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20-Stunden-Woche bei vollem Lohn: Die Lösung für Überlastung?


Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

Forderung nach 20-Stunden-Woche
"Wir Jungen wollen uns nicht krumm schuften"


Aktualisiert am 07.03.2024Lesedauer: 1 Min.
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Wie viel Arbeit braucht der Mensch? Und wie viel erträgt er? (Quelle: IMAGO/William Perugini/imago-images-bilder)

Eine Idee aus den Reihen der Grünen Jugend sorgt für Diskussionen: Nur noch 20 Stunden pro Woche arbeiten – und das bei vollem Lohnausgleich? Auch in der t-online-Redaktion gehen die Meinungen auseinander.

Katharina Stolla, Co-Sprecherin der Grünen Jugend Deutschland, hat in der ZDF-Sendung "Markus Lanz" eine Vier-Tage-Arbeitswoche mit 30 Stunden Wochenarbeitszeit ins Spiel gebracht. In einem zweiten Schritt kann sich die Politikerin auch eine weitere Reduktion auf nur noch 20 Stunden Arbeit pro Woche vorstellen.

"Arbeit macht krank", so lautet ihre Begründung, und: Sie lohnt sich für die junge Generation angesichts steigender Lebenshaltungskosten und fehlender Altersabsicherung nicht mehr. Sich kaputt machen für eine kaputte Welt? Diese Frage steckt hinter ihrem Vorstoß. Ist er zeitgemäß in einer Ära der Arbeitsüberlastung und Automatisierung?

Pro
Tobias SchibillaRedakteur Politik & Wirtschaft

Ich schufte mich doch nicht für euch krumm

Unsere Welt könnte so viel besser sein, als sie es derzeit ist. Die Mittel dafür gibt es: In Zeiten zunehmender Automatisierung und unaufhaltsamen technischen Fortschritts erscheint die 40-Stunden-Woche wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten.

Viele Aufgaben können mittlerweile teilweise oder vollständig automatisiert stattfinden – und ganz ehrlich: Wer von uns saß bei der Arbeit noch nie vor einer Aufgabe und hat sich gefragt, was das soll? Der werfe den ersten Stein.

Allein, es fehlt am Willen. Denn die jetzigen Entscheider nutzen den technischen Fortschritt nicht etwa, um eine automatisierte Gesellschaft aufzubauen. Durch sie könnte sich die Arbeitszeit verringern lassen und Arbeitnehmer sich auf die rein kreativen und nur von Menschen zu erbringenden Aspekte konzentrieren. Viel zu oft werden KI und Roboter stattdessen genutzt, um Arbeitsplätze wegzurationalisieren, ohne zu schauen, wie sich die Erfahrung der Mitarbeitenden sinnvoll einbringen lässt.

Doch selbst wenn wir alle fleißig die von der arbeitsamen Gesellschaft geforderten 40 Stunden pro Woche schuften: Wir können uns von den Gehältern kaum noch etwas leisten. Wohneigentum? Für uns Junge nahezu undenkbar. Unsere Eltern- und Großelterngeneration konnte den Kredit für ihr Eigenheim noch von ihrem Gehalt in einem überschaubaren Zeitraum abstottern.

Dazu kommt der außer Kontrolle geratene Mietmarkt: Babyboomer leben seit 20 Jahren in einer 100 Quadratmeter großen Altbauwohnung für weniger als 1.000 Euro. Wir dagegen können uns in den großen Städten von unserem Vollzeitgehalt gerade mal einen Schuhkarton ohne Balkon leisten. Insofern wäre es doch zumindest angebracht, uns weniger Arbeitszeit zum gleichen Lohn zuzugestehen.

Aber schauen wir mal in die Zukunft. Wie sind unsere Aussichten, nach 45 Jahren harter Arbeit gemütlich im Schaukelstuhl zu sitzen und bei einem Kaltgetränk die Früchte unseres Lebenswerkes zu genießen? Offenbar gleich null. Das Rentenniveau wird aufgrund einer überalterten Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten den sprichwörtlichen Bach runtergehen – wenn uns die Klimakatastrophe überhaupt so alt werden lässt, dass unsere Rente noch eine Rolle spielt. Es kann gut sein, dass wir unseren Ruhestand in der von den Generationen vor uns zugrunde gerichteten Welt eher als Klimaflüchtlinge verbringen als in einem Häuschen im Grünen.

Insofern sehen es viele Menschen aus jüngeren Generationen nicht mehr ein, sich für ein Minimum an Lebensqualität krumm zu schuften. Im Jahr 2023 veröffentlichte das Unternehmen Academic Work eine Studie, laut der 75 Prozent aller Young Professionals – also der Arbeitnehmer unter 30 Jahren – bereits an einem Burnout-Syndrom erkrankten oder kurz davor standen.

Eine weitere Studie der Krankenkasse Pronova BKK aus dem Jahr 2018 zeigt, was die aktuelle Arbeitswelt mit uns Arbeitnehmern macht: Neun von zehn Arbeitern sind von ihrem Job gestresst, mehr als die Hälfte klagt über Symptome wie Rückenschmerzen, anhaltende Müdigkeit oder Erschöpfung – bei fast einem Viertel der Befragten treten diese Symptome sogar häufig auf.

Arbeit macht also tatsächlich krank. Deshalb brauchen wir eine Neubewertung von Leistung und ihrem Wert – und der Möglichkeit, ohne Schaum vor dem Mund sinnvolle Alternativen zur 40-Stunden-Woche zu suchen. Denn diese Alternativen können unser Leben verbessern. Ganz egal, ob wir jung oder alt sind.

Kontra
Philipp Michaelis
Philipp MichaelisBereichsleiter Aktuelles

Wochenende nach 20 Stunden? Sonst noch was?

Bei aller Liebe zum Diskurs: Das ist wirklich absurd. Wir haben viel zu tun, alle miteinander. Als Gesellschaft. Für uns selbst und für das Gemeinwohl. Und auch im Vergleich zu allen anderen, mit denen wir über unsere Grenzen hinaus zusammenleben, handeln und konkurrieren. Wir können nicht einfach nach 20 Stunden die Hände in den Schoß legen. Bei mir wäre dann übrigens mittwochvormittags Wochenende. Klingt verlockend, aber: Sonst noch was?

Eine Woche hat 168 Stunden. Unsere Kranken und Alten müssen während dieser ganzen Zeit versorgt werden. Jemand muss für Sicherheit im öffentlichen Raum sorgen, rund um die Uhr. Jemand muss unsere Fabriken am Laufen halten, unsere Lebensmittel produzieren, Waren von A nach B transportieren, Energie gewinnen, Züge fahren, Busse steuern. Ständig. Dauernd. Wir haben schon jetzt zu wenige Arbeitskräfte, um all das aufrechtzuerhalten. Und die wenigen, die wir haben, sollen nach 20 Stunden Däumchen drehen? Und dann? Wer springt ein, macht dann das, was noch nicht geschafft ist?

Und komme mir jetzt keiner mit "Robotern", "Maschinen", "Automation" oder "KI". Träumt weiter! Bislang bekommen wir ja nicht mal die Digitalisierung ordentlich gewuppt. Ja, technische Errungenschaften können uns dabei unterstützen, unsere ungezählten Aufgaben als Gesellschaft und Wirtschaftsgemeinschaft zu erledigen. Wir wären dumm, sie nicht immer mehr zu nutzen. Aber sie sind noch längst nicht weit genug entwickelt, um uns mehr Lebenszeit freizuschaufeln, damit wir dem Gras beim Wachsen zuschauen können. Nebenbei: Auch den technischen Fortschritt muss am Ende jemand erarbeiten. Die Heinzelmännchen bauen meines Wissens keine Pflegeroboter.

Ohne sie müssen wir alle anpacken. Das ist auch keine neue Entwicklung. Wer heute jung ist, muss viel arbeiten. Das stimmt. Mussten unsere Eltern vermutlich nicht weniger, unsere Großeltern sicher mehr, und am Ende hatten die Neandertaler auch eine Menge auf der Uhr. Davon wird man nicht zwangsläufig krank. Krank wird man, wo Aufgaben ungerecht verteilt sind. Wo sie nicht angemessen entlohnt werden. Wo man sich mit Arbeit keine Perspektive mehr erwirtschaften kann, fürs Heute und fürs Morgen. Wo Arbeitsbedingungen schlecht sind und Mitarbeiter ausgebeutet werden, statt ihnen einen guten Rahmen zu erstellen, innerhalb dessen sie sich einbringen können.

Wie wir das fair verteilen, erfüllend gestalten und lebenswirklich vergüten, was wir alle gemeinsam schaffen müssen: Darüber können wir gerne streiten, und daran können wir arbeiten. 20 Stunden pro Woche werden auch dafür nicht reichen.

 
 
 
 
 
 
 

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Verwendete Quellen
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