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Zugunglück Spanien: Bahn flog mit knapp 200 km/h aus der Kurve


Panorama
Unglückszug in Spanien war viel zu schnell unterwegs

Von dpa, t-online
Aktualisiert am 26.07.2013Lesedauer: 3 Min.
Eine Überwachungskamera zeigt, wie der Zug im vollen Tempo gegen eine Betonmauer krachtVergrößern des Bildes
Eine Überwachungskamera zeigt, wie der Zug im vollen Tempo gegen eine Betonmauer kracht (Quelle: Reuters)

In einer engen Kurve springt in Santiago de Compostela ein Schnellzug aus den Schienen. Er ist offenbar doppelt so schnell gefahren wie erlaubt. Es gibt zudem Hinweise auf mangelnde automatische Bremsung.

Der größte Teil der Strecke sei mit einem automatischen System der Geschwindigkeitskontrolle mit dem Namen ERTMS ausgerüstet, sagte der Generalsekretär der Lokführer-Gewerkschaft, Juan Jesus Garcia Fraile. Genau vier Kilometer vor Santiago ende dieses System aber "bedauerlicherweise".

Daneben gebe es noch ein System namens ASFA, das die Einhaltung der Signale überwache. Dieses System sei jedoch "etwas abhängiger vom menschlichen Faktor", fügte der Chef der Lokführer-Gewerkschaft hinzu.

Der Lokführer räumte nach Ermittlerangaben bereits ein, der Zug sei mit rund 190 Stundenkilometern unterwegs gewesen, obwohl in der Unglückskurve höchstens Tempo 80 zulässig gewesen sei. Gegenüber "El País" macht er sich Vorwürfe: "Ich hoffe, dass es keine Toten gibt, denn sie würden auf meinem Gewissen lasten."

Zug aus den Schienen gesprungen und in Teile zerrissen

In Decken gehüllte Leichen liegen neben dem Bahndamm, blutüberströmte Verletzte werden aus zertrümmerten Waggons gezogen: Beim Zugunglück im Nordwesten Spaniens bieten sich schreckliche Bilder. Keiner der Waggons des Unglückszuges steht mehr auf den Gleisen. Anwohner und Helfer holen Tote und Verletzte aus den Waggons.

Vier Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof der Pilgerstadt Santiago de Compostela ist der Schnellzug von Madrid nach Ferrol war aus den Schienen gesprungen und in mehrere Teile zerrissen worden. Das Unglück ist eine der schlimmsten Katastrophen in der spanischen Eisenbahngeschichte: Mindestens 80 Menschen wurden getötet, 178 verletzt, 36 von ihnen befinden sich noch in kritischem Zustand.

So hat sich die Katastrophe zugetragen: Die vorderen Waggons kippten auf eine Böschung neben den Schienen, ein Wagen flog über eine Barriere neben dem Bahndamm hinweg und landete auf einer Straße in der Nähe mehrerer Wohnhäuser. Die hinteren Waggons prallten gegen eine Abgrenzungsmauer und verkeilten sich ineinander. Zwei Wagen waren so sehr zerstört, dass es Stunden dauerte, bis die Rettungskräfte sich den Weg ins Innere bahnen konnten. Dazu wurden die Wagen mit zwei riesigen Kränen vom Bahndamm auf eine Straße gehievt.

Anwohner transportieren Verletzte ab

Anwohner waren die ersten Helfer, die zur Stelle waren. "Wir haben die Scheiben der Waggons eingeschlagen und Tote und Verletzte ins Freie gezogen", erzählte einer von ihnen der Zeitung "La Voz de Galicia".

Ein 76-Jähriger sagte: "Als wir zur Unglücksstelle kamen, sahen wir Rauch und einen Haufen von Trümmern. Da noch keine Helfer zur Stelle waren, haben wir Bretter als Tragen benutzt, um die Verletzten abzutransportieren. Einige von uns brachten Decken und Wasser."

Das Unglück löste eine Welle der Solidarität aus. Als die Behörden zu Blutspenden aufriefen, meldeten sich so viele Freiwillige, dass die Krankenhäuser den Andrang kaum bewältigen konnten.

Einige Anwohner wollten kurz vor dem Entgleisen des Zuges einen lauten Knall oder eine Explosion gehört haben. Gleich nach dem Unglück stieg eine Rauchwolke über der Unfallstelle auf. Das spanische Innenministerium leitete in aller Eile eine Untersuchung ein und stellte noch in der Nacht fest: Ein Terroranschlag oder ein Sabotageakt konnten definitiv als Unglücksursache ausgeschlossen werden.

"Wir sind entgleist!"

Die beiden Lokführer überstanden das Unglück nahezu unverletzt. Wie aus Ermittlerkreisen verlautete, hatte einer von ihnen in einem Gespräch mit seinen Vorgesetzten immer wieder in sein Handy gerufen: "Wir sind entgleist! Was können wir tun?" Der Lokführer gab nach diesen Informationen auch zu, an der Unglücksstelle mit 190 Stundenkilometern in eine Kurve eingebogen zu sein, obwohl dort nur Tempo 80 erlaubt war.

Der Schnellzug Alvia-04155 entgleiste am Mittwoch um 20.41 Uhr. Das war genau die Zeit, zu der er laut Fahrplan in Santiago hätte ankommen sollen. Er hatte fünf Minuten Verspätung. Die Bahngesellschaft Renfe wollte die Spekulation, dass die Lokführer möglicherweise Zeit aufholen wollten, nicht gelten lassen. "Verspätungen in einer Größenordnung von fünf Minuten sind auf diesen Strecken nicht ungewöhnlich", erfuhr die Nachrichtenagentur EFE aus Kreisen des Unternehmens.

Kurve seit längerem als problematisch angesehen

Die Katastrophe geschah auf einem Neubau-Abschnitt des Hochgeschwindigkeitsnetzes der spanischen Bahn. Dort durfte der Zug auf einer langen geraden Strecke mehr als 200 Kilometer pro Stunde fahren. Am Stadtrand von Santiago hätte er abbremsen müssen, weil die Bahnstrecke eine enge Kurve macht. Weshalb der Zug nicht genügend bremste, war zunächst unbekannt.

An der Unglücksstelle hatten die Konstrukteure für die Hochgeschwindigkeitszüge keine neue Trasse gebaut, sondern die Gleise neben den Schienen der konventionellen Bahnlinie verlegt. Experten hatten schon vor Jahren bemängelt, dass die Kurve problematisch sei.

Dies bekamen auch die Fahrgäste zu spüren, die bei der Einweihung der Strecke im Dezember 2011 bei der Premiere dabei waren. Sie verspürten, wie die Zeitung "El País" sich erinnerte, beim Einbiegen in die Kurve einen kräftigen Ruck, so dass einige von ihnen fast das Gleichgewicht verloren hätten.

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