Fast eine Milliarde Euro Spektakuläre Spenden für Notre-Dame – gerechtfertigt oder nicht?
Die Flammen in Notre-Dame waren noch nicht gelöscht, da überboten sich die französischen Milliardärsfamilien Arnault und Pinault bereits mit Spendenzusagen in Millionenhöhe. Schnell kamen weitere Spender hinzu. Zugleich wurde Kritik laut.
Sind derart hohe Beträge für den Wiederaufbau eines Gebäudes gerechtfertigt – angesichts der vielen Krisenherde weltweit, die viele Menschenleben kosten und an denen oft Geld fehlt? Die Debatte beschäftigt uns auch in der t-online.de-Redaktion. Zwei Redakteure, zwei Meinungen:
Notre-Dame hat jeden Euro verdient
Notre-Dame ist nicht irgendeine Kirche. Sie ist ein nationales Symbol, das für ganz Frankreich steht. In etwa so wie der Kölner Dom und das Brandenburger Tor in einem. Natürlich spenden Franzosen nun für den Wiederaufbau ihres Wahrzeichens, und natürlich mögen reiche Familien dabei den willkommenen PR-Effekt nutzen. Daran ist nichts Verwerfliches. Es ist jedem selbst überlassen, für was er spendet. Wem andere, soziale Projekte wichtiger sind, den sollte nichts davon abhalten, diese zu unterstützen.
Die Bilder des Brandes am Montagabend haben mich sehr getroffen. Ich konnte erst schlafen gehen, als er unter Kontrolle war - als sicher war, dass Notre-Dame gerettet war. Diese Kathedrale ist wichtiger als der Eiffelturm. Sie ist eine Liebeserklärung an das Leben. Ein Ort des Glaubens, der Kunst und der Begegnung. Wie durch ein Brennglas sehen wir hier die turbulente Geschichte eines ganzen Landes, vom Mittelalter über den Absolutismus und die Französische Revolution bis in die Moderne.
Fast immer, wenn ich in Paris war, ging ich an dieser wunderbaren Kathedrale vorbei, oft auch hinein. Ich will wieder eintreten können in diesen sagenhaften Bau, in diese riesige Halle der Andacht, die den Blick nach oben lenkt. So wie jedes Jahr zwölf Millionen andere Menschen aus aller Welt. Ein Paris ohne Notre-Dame kann und will ich mir nicht vorstellen.
Deshalb ist es keine Frage, dass man für den Wiederaufbau von Notre-Dame spenden sollte. Millionen oder auch nur einen Euro – jeder Beitrag zählt. Der Aufbau wird jahrelang dauern und sehr viel Geld kosten. Aber diese wunderbare Kathedrale, die für Paris und Frankreich steht, die viele Kriege überlebt hat, muss eines Tages ihre Türen wieder öffnen. Das Feuer darf nicht das Ende sein. Sondern ein Neubeginn.
Rettet Menschenleben statt Gemäuer!
Die Nachricht, dass Notre Dame brennt, berührte mich. Ich bekam Gänsehaut bei der Vorstellung, dass Kulturgüter von unschätzbarem Wert unwiederbringlich zerstört sein könnten. Unzweifelhaft sind Kulturdenkmäler schützenswert. Die massive Spendenbereitschaft im Falle von Notre Dame erscheint mir aber unverhältnismäßig.
Wo sind die dreistelligen Millionenspenden für den Wiederaufbau anderer zerstörter Denkmäler, zum Beispiel in Syrien oder im Irak? Die 2017 zerstörte Große Al-Nuri-Moschee in Mossul stammte aus dem 12. Jahrhundert und ist damit sogar älter als Notre Dame. Der Basar in Aleppo, die antiken Ruinen in Palmyra: Mit mehr Geld ließen sie sich in Teilen restaurieren. Dass französische Großindustrielle eher für ein Wahrzeichen ihres eigenen Landes spenden als für Kulturdenkmäler in fernen Ländern scheint eher mit PR als mit Liebe zu historischen Gebäuden zu tun zu haben.
Angesichts der hohen Summen frage ich mich auch: Warum sitzt das Geld nicht so locker, wenn es um die Rettung von Menschenleben geht? Überall auf der Welt leiden Kinder unter Krieg und Hunger – wer verkündet hier auf einen Schlag großzügige Spenden?
Am Dienstag gab es zudem zahlreiche Unterstützungsbekundungen diverser Staatsleute. So rief EU-Ratspräsident Donald Tusk die EU-Mitgliedstaaten zur Hilfe beim Wiederaufbau von Notre-Dame auf. Moment mal! Unterstütze ich als Bürgerin mit meinen Steuergeldern nicht schon diverse Töpfe zur Denkmalpflege in der EU? Die finanzielle Bürde der Schäden sollte aus staatlichen Mittel getragen werden. Aber das Geld sollte international gerecht verteilt werden – inner- und außerhalb der EU. Hätte ich die Wahl, würde ich mit meinen Steuergeldern lieber Kinderleben retten als alte Gemäuer.
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