über mehrere Wochen hinweg mehr als doppelt so viele Menschen gestorben wie sonst zu dieser Jahreszeit."
- "Markus Lanz" vom 1. Juli 2021
- Pressemitteilung zu den Forschungsergebnissen zu Covid-Mutanten