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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Böllerverkauf startet "Feuerwerk ist ein Stück Freiheit"
Seit Donnerstag darf Silvesterfeuerwerk in Deutschland verkauft werden. Beim Werksverkauf des Herstellers Weco geht es hektisch zu.
Zahllose Autos verstopfen die engen Straßen des kleinen Ortes Eitorf im Siegtal. Die meisten von ihnen haben ein gemeinsames Ziel: Die Konzernzentrale des Feuerwerkherstellers Weco. Denn hier ist am Donnerstagmorgen der Werksverkauf von Feuerwerkskörpern gestartet. Eine Tradition an der Sieg. Jahr für Jahr kaufen Tausende ihr Silvesterfeuerwerk direkt im Werk. Das spart viel Geld, denn die Preise sind hier deutlich niedriger als im Einzelhandel.
Pyrotechnik unterliegt in Deutschland strengen Verkaufsbeschränkungen. In diesem Jahr darf sonst verbotenes Feuerwerk ab dem 28. Dezember verkauft werden. Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) rechnet für dieses Jahr mit einer ähnlich hohen Nachfrage nach Silvesterfeuerwerk wie im vergangenen Jahr. Für die Mitarbeiter des Feuerwerksherstellers beginnen am Donnerstag zwei besonders anstrengende Tage: Bis zu 10.000 Menschen kaufen ihre Silvesterböller am Donnerstag und Freitag direkt vom Werk in Eitorf.
700 Euro für Silvesterknaller
Auch Kevin und Sandra haben ihr Auto mit Feuerwerkskörpern vollgeladen – und dafür eine längere Anfahrt in Kauf genommen: Zwei Stunden haben sie für den Weg aus dem hessischen Offenbach nach Eitorf gebraucht. "Wir haben ein paar Feuerwerksbatterien und Überraschungspakete gekauft", erzählt Sandra im Gespräch mit t-online. "Aber auch bei Lidl haben wir uns schon mit Böllern eingedeckt."
Silvester ist bei ihnen eine Familienangelegenheit, erzählt sie. Ihr Vater sei in einem zweiten Fahrzeug mitgekommen. Auch sein Kofferraum sei mit Feuerwerk vollgeladen. "Insgesamt haben wir knapp 700 Euro ausgegeben", sagt Sandra.
Kunden aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden
Die Warenausgabe des Herstellers gleicht einem Fließband in einer Fabrik. Die gewünschte Pyrotechnik musste online vorbestellt werden, es gibt feste Zeitfenster, in denen man sein Feuerwerk abholen darf. An den sieben Ausgabestellen fahren die Autos vor, die Besitzer zeigen ihre Bestellscheine auf dem Handy. Innerhalb von maximal zwei Minuten verladen die Mitarbeiter bis zu drei Kisten in die Kofferräume und auf Rückbänke. Mehr ist nicht erlaubt – denn Feuerwerkskörper gelten als Gefahrengut, mehr als 50 Kilogramm darf man pro Auto nicht transportieren. Wäre mehr erlaubt, würden die Kunden ihre Autos noch voller laden, erzählt ein Mitarbeiter.
Wie stressig die Arbeit an diesen zwei Tagen ist, lassen sich die Mitarbeiter nicht anmerken. Sie scherzen miteinander und mit den Kunden, eine Kollegin bringt Mettbrötchen an die Warenausgabe. Auch Georg steht hier und räumt im Akkord Pyrotechnik in die Kofferräume der Kunden. Seit 36 Jahren arbeitet er hier, auch seine Ausbildung hat er in Eitorf absolviert. "Eigentlich bin ich Einkaufsleiter", erzählt er. Sonst sitzt er im Büro des Feuerwerksherstellers. An den beiden Werksverkaufstagen sei das aber egal. "Dann arbeiten fast alle Kollegen an der Warenausgabe."
Die Kunden kommen dabei aus ganz Deutschland, aus den Niederlanden und aus Belgien. "Letztes Jahr hatten wir zwei komplett Verrückte hier", erzählt Georg. "Die sind mit dem Zug aus Berlin hergekommen und haben zwei Kisten gekauft. Wir haben die dann im Firmenauto zurück zum Bahnhof gefahren."
"Mit Pyrotechnik kann man viele Emotionen ausdrücken"
Feuerwerk sei sein Leben, sagt Georg weiter. "Ich bin auch noch Pyrotechniker und arbeite an Großfeuerwerken wie 'Rhein in Flammen' oder früher auch den 'Kölner Lichtern' mit". Durch die Raketen und bunten Lichter könne man viele Emotionen transportieren – von Spaß und Freude bis hin zu echter Dramatik. "Und wenn es einem schlecht geht, kann man als Mitarbeiter auch mal hier bei Weco auf den Sprengplatz gehen. Dann kann man alle Sorgen wegsprengen", erzählt Georg und lacht dabei.
Von der Debatte um Feuerwerksverbote hält der Einkaufsleiter wenig. "Ganz Deutschland entwickelt sich gerade zur Verbotszone", sagt er. "Ich wünsche mir da einfach mehr Verständnis. Als Rheinländer halte ich es mit dem Satz: Mer muss och jönne künne [Hochdeutsch: Man muss auch gönnen können, Anm. d. Red.]." Silvester sei schließlich nur an einem Abend im Jahr, sagt Georg. Er wünsche sich etwas mehr Verständnis von denjenigen, die gegen private Feuerwerke sind.
Dabei gibt es gute Argumente für ein Verbot von privatem Feuerwerk. Die Feinstaubbelastung steigt in der Silvesternacht rapide an. Innerhalb weniger Minuten wird dann so viel Feinstaub in die Luft geblasen wie sonst in zwei Monaten Autoverkehr, berichtet die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Außerdem leiden Tiere unter dem Krach. Neben Haustieren in der Stadt hätten insbesondere Wild- und Nutztiere Angst vor dem Feuerwerk, sagt Biologin Angelika Nelson vom bayerischen Landesbund für Vogel- und Naturschutz im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Sie erklärt: "Bei den Tieren im Wald und auf der Weide löst die Knallerei den Fluchtreflex aus".
"Ein Stück Freiheit"
Trotz der Gegenargumente ist das Böllern im Familienkreis für Sandra und Kevin aus Offenbach wichtig. "Mein Vater kommt aus der ehemaligen DDR", erzählt Sandra. Pyrotechnik habe man als Privatperson nicht einfach so kaufen können, weshalb sich ihr Vater vor der Wende selbst Feuerwerk gebaut habe. "Seitdem man legal böllern kann, feiern wir immer zusammen. Für meinen Vater ist Feuerwerk ein Stück Freiheit."
Für die DUH gilt das nicht. Sie forderte am Donnerstag ein sofortiges Verbot von privatem Feuerwerk im ganzen Bundesgebiet. "Wir brauchen ein Ende der Schwarzpulver-Silvesterböllerei – und zwar sofort", sagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch der "Rheinischen Post". Er verwies auf mit Raketen angegriffene Einsatzkräfte und Verletzungen durch Feuerwerkskörper. Der DUH-Geschäftsführer warnte zudem vor in Panik geratenden Tieren und orientierungslosen Wildvögeln.
Kunden denken teils differenziert über Verbote
Till aus Bonn hat eine differenziertere Meinung zur Verbotsdebatte. "In Berlin und der Bonner Innenstadt habe ich auch schon schlechte Erfahrungen mit Feuerwerk gemacht", sagt der Familienvater im Gespräch mit t-online.
Die Idee von Feuerwerksverbotszonen halte er für sinnvoll. "Ich wohne mit meiner Familie allerdings etwas weiter außerhalb", erzählt er. "Deshalb kann ich es für mich persönlich gut verantworten, an Silvester ein paar Raketen in den Himmel zu schießen".
Mehr als 5.000 Kunden in zwei Tagen
Verbote hält Weco-Mitarbeiter Georg für unsinnig. "Feuerwerk hat in Deutschland einfach Tradition", sagt er. In Griechenland gebe es zum Beispiel Fernsehbeiträge, in denen erklärt wird, wie man sein Haustier auf die Knallerei zum Jahreswechsel vorbereitet. "Das finde ich viel sinnvoller als ein pauschales Verbot."
Der Tag im Weco-Werk dauert für Georg und seine Kollegen lange. In 10 Stunden bedienen sie zwischen 5.000 und 5.500 Kunden. Ein Problem hat der Einkaufsleiter damit aber nicht. "Wir sind hier eh eine große Familie, der Werksverkauf ist wie unser Familientreffen", sagt Georg und lacht dabei. Und so kann sich vermutlich auch der letzte Kunde in der langen Autoschlange in Eitorf darauf verlassen, dass er seine Feuerwerkskörper für die Silvesternacht ausgehändigt bekommt.
- Eigene Recherche vor Ort
- rp-online.de: "Rufe nach Verbot von Böllern und Raketen werden laut"